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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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(12) S. 24. Daub: Judas Ischarioth oder das Böse in
Verhältniß zum Guten, Zweites Heft, I. Abtheil. Heidelberg 1818,
S. 350. ff. Eine Hauptstelle S. 352.: "Der gewaltsame Tod z. B.
einer ganzen, einst in den Fluthen untergegangenen Thierwelt ist darum
nicht weniger gewaltsam, also nicht weniger widernatürlich,
weil sie etwa wie versuchsweise entstanden war, und er, nachdem die
Fluthen ihre Canäle und Becken gefunden hatten, für eine andre und
vielleicht für das Menschengeschlecht selber auf Erden, wie aus Absicht
und Vorbedacht, Platz gemacht -- Euch aber Gelegenheit gegeben hat,
an den Gerippen jener Urthiere (?) Eure Neugierde zu befriedigen,
und an ihrem Gebiß Euren Witz zu schärfen. Daran, daß sie, statt
ihr Leben zu verleben, ersäuft, erstickt, oder in irgend anderer Art um¬
gebracht worden, mag ihnen Recht geschehen sein; ihre gewaltsame
Vertilgung bleibt nichts desto weniger eine Ermordung, die durch
das in der Natur Unnatürliche, nicht aber durch die Natur selbst, ge¬
schweige durch die Gottheit geschah. Dieselbe tückische Gewalt, die
dort (s. Luc. 8, 33.) eine Heerde Säue ins Wasser stürzt, daß sie
ersaufen, stürzte hier die Gewässer über Eure Mammuths und Höh¬
lenbären, über Eure Megatherien und andre solche Bestien her; und
eben sie, die in jedem Element gleichsam wie im Hinterhalt, lauert,
nicht aber das Element selber ist es, wodurch, wie z. B. Erdbeben,
örtliche Ueberschwemmungen und sonstige Calamitäten lehren, das Leben
der Thiere, die Werke des Menschen, und selbst das Leben dieses, mit
Freiheit und Vernunft ausgerüsteten, Königs der Erde immer noch
und immerfort gefährdet wird, denn "was fragen, mit dem Dichter
zu reden, die brüllenden Wogen im Sturm nach dem Namen eines
Königs?" Die Natur hat ihre Schrecken, aber das in ihr Schrecken
Erregende ist weder die Natur selbst, sie, ein Werk der ewigen Liebe,
noch die Uebernatur, sie, die ewige Liebe selber; und wenn Euch der
Glaube an die göttliche Macht fehlt, die Wind und Meer bedräuet,
so daß es stille wird (Matth. 8, 26.), wird ihn Eure Meinung von
der physischen Nothwendigkeit des sogenannten physischen Uebels
ersetzen? Oder wisset Ihr Euch etwa so sicher, daß obgedachte Schrecken
für Euch keine sind?" Eine Widerlegung dieser Theorie habe ich in
meiner Abhandlung: über die Verklärung der Natur, in den Studien
I., 1839, S. 155 ff., versucht und den Punct der Häßlichkeit, so weit
er hier einschlägt, S. 185-92 berührt.

(13) S. 41. Göthe, Werke, 28., S. 111-119. Wir
wollen aus den Thorheiten des Prinzen Pallagonia die Elemente
seiner Tollheit, wie Göthe sich ausdrückt, herausheben. S. 115:
"Menschen: Bettler, Bettlerinnen, Spanier, Spanierinnen, Mohren,

(12) S. 24. Daub: Judas Iſcharioth oder das Böſe in
Verhältniß zum Guten, Zweites Heft, I. Abtheil. Heidelberg 1818,
S. 350. ff. Eine Hauptſtelle S. 352.: „Der gewaltſame Tod z. B.
einer ganzen, einſt in den Fluthen untergegangenen Thierwelt iſt darum
nicht weniger gewaltſam, alſo nicht weniger widernatürlich,
weil ſie etwa wie verſuchsweiſe entſtanden war, und er, nachdem die
Fluthen ihre Canäle und Becken gefunden hatten, für eine andre und
vielleicht für das Menſchengeſchlecht ſelber auf Erden, wie aus Abſicht
und Vorbedacht, Platz gemacht — Euch aber Gelegenheit gegeben hat,
an den Gerippen jener Urthiere (?) Eure Neugierde zu befriedigen,
und an ihrem Gebiß Euren Witz zu ſchärfen. Daran, daß ſie, ſtatt
ihr Leben zu verleben, erſäuft, erſtickt, oder in irgend anderer Art um¬
gebracht worden, mag ihnen Recht geſchehen ſein; ihre gewaltſame
Vertilgung bleibt nichts deſto weniger eine Ermordung, die durch
das in der Natur Unnatürliche, nicht aber durch die Natur ſelbſt, ge¬
ſchweige durch die Gottheit geſchah. Dieſelbe tückiſche Gewalt, die
dort (ſ. Luc. 8, 33.) eine Heerde Säue ins Waſſer ſtürzt, daß ſie
erſaufen, ſtürzte hier die Gewäſſer über Eure Mammuths und Höh¬
lenbären, über Eure Megatherien und andre ſolche Beſtien her; und
eben ſie, die in jedem Element gleichſam wie im Hinterhalt, lauert,
nicht aber das Element ſelber iſt es, wodurch, wie z. B. Erdbeben,
örtliche Ueberſchwemmungen und ſonſtige Calamitäten lehren, das Leben
der Thiere, die Werke des Menſchen, und ſelbſt das Leben dieſes, mit
Freiheit und Vernunft ausgerüſteten, Königs der Erde immer noch
und immerfort gefährdet wird, denn „was fragen, mit dem Dichter
zu reden, die brüllenden Wogen im Sturm nach dem Namen eines
Königs?“ Die Natur hat ihre Schrecken, aber das in ihr Schrecken
Erregende iſt weder die Natur ſelbſt, ſie, ein Werk der ewigen Liebe,
noch die Uebernatur, ſie, die ewige Liebe ſelber; und wenn Euch der
Glaube an die göttliche Macht fehlt, die Wind und Meer bedräuet,
ſo daß es ſtille wird (Matth. 8, 26.), wird ihn Eure Meinung von
der phyſiſchen Nothwendigkeit des ſogenannten phyſiſchen Uebels
erſetzen? Oder wiſſet Ihr Euch etwa ſo ſicher, daß obgedachte Schrecken
für Euch keine ſind?“ Eine Widerlegung dieſer Theorie habe ich in
meiner Abhandlung: über die Verklärung der Natur, in den Studien
I., 1839, S. 155 ff., verſucht und den Punct der Häßlichkeit, ſo weit
er hier einſchlägt, S. 185–92 berührt.

(13) S. 41. Göthe, Werke, 28., S. 111–119. Wir
wollen aus den Thorheiten des Prinzen Pallagonia die Elemente
ſeiner Tollheit, wie Göthe ſich ausdrückt, herausheben. S. 115:
Menſchen: Bettler, Bettlerinnen, Spanier, Spanierinnen, Mohren,

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[439/0461] (12) S. 24. Daub: Judas Iſcharioth oder das Böſe in Verhältniß zum Guten, Zweites Heft, I. Abtheil. Heidelberg 1818, S. 350. ff. Eine Hauptſtelle S. 352.: „Der gewaltſame Tod z. B. einer ganzen, einſt in den Fluthen untergegangenen Thierwelt iſt darum nicht weniger gewaltſam, alſo nicht weniger widernatürlich, weil ſie etwa wie verſuchsweiſe entſtanden war, und er, nachdem die Fluthen ihre Canäle und Becken gefunden hatten, für eine andre und vielleicht für das Menſchengeſchlecht ſelber auf Erden, wie aus Abſicht und Vorbedacht, Platz gemacht — Euch aber Gelegenheit gegeben hat, an den Gerippen jener Urthiere (?) Eure Neugierde zu befriedigen, und an ihrem Gebiß Euren Witz zu ſchärfen. Daran, daß ſie, ſtatt ihr Leben zu verleben, erſäuft, erſtickt, oder in irgend anderer Art um¬ gebracht worden, mag ihnen Recht geſchehen ſein; ihre gewaltſame Vertilgung bleibt nichts deſto weniger eine Ermordung, die durch das in der Natur Unnatürliche, nicht aber durch die Natur ſelbſt, ge¬ ſchweige durch die Gottheit geſchah. Dieſelbe tückiſche Gewalt, die dort (ſ. Luc. 8, 33.) eine Heerde Säue ins Waſſer ſtürzt, daß ſie erſaufen, ſtürzte hier die Gewäſſer über Eure Mammuths und Höh¬ lenbären, über Eure Megatherien und andre ſolche Beſtien her; und eben ſie, die in jedem Element gleichſam wie im Hinterhalt, lauert, nicht aber das Element ſelber iſt es, wodurch, wie z. B. Erdbeben, örtliche Ueberſchwemmungen und ſonſtige Calamitäten lehren, das Leben der Thiere, die Werke des Menſchen, und ſelbſt das Leben dieſes, mit Freiheit und Vernunft ausgerüſteten, Königs der Erde immer noch und immerfort gefährdet wird, denn „was fragen, mit dem Dichter zu reden, die brüllenden Wogen im Sturm nach dem Namen eines Königs?“ Die Natur hat ihre Schrecken, aber das in ihr Schrecken Erregende iſt weder die Natur ſelbſt, ſie, ein Werk der ewigen Liebe, noch die Uebernatur, ſie, die ewige Liebe ſelber; und wenn Euch der Glaube an die göttliche Macht fehlt, die Wind und Meer bedräuet, ſo daß es ſtille wird (Matth. 8, 26.), wird ihn Eure Meinung von der phyſiſchen Nothwendigkeit des ſogenannten phyſiſchen Uebels erſetzen? Oder wiſſet Ihr Euch etwa ſo ſicher, daß obgedachte Schrecken für Euch keine ſind?“ Eine Widerlegung dieſer Theorie habe ich in meiner Abhandlung: über die Verklärung der Natur, in den Studien I., 1839, S. 155 ff., verſucht und den Punct der Häßlichkeit, ſo weit er hier einſchlägt, S. 185–92 berührt. (13) S. 41. Göthe, Werke, 28., S. 111–119. Wir wollen aus den Thorheiten des Prinzen Pallagonia die Elemente ſeiner Tollheit, wie Göthe ſich ausdrückt, herausheben. S. 115: „Menſchen: Bettler, Bettlerinnen, Spanier, Spanierinnen, Mohren,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/461>, abgerufen am 02.05.2024.