ihre jungen und schönen Nichten zur Heirath zwingen wollen, wie Doctor Bartolo im Barbier von Sevilla, verdienen, wie er, geprellt zu werden und wir sympathisiren sofort, dem habsüchtigen Alten entgegen, mit allen Listen, die ihn in sei¬ nen schnöden Ränken zu Schanden machen, -- Der Ehebruch, als wirklicher Ehebruch, läßt keine komische, nur eine tragische Behandlung zu (76). In einer Unzahl mittelaltriger Geschicht¬ chen, Französischer Contes, Italienischer Novellen (77), Deut¬ scher Schwänke, ist der Ehebruch nur von Seiten des Verstandes dargestellt worden, nämlich die Hindernisse zu überwinden, die sich den Liebenden entgegenstellen. Das sittliche Moment ist ganz ignorirt und durch solche Abstraction allerdings eine Komik möglich gemacht. Kotzebue freilich hat in seinem Schauspiel Menschenhaß und Reue, den Ehebruch auch in einer Weise dargestellt, die nicht tragisch und auch nicht komisch ist. Er wird nämlich, wie das empirisch der Welt Lauf, verziehen -- der Kinder wegen. Meinau und Eulalie sehen sich nach vier Jahren wieder. Ihre Zusammenkunft schließt mit dem erschütternden Entschluß der Wiedertrennung. Da eilen die Kinder, diese wahren Helden Kotzebue's, her¬ bei -- und halten Vater und Mutter zusammen. Kotzebue hat damit nur eine höchst traurige, aber sehr gewöhnliche Thatsache ausgedrückt, daß nämlich viele Ehen, innerlich untergraben, auch äußerlich zusammenbrechen würden, wenn nicht der Gedanke, den Kindern gegenüber mit dem öffent¬ lichen Eingeständniß der Schuld die Pietät in ihnen zu ver¬ giften, die Eltern in leidlicher Scheineinheit zusammenhielte. Diese Motivirung, der tragischen Resignation die Spitze ab¬ zubrechen, ist es unstreitig gewesen, welche diesem Schauspiel durch ganz Europa hin einen so beispiellosen Erfolg erwarb und unter den Damen selbst die Eulalienhüte in Mode brachte.
ihre jungen und ſchönen Nichten zur Heirath zwingen wollen, wie Doctor Bartolo im Barbier von Sevilla, verdienen, wie er, geprellt zu werden und wir ſympathiſiren ſofort, dem habſüchtigen Alten entgegen, mit allen Liſten, die ihn in ſei¬ nen ſchnöden Ränken zu Schanden machen, — Der Ehebruch, als wirklicher Ehebruch, läßt keine komiſche, nur eine tragiſche Behandlung zu (76). In einer Unzahl mittelaltriger Geſchicht¬ chen, Franzöſiſcher Contes, Italieniſcher Novellen (77), Deut¬ ſcher Schwänke, iſt der Ehebruch nur von Seiten des Verſtandes dargeſtellt worden, nämlich die Hinderniſſe zu überwinden, die ſich den Liebenden entgegenſtellen. Das ſittliche Moment iſt ganz ignorirt und durch ſolche Abſtraction allerdings eine Komik möglich gemacht. Kotzebue freilich hat in ſeinem Schauſpiel Menſchenhaß und Reue, den Ehebruch auch in einer Weiſe dargeſtellt, die nicht tragiſch und auch nicht komiſch iſt. Er wird nämlich, wie das empiriſch der Welt Lauf, verziehen — der Kinder wegen. Meinau und Eulalie ſehen ſich nach vier Jahren wieder. Ihre Zuſammenkunft ſchließt mit dem erſchütternden Entſchluß der Wiedertrennung. Da eilen die Kinder, dieſe wahren Helden Kotzebue's, her¬ bei — und halten Vater und Mutter zuſammen. Kotzebue hat damit nur eine höchſt traurige, aber ſehr gewöhnliche Thatſache ausgedrückt, daß nämlich viele Ehen, innerlich untergraben, auch äußerlich zuſammenbrechen würden, wenn nicht der Gedanke, den Kindern gegenüber mit dem öffent¬ lichen Eingeſtändniß der Schuld die Pietät in ihnen zu ver¬ giften, die Eltern in leidlicher Scheineinheit zuſammenhielte. Dieſe Motivirung, der tragiſchen Reſignation die Spitze ab¬ zubrechen, iſt es unſtreitig geweſen, welche dieſem Schauſpiel durch ganz Europa hin einen ſo beiſpielloſen Erfolg erwarb und unter den Damen ſelbſt die Eulalienhüte in Mode brachte.
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ihre jungen und ſchönen Nichten zur Heirath zwingen wollen,
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habſüchtigen Alten entgegen, mit allen Liſten, die ihn in ſei¬
nen ſchnöden Ränken zu Schanden machen, — Der Ehebruch,
als wirklicher Ehebruch, läßt keine komiſche, nur eine tragiſche
Behandlung zu (76). In einer Unzahl mittelaltriger Geſchicht¬
chen, Franzöſiſcher Contes, Italieniſcher Novellen (77), Deut¬
ſcher Schwänke, iſt der Ehebruch nur von Seiten des Verſtandes
dargeſtellt worden, nämlich die Hinderniſſe zu überwinden,
die ſich den Liebenden entgegenſtellen. Das ſittliche Moment
iſt ganz ignorirt und durch ſolche Abſtraction allerdings eine
Komik möglich gemacht. Kotzebue freilich hat in ſeinem
Schauſpiel Menſchenhaß und Reue, den Ehebruch auch
in einer Weiſe dargeſtellt, die nicht tragiſch und auch nicht
komiſch iſt. Er wird nämlich, wie das empiriſch der Welt
Lauf, verziehen — der Kinder wegen. Meinau und Eulalie
ſehen ſich nach vier Jahren wieder. Ihre Zuſammenkunft
ſchließt mit dem erſchütternden Entſchluß der Wiedertrennung.
Da eilen die Kinder, dieſe wahren Helden Kotzebue's, her¬
bei — und halten Vater und Mutter zuſammen. Kotzebue
hat damit nur eine höchſt traurige, aber ſehr gewöhnliche
Thatſache ausgedrückt, daß nämlich viele Ehen, innerlich
untergraben, auch äußerlich zuſammenbrechen würden, wenn
nicht der Gedanke, den Kindern gegenüber mit dem öffent¬
lichen Eingeſtändniß der Schuld die Pietät in ihnen zu ver¬
giften, die Eltern in leidlicher Scheineinheit zuſammenhielte.
Dieſe Motivirung, der tragiſchen Reſignation die Spitze ab¬
zubrechen, iſt es unſtreitig geweſen, welche dieſem Schauſpiel
durch ganz Europa hin einen ſo beiſpielloſen Erfolg erwarb
und unter den Damen ſelbſt die Eulalienhüte in Mode brachte.
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/358>, abgerufen am 23.11.2024.
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