erscheinen zu lassen. "Alle müssen auf einmal, bei Er¬ blickung desselben, Furcht und Entsetzen auf verschiedene Art äußern, wenn der Anblick nicht die frostige Symmetrie eines Ballets haben soll. Nun richte man einmal eine Heerde dummer Statisten dazu ab; und wenn man sie auf das Glücklichste abgerichtet hat, so bedenke man, wie sehr dieser vielfache Ausdruck des nämlichen Affects die Aufmerksamkeit theilen und von den Hauptpersonen abziehen muß." Wenn nun Lessing an den Geist des Dareios den Aeschyleischen Persern gedacht hätte? Erscheint derselbe nicht außer der Atossa auch dem ganzen Chor? Aber Dareios erscheint eben nicht als Gespenst; es ist von keiner Schuld zwischen ihm und Atossa die Rede, sie will nur ihm, dem großen Könige, das unermeßliche Leid klagen. Das Gespenst, darin hat Lessing Recht, bezieht sich nur auf eine oder auf wenige Personen, denn es hat ein bestimmtes Verhältniß zu ihnen. Shakespeare hat diese ausschließende Beziehung stets mit tiefer Psychologie beachtet. Hamlet sieht des Vaters Geist, die Mutter nicht. Banquo wird von Macbeth, nicht von den Gästen gesehen. Aus dem Zelte des Brutus entfernt sich einer nach dem andern; nur ein Knabe bleibt, den aber der Schlaf auch überwältigt; Brutus ist allein und nun er¬ scheint ihm, dem Mörder, am dämmernden Morgen der ent¬ scheidenden Schlacht, der Geist Cäsars.
Wird die ethische und ätherische Natur des Gespen¬ stischen mit plumpen Händen angefaßt, so sinkt sie in eine niedrigere Stufe, in das Spukhafte herunter, wie es namentlich von den Deutschen Ritter- und Räuberromanen geliebt wird: Pantolino oder das furchtbare Gespenst um Mitternacht; Don Aloyso oder die unerwartete Erscheinung am Kreuzwege u. s. w. Das Spukhafte ist durchschnittlich
erſcheinen zu laſſen. „Alle müſſen auf einmal, bei Er¬ blickung deſſelben, Furcht und Entſetzen auf verſchiedene Art äußern, wenn der Anblick nicht die froſtige Symmetrie eines Ballets haben ſoll. Nun richte man einmal eine Heerde dummer Statiſten dazu ab; und wenn man ſie auf das Glücklichſte abgerichtet hat, ſo bedenke man, wie ſehr dieſer vielfache Ausdruck des nämlichen Affects die Aufmerkſamkeit theilen und von den Hauptperſonen abziehen muß.“ Wenn nun Leſſing an den Geiſt des Dareios den Aeſchyleiſchen Perſern gedacht hätte? Erſcheint derſelbe nicht außer der Atoſſa auch dem ganzen Chor? Aber Dareios erſcheint eben nicht als Geſpenſt; es iſt von keiner Schuld zwiſchen ihm und Atoſſa die Rede, ſie will nur ihm, dem großen Könige, das unermeßliche Leid klagen. Das Geſpenſt, darin hat Leſſing Recht, bezieht ſich nur auf eine oder auf wenige Perſonen, denn es hat ein beſtimmtes Verhältniß zu ihnen. Shakeſpeare hat dieſe ausſchließende Beziehung ſtets mit tiefer Pſychologie beachtet. Hamlet ſieht des Vaters Geiſt, die Mutter nicht. Banquo wird von Macbeth, nicht von den Gäſten geſehen. Aus dem Zelte des Brutus entfernt ſich einer nach dem andern; nur ein Knabe bleibt, den aber der Schlaf auch überwältigt; Brutus iſt allein und nun er¬ ſcheint ihm, dem Mörder, am dämmernden Morgen der ent¬ ſcheidenden Schlacht, der Geiſt Cäſars.
Wird die ethiſche und ätheriſche Natur des Geſpen¬ ſtiſchen mit plumpen Händen angefaßt, ſo ſinkt ſie in eine niedrigere Stufe, in das Spukhafte herunter, wie es namentlich von den Deutſchen Ritter- und Räuberromanen geliebt wird: Pantolino oder das furchtbare Geſpenſt um Mitternacht; Don Aloyſo oder die unerwartete Erſcheinung am Kreuzwege u. ſ. w. Das Spukhafte iſt durchſchnittlich
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erſcheinen zu laſſen. „Alle müſſen auf einmal, bei Er¬
blickung deſſelben, Furcht und Entſetzen auf verſchiedene Art
äußern, wenn der Anblick nicht die froſtige Symmetrie eines
Ballets haben ſoll. Nun richte man einmal eine Heerde
dummer Statiſten dazu ab; und wenn man ſie auf das
Glücklichſte abgerichtet hat, ſo bedenke man, wie ſehr dieſer
vielfache Ausdruck des nämlichen Affects die Aufmerkſamkeit
theilen und von den Hauptperſonen abziehen muß.“ Wenn
nun Leſſing an den Geiſt des Dareios den Aeſchyleiſchen
Perſern gedacht hätte? Erſcheint derſelbe nicht außer der
Atoſſa auch dem ganzen Chor? Aber Dareios erſcheint eben
nicht als Geſpenſt; es iſt von keiner Schuld zwiſchen ihm
und Atoſſa die Rede, ſie will nur ihm, dem großen Könige,
das unermeßliche Leid klagen. Das Geſpenſt, darin hat
Leſſing Recht, bezieht ſich nur auf eine oder auf wenige
Perſonen, denn es hat ein beſtimmtes Verhältniß zu ihnen.
Shakeſpeare hat dieſe ausſchließende Beziehung ſtets mit
tiefer Pſychologie beachtet. Hamlet ſieht des Vaters Geiſt,
die Mutter nicht. Banquo wird von Macbeth, nicht von
den Gäſten geſehen. Aus dem Zelte des Brutus entfernt
ſich einer nach dem andern; nur ein Knabe bleibt, den aber
der Schlaf auch überwältigt; Brutus iſt allein und nun er¬
ſcheint ihm, dem Mörder, am dämmernden Morgen der ent¬
ſcheidenden Schlacht, der Geiſt Cäſars.
Wird die ethiſche und ätheriſche Natur des Geſpen¬
ſtiſchen mit plumpen Händen angefaßt, ſo ſinkt ſie in eine
niedrigere Stufe, in das Spukhafte herunter, wie es
namentlich von den Deutſchen Ritter- und Räuberromanen
geliebt wird: Pantolino oder das furchtbare Geſpenſt um
Mitternacht; Don Aloyſo oder die unerwartete Erſcheinung
am Kreuzwege u. ſ. w. Das Spukhafte iſt durchſchnittlich
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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