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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Form begegnen wir z. B. unter den Bildern der Boissera
schen Sammlung bei einer Versuchung Christi von Pate¬
nier
, auf welcher dem Teufel in der Kutte nur die kleinen
Krallen an der Hand als Symbol geblieben sind, übrigens
die ganze Energie des diabolischen Ausdrucks in die Indi¬
vidualisirung der Gestalt und Physiognomie verlegt ist, eine
natürlich viel schwierigere Leistung, als eine Darstellung, die
sich auf die attributive Verdeutlichung stützt. So hat auch
der Holländische Maler Christoph van Sichem, Faust ge¬
genüber den Teufel als Franciscaner gemalt, eine gedrungene
Gestalt mit einem kraftvollen, rundlichen Gesichte voll Sinn¬
lichkeit und Tücke und mit einer kleinen aber durch die
Kürze ihrer dicken fleischigen Finger unangenehmen Hand (88).
Der Mephostophilis der alten Faustsage treibt mit dem
Doctor viel speculative Theologie über den Ursprung der
Welt, über die Ordnungen der Geister, über das Wesen der
Sünde, über alle Heimlichkeiten des Jenseits, und zu diesen
Tiefsinnigkeiten paßt die Mönchsfigur ganz gut. Heine in
seinem Tanzpoem Faust bemerkt S. 87, daß Göthe diese
Seite der alten Sage, die noch in der Tragödie Faust des
Engländers Marlowe 1604 sichtbar ist, nicht gekannt
haben müsse, daß er die Elemente zu seinem Faust wohl nur
aus dem Puppenspiel nicht aus dem Volksbuche entlehnt
habe: "Er hätte sonst in keiner so säuisch spaßhaften, so
cynisch sterilen Maske den Mephistopheles erscheinen lassen.
Dieser ist kein gewöhnlicher Höllenlump, er ist ein subtiler
Geist, wie er sich selbst nennt, sehr vornehm und nobel
und hochgestellt in der unterweltlichen Hierarchie, im hölli¬
schen Gouvernemente, wo er einer jener Staatsmänner ist,
woraus man einen Reichskanzler machen kann". Dieser
Tadel ist wohl irrig, denn es fehlt dem Mephisto zwar die

Form begegnen wir z. B. unter den Bildern der Boiſſerá
ſchen Sammlung bei einer Verſuchung Chriſti von Pate¬
nier
, auf welcher dem Teufel in der Kutte nur die kleinen
Krallen an der Hand als Symbol geblieben ſind, übrigens
die ganze Energie des diaboliſchen Ausdrucks in die Indi¬
vidualiſirung der Geſtalt und Phyſiognomie verlegt iſt, eine
natürlich viel ſchwierigere Leiſtung, als eine Darſtellung, die
ſich auf die attributive Verdeutlichung ſtützt. So hat auch
der Holländiſche Maler Chriſtoph van Sichem, Fauſt ge¬
genüber den Teufel als Franciscaner gemalt, eine gedrungene
Geſtalt mit einem kraftvollen, rundlichen Geſichte voll Sinn¬
lichkeit und Tücke und mit einer kleinen aber durch die
Kürze ihrer dicken fleiſchigen Finger unangenehmen Hand (88).
Der Mephoſtophilis der alten Fauſtſage treibt mit dem
Doctor viel ſpeculative Theologie über den Urſprung der
Welt, über die Ordnungen der Geiſter, über das Weſen der
Sünde, über alle Heimlichkeiten des Jenſeits, und zu dieſen
Tiefſinnigkeiten paßt die Mönchsfigur ganz gut. Heine in
ſeinem Tanzpoëm Fauſt bemerkt S. 87, daß Göthe dieſe
Seite der alten Sage, die noch in der Tragödie Fauſt des
Engländers Marlowe 1604 ſichtbar iſt, nicht gekannt
haben müſſe, daß er die Elemente zu ſeinem Fauſt wohl nur
aus dem Puppenſpiel nicht aus dem Volksbuche entlehnt
habe: „Er hätte ſonſt in keiner ſo ſäuiſch ſpaßhaften, ſo
cyniſch ſterilen Maske den Mephiſtopheles erſcheinen laſſen.
Dieſer iſt kein gewöhnlicher Höllenlump, er iſt ein ſubtiler
Geiſt, wie er ſich ſelbſt nennt, ſehr vornehm und nobel
und hochgeſtellt in der unterweltlichen Hierarchie, im hölli¬
ſchen Gouvernemente, wo er einer jener Staatsmänner iſt,
woraus man einen Reichskanzler machen kann“. Dieſer
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[380/0402] Form begegnen wir z. B. unter den Bildern der Boiſſeráe¬ ſchen Sammlung bei einer Verſuchung Chriſti von Pate¬ nier, auf welcher dem Teufel in der Kutte nur die kleinen Krallen an der Hand als Symbol geblieben ſind, übrigens die ganze Energie des diaboliſchen Ausdrucks in die Indi¬ vidualiſirung der Geſtalt und Phyſiognomie verlegt iſt, eine natürlich viel ſchwierigere Leiſtung, als eine Darſtellung, die ſich auf die attributive Verdeutlichung ſtützt. So hat auch der Holländiſche Maler Chriſtoph van Sichem, Fauſt ge¬ genüber den Teufel als Franciscaner gemalt, eine gedrungene Geſtalt mit einem kraftvollen, rundlichen Geſichte voll Sinn¬ lichkeit und Tücke und mit einer kleinen aber durch die Kürze ihrer dicken fleiſchigen Finger unangenehmen Hand (88). Der Mephoſtophilis der alten Fauſtſage treibt mit dem Doctor viel ſpeculative Theologie über den Urſprung der Welt, über die Ordnungen der Geiſter, über das Weſen der Sünde, über alle Heimlichkeiten des Jenſeits, und zu dieſen Tiefſinnigkeiten paßt die Mönchsfigur ganz gut. Heine in ſeinem Tanzpoëm Fauſt bemerkt S. 87, daß Göthe dieſe Seite der alten Sage, die noch in der Tragödie Fauſt des Engländers Marlowe 1604 ſichtbar iſt, nicht gekannt haben müſſe, daß er die Elemente zu ſeinem Fauſt wohl nur aus dem Puppenſpiel nicht aus dem Volksbuche entlehnt habe: „Er hätte ſonſt in keiner ſo ſäuiſch ſpaßhaften, ſo cyniſch ſterilen Maske den Mephiſtopheles erſcheinen laſſen. Dieſer iſt kein gewöhnlicher Höllenlump, er iſt ein ſubtiler Geiſt, wie er ſich ſelbſt nennt, ſehr vornehm und nobel und hochgeſtellt in der unterweltlichen Hierarchie, im hölli¬ ſchen Gouvernemente, wo er einer jener Staatsmänner iſt, woraus man einen Reichskanzler machen kann“. Dieſer Tadel iſt wohl irrig, denn es fehlt dem Mephiſto zwar die

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/402>, abgerufen am 21.05.2024.