Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

das uns die Wirklichkeit nur mit treuem Griffel abzuschreiben
scheint, dabei aber das carikirende Element nicht verbirgt,
in welches so viele Typen der heutigen Gesellschaft eingetaucht
sind. Wir meinen Les Francais peints par eux memes;
Encyclopedie morale du dix neuvieme siecle. Dies mit den
trefflichsten Zeichnungen von den ersten Künstlern ausge¬
stattete, von den classischen Autoren Frankreichs geschriebene
Werk erschien in acht Quartbänden von 1841 ab und ver¬
dient von Psychologen, Moralisten, Dichtern, Geistlichen
und Staatsmännern weit mehr gekannt zu werden, als es
den Anschein hat. Drei Bände dieses Werks enthalten die
Typen der Provinzen. Die Artikel über die Armee, über
die Forcats, über St. Lazare und ähnliche sind mit der
gründlichsten Wissenschaftlichkeit geschrieben. Der diable a
Paris
oder Paris et les Parisiens, der 1845 in zwei Quart¬
bänden erschien, ist als eine Fortsetzung zu betrachten, die
jedoch schon mehr nur der Unterhaltung gewidmet ist und
sich fast ausschließlich mit den Caricaturen beschäftigt, welche
das feinere und rohere Proletariat liefert bis herunter zu
den Bettlern und den Prostituirten.

Wie Völker und Städte, so sehen wir auch die ver¬
schiedenen Stände der Gesellschaft sich gegenseitig carikiren.
Der Bauer, der Soldat, der Schulmeister, der Barbier,
der Schuster, der Schneider, der Krämer, der Literat und
Winkelpoet, der Thürhüter, der Aufwärter, u. s. w. werden
in Zerrbildern fixirt, die sich von Epoche zu Epoche meta¬
morphosiren, aber immer dieselbe Richtung erneuen.

Endlich geben die Verschiedenheit des Geschlechts
und der Altersstufen das Material zu Carikirungen ab.
Man könnte zu ihnen auch die Leidenschaften hinzurech¬
nen, wie Theophrastos in seinen Charakteren, nach

das uns die Wirklichkeit nur mit treuem Griffel abzuſchreiben
ſcheint, dabei aber das carikirende Element nicht verbirgt,
in welches ſo viele Typen der heutigen Geſellſchaft eingetaucht
ſind. Wir meinen Les Français peints par eux mêmes;
Encyclopédie morale du dix neuvième siècle. Dies mit den
trefflichſten Zeichnungen von den erſten Künſtlern ausge¬
ſtattete, von den claſſiſchen Autoren Frankreichs geſchriebene
Werk erſchien in acht Quartbänden von 1841 ab und ver¬
dient von Pſychologen, Moraliſten, Dichtern, Geiſtlichen
und Staatsmännern weit mehr gekannt zu werden, als es
den Anſchein hat. Drei Bände dieſes Werks enthalten die
Typen der Provinzen. Die Artikel über die Armee, über
die Forçats, über St. Lazare und ähnliche ſind mit der
gründlichſten Wiſſenſchaftlichkeit geſchrieben. Der diable à
Paris
oder Paris et les Parisiens, der 1845 in zwei Quart¬
bänden erſchien, iſt als eine Fortſetzung zu betrachten, die
jedoch ſchon mehr nur der Unterhaltung gewidmet iſt und
ſich faſt ausſchließlich mit den Caricaturen beſchäftigt, welche
das feinere und rohere Proletariat liefert bis herunter zu
den Bettlern und den Proſtituirten.

Wie Völker und Städte, ſo ſehen wir auch die ver¬
ſchiedenen Stände der Geſellſchaft ſich gegenſeitig carikiren.
Der Bauer, der Soldat, der Schulmeiſter, der Barbier,
der Schuſter, der Schneider, der Krämer, der Literat und
Winkelpoet, der Thürhüter, der Aufwärter, u. ſ. w. werden
in Zerrbildern fixirt, die ſich von Epoche zu Epoche meta¬
morphoſiren, aber immer dieſelbe Richtung erneuen.

Endlich geben die Verſchiedenheit des Geſchlechts
und der Altersſtufen das Material zu Carikirungen ab.
Man könnte zu ihnen auch die Leidenſchaften hinzurech¬
nen, wie Theophraſtos in ſeinen Charakteren, nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0438" n="416"/>
das uns die Wirklichkeit nur mit treuem Griffel abzu&#x017F;chreiben<lb/>
&#x017F;cheint, dabei aber das carikirende Element nicht verbirgt,<lb/>
in welches &#x017F;o viele Typen der heutigen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft eingetaucht<lb/>
&#x017F;ind. Wir meinen <hi rendition="#aq">Les Français peints par eux mêmes;</hi><lb/><choice><sic><hi rendition="#aq">Fncyclopédie</hi></sic><corr><hi rendition="#aq">Encyclopédie</hi></corr></choice> <hi rendition="#aq">morale du dix neuvième siècle</hi>. Dies mit den<lb/>
trefflich&#x017F;ten Zeichnungen von den er&#x017F;ten Kün&#x017F;tlern ausge¬<lb/>
&#x017F;tattete, von den cla&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Autoren Frankreichs ge&#x017F;chriebene<lb/>
Werk er&#x017F;chien in acht Quartbänden von 1841 ab und ver¬<lb/>
dient von P&#x017F;ychologen, Morali&#x017F;ten, Dichtern, Gei&#x017F;tlichen<lb/>
und Staatsmännern weit mehr gekannt zu werden, als es<lb/>
den An&#x017F;chein hat. Drei Bände die&#x017F;es Werks enthalten die<lb/>
Typen der Provinzen. Die Artikel über die Armee, über<lb/>
die <hi rendition="#aq">Forçats,</hi> über St. Lazare und ähnliche &#x017F;ind mit der<lb/>
gründlich&#x017F;ten Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaftlichkeit ge&#x017F;chrieben. Der <hi rendition="#aq">diable à<lb/>
Paris</hi> oder <hi rendition="#aq">Paris et les Parisiens</hi>, der 1845 in zwei Quart¬<lb/>
bänden er&#x017F;chien, i&#x017F;t als eine Fort&#x017F;etzung zu betrachten, die<lb/>
jedoch &#x017F;chon mehr nur der Unterhaltung gewidmet i&#x017F;t und<lb/>
&#x017F;ich fa&#x017F;t aus&#x017F;chließlich mit den Caricaturen be&#x017F;chäftigt, welche<lb/>
das feinere und rohere Proletariat liefert bis herunter zu<lb/>
den Bettlern und den Pro&#x017F;tituirten.</p><lb/>
            <p>Wie Völker und Städte, &#x017F;o &#x017F;ehen wir auch die ver¬<lb/>
&#x017F;chiedenen <hi rendition="#g">Stände</hi> der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;ich gegen&#x017F;eitig carikiren.<lb/>
Der Bauer, der Soldat, der Schulmei&#x017F;ter, der Barbier,<lb/>
der Schu&#x017F;ter, der Schneider, der Krämer, der Literat und<lb/>
Winkelpoet, der Thürhüter, der Aufwärter, u. &#x017F;. w. werden<lb/>
in Zerrbildern fixirt, die &#x017F;ich von Epoche zu Epoche meta¬<lb/>
morpho&#x017F;iren, aber immer die&#x017F;elbe Richtung erneuen.</p><lb/>
            <p>Endlich geben die Ver&#x017F;chiedenheit des <hi rendition="#g">Ge&#x017F;chlechts</hi><lb/>
und der <hi rendition="#g">Alters&#x017F;tufen</hi> das Material zu Carikirungen ab.<lb/>
Man könnte zu ihnen auch die <hi rendition="#g">Leiden&#x017F;chaften</hi> hinzurech¬<lb/>
nen, wie <hi rendition="#g">Theophra&#x017F;tos</hi> in &#x017F;einen <hi rendition="#g">Charakteren</hi>, nach<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0438] das uns die Wirklichkeit nur mit treuem Griffel abzuſchreiben ſcheint, dabei aber das carikirende Element nicht verbirgt, in welches ſo viele Typen der heutigen Geſellſchaft eingetaucht ſind. Wir meinen Les Français peints par eux mêmes; Encyclopédie morale du dix neuvième siècle. Dies mit den trefflichſten Zeichnungen von den erſten Künſtlern ausge¬ ſtattete, von den claſſiſchen Autoren Frankreichs geſchriebene Werk erſchien in acht Quartbänden von 1841 ab und ver¬ dient von Pſychologen, Moraliſten, Dichtern, Geiſtlichen und Staatsmännern weit mehr gekannt zu werden, als es den Anſchein hat. Drei Bände dieſes Werks enthalten die Typen der Provinzen. Die Artikel über die Armee, über die Forçats, über St. Lazare und ähnliche ſind mit der gründlichſten Wiſſenſchaftlichkeit geſchrieben. Der diable à Paris oder Paris et les Parisiens, der 1845 in zwei Quart¬ bänden erſchien, iſt als eine Fortſetzung zu betrachten, die jedoch ſchon mehr nur der Unterhaltung gewidmet iſt und ſich faſt ausſchließlich mit den Caricaturen beſchäftigt, welche das feinere und rohere Proletariat liefert bis herunter zu den Bettlern und den Proſtituirten. Wie Völker und Städte, ſo ſehen wir auch die ver¬ ſchiedenen Stände der Geſellſchaft ſich gegenſeitig carikiren. Der Bauer, der Soldat, der Schulmeiſter, der Barbier, der Schuſter, der Schneider, der Krämer, der Literat und Winkelpoet, der Thürhüter, der Aufwärter, u. ſ. w. werden in Zerrbildern fixirt, die ſich von Epoche zu Epoche meta¬ morphoſiren, aber immer dieſelbe Richtung erneuen. Endlich geben die Verſchiedenheit des Geſchlechts und der Altersſtufen das Material zu Carikirungen ab. Man könnte zu ihnen auch die Leidenſchaften hinzurech¬ nen, wie Theophraſtos in ſeinen Charakteren, nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/438
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/438>, abgerufen am 22.11.2024.