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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Wesen, nach ihrer Wahrheit, als Idee. In der gemeinen
Wirklichkeit mangelt es niemals an den empörendsten und
widerwärtigsten Häßlichkeiten; die Kunst darf dieselben nicht
so ohne Weiteres aufnehmen. Sie muß uns das Häßliche
in der ganzen Schärfe seines Unwesens vorführen, aber sie
muß dies dennoch mit derjenigen Idealität thun, mit der sie
auch das Schöne behandelt. Bei diesem läßt sie vom Inhalt
desselben Alles hinweg, was seiner nur zufälligen Existenz
angehört. Sie hebt das Bedeutsame einer Erscheinung her¬
vor und verwischt in ihm die unwesentlichen Züge. Das
Gleiche muß sie mit dem Häßlichen thun. Sie muß an ihm
diejenigen Bestimmungen und Formen herausstellen, die das
Häßliche zum Häßlichen machen, allein sie muß alles das¬
jenige von ihm entfernen, was sich nur zufällig in sein Da¬
sein eindrängt und seine Charakteristik schwächt oder verwirrt.
Dies Reinigen des Häßlichen vom Unbestimmten, Zufälligen,
Charakterlosen, ist ein Act der Idealisirung, die nicht im Hin¬
zuthun eines dem Häßlichen fremden Schönen, sondern in
einer prägnanten Hervorkehrung derjenigen Elemente besteht,
die es zum Gegensatz des Schönen stempeln und in denen,
so zu sagen, seine Originalität, als die des ästhetischen
Widerspruchs liegt. Die Griechen erreichten in dieser Ideali¬
sirung allerdings zuweilen einen Punct, wo sie das Häßliche
aufhoben und in das positiv Schöne umbildeten, wie bei
den Eumeniden und bei der Meduse (14). Wenn man aber
sich häufig vorgestellt hat, als ob die Griechen die ideale
Schönheit vorzüglich in einer heitern Ruhe gesucht und die
Bewegtheit und Heftigkeit des Ausdrucks als häßlich ge¬
mieden hätten, so ist dies eine zu enge, von einzelnen Sculp¬
turwerken hergenommene Vorstellung ihrer Kunst. Von der
Poesie wird man dies bei einigem Nachdenken bald einräumen;

Weſen, nach ihrer Wahrheit, als Idee. In der gemeinen
Wirklichkeit mangelt es niemals an den empörendſten und
widerwärtigſten Häßlichkeiten; die Kunſt darf dieſelben nicht
ſo ohne Weiteres aufnehmen. Sie muß uns das Häßliche
in der ganzen Schärfe ſeines Unweſens vorführen, aber ſie
muß dies dennoch mit derjenigen Idealität thun, mit der ſie
auch das Schöne behandelt. Bei dieſem läßt ſie vom Inhalt
deſſelben Alles hinweg, was ſeiner nur zufälligen Exiſtenz
angehört. Sie hebt das Bedeutſame einer Erſcheinung her¬
vor und verwiſcht in ihm die unweſentlichen Züge. Das
Gleiche muß ſie mit dem Häßlichen thun. Sie muß an ihm
diejenigen Beſtimmungen und Formen herausſtellen, die das
Häßliche zum Häßlichen machen, allein ſie muß alles das¬
jenige von ihm entfernen, was ſich nur zufällig in ſein Da¬
ſein eindrängt und ſeine Charakteriſtik ſchwächt oder verwirrt.
Dies Reinigen des Häßlichen vom Unbeſtimmten, Zufälligen,
Charakterloſen, iſt ein Act der Idealiſirung, die nicht im Hin¬
zuthun eines dem Häßlichen fremden Schönen, ſondern in
einer prägnanten Hervorkehrung derjenigen Elemente beſteht,
die es zum Gegenſatz des Schönen ſtempeln und in denen,
ſo zu ſagen, ſeine Originalität, als die des äſthetiſchen
Widerſpruchs liegt. Die Griechen erreichten in dieſer Ideali¬
ſirung allerdings zuweilen einen Punct, wo ſie das Häßliche
aufhoben und in das poſitiv Schöne umbildeten, wie bei
den Eumeniden und bei der Meduſe (14). Wenn man aber
ſich häufig vorgeſtellt hat, als ob die Griechen die ideale
Schönheit vorzüglich in einer heitern Ruhe geſucht und die
Bewegtheit und Heftigkeit des Ausdrucks als häßlich ge¬
mieden hätten, ſo iſt dies eine zu enge, von einzelnen Sculp¬
turwerken hergenommene Vorſtellung ihrer Kunſt. Von der
Poeſie wird man dies bei einigem Nachdenken bald einräumen;

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[43/0065] Weſen, nach ihrer Wahrheit, als Idee. In der gemeinen Wirklichkeit mangelt es niemals an den empörendſten und widerwärtigſten Häßlichkeiten; die Kunſt darf dieſelben nicht ſo ohne Weiteres aufnehmen. Sie muß uns das Häßliche in der ganzen Schärfe ſeines Unweſens vorführen, aber ſie muß dies dennoch mit derjenigen Idealität thun, mit der ſie auch das Schöne behandelt. Bei dieſem läßt ſie vom Inhalt deſſelben Alles hinweg, was ſeiner nur zufälligen Exiſtenz angehört. Sie hebt das Bedeutſame einer Erſcheinung her¬ vor und verwiſcht in ihm die unweſentlichen Züge. Das Gleiche muß ſie mit dem Häßlichen thun. Sie muß an ihm diejenigen Beſtimmungen und Formen herausſtellen, die das Häßliche zum Häßlichen machen, allein ſie muß alles das¬ jenige von ihm entfernen, was ſich nur zufällig in ſein Da¬ ſein eindrängt und ſeine Charakteriſtik ſchwächt oder verwirrt. Dies Reinigen des Häßlichen vom Unbeſtimmten, Zufälligen, Charakterloſen, iſt ein Act der Idealiſirung, die nicht im Hin¬ zuthun eines dem Häßlichen fremden Schönen, ſondern in einer prägnanten Hervorkehrung derjenigen Elemente beſteht, die es zum Gegenſatz des Schönen ſtempeln und in denen, ſo zu ſagen, ſeine Originalität, als die des äſthetiſchen Widerſpruchs liegt. Die Griechen erreichten in dieſer Ideali¬ ſirung allerdings zuweilen einen Punct, wo ſie das Häßliche aufhoben und in das poſitiv Schöne umbildeten, wie bei den Eumeniden und bei der Meduſe (14). Wenn man aber ſich häufig vorgeſtellt hat, als ob die Griechen die ideale Schönheit vorzüglich in einer heitern Ruhe geſucht und die Bewegtheit und Heftigkeit des Ausdrucks als häßlich ge¬ mieden hätten, ſo iſt dies eine zu enge, von einzelnen Sculp¬ turwerken hergenommene Vorſtellung ihrer Kunſt. Von der Poeſie wird man dies bei einigem Nachdenken bald einräumen;

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/65>, abgerufen am 27.04.2024.