Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

Ungereimtheit enthält, die Zauberei als die an sich be¬
grifflose Realisirung der absoluten Phantasiewillkür. Die
Zauberei ist ein abgeschmacktes Handeln, denn sie bringt
Wirkungen durch Ursachen hervor, die zu ihnen in keinem
Verhältniß stehen. Der Zaubernde dreht einen Ring -- und
es erscheint ein gehorsamster Geist; er berührt einen wüthenden
Tiger mit einem Stäbchen -- und sofort ist derselbe zur
Bildsäule erstarrt; er spricht ein ganz sinnloses, ihm selber
durchaus unverständliches Wort aus -- und ein Palast steigt
aus der Erde. Weil also in der Magie die pragmatische,
Causalität aufgehoben ist, so ist es consequent, wenn auch
ihr Verfahren, ihre Sprüche, Beschwörungen, Begehungen,
ohne allen Verstand sind. Nichtsdestoweniger wird man
auch hier noch jene selbe Doppelrichtung finden, die wir
zuvor als den Unterschied des ächten Wunders vom Mirakel,
des ächten Mährchens von dem krankhaften Pseudoproduct
einer nervenschwachen, verrückten Phantasterei angegeben
haben. Nimmt die Zauberei nämlich die Richtung darauf,
dem Menschen eine höhere Geisterwelt aufzuschließen; will
sie die Pforte eines unbekannten Jenseits eröffnen, so wird
an der Schwelle derselben ein gewisser schrecklicher Ernst
unerläßlich sein, denn es liegt in solchem Unterfangen eine
Art erhabener Verwegenheit. Wird aber der Zweck der
Zauberei ein futiler, läppischer, kleinlich egoistischer, wohl
gar unsittlicher, so ist es in der Ordnung, daß auch ihre
Mittel albern, tollhäuslerisch und frazzenhaft werden. Wenn
der Göthesche Faust den Erdgeist beschwört, so ist dies ein
erhabener Moment, dem auch die Erhabenheit der citirten
Erscheinung entspricht. Wenn dieser selbe Faust aber von
einer Hexe sich einen Trunk brauen läßt, mit dem im Leibe
er Helenen sieht in jedem Weibe, so vernehmen wir in der

Rosenkranz, Aesthetik des Häßlichen. 20

Ungereimtheit enthält, die Zauberei als die an ſich be¬
griffloſe Realiſirung der abſoluten Phantaſiewillkür. Die
Zauberei iſt ein abgeſchmacktes Handeln, denn ſie bringt
Wirkungen durch Urſachen hervor, die zu ihnen in keinem
Verhältniß ſtehen. Der Zaubernde dreht einen Ring — und
es erſcheint ein gehorſamſter Geiſt; er berührt einen wüthenden
Tiger mit einem Stäbchen — und ſofort iſt derſelbe zur
Bildſäule erſtarrt; er ſpricht ein ganz ſinnloſes, ihm ſelber
durchaus unverſtändliches Wort aus — und ein Palaſt ſteigt
aus der Erde. Weil alſo in der Magie die pragmatiſche,
Cauſalität aufgehoben iſt, ſo iſt es conſequent, wenn auch
ihr Verfahren, ihre Sprüche, Beſchwörungen, Begehungen,
ohne allen Verſtand ſind. Nichtsdeſtoweniger wird man
auch hier noch jene ſelbe Doppelrichtung finden, die wir
zuvor als den Unterſchied des ächten Wunders vom Mirakel,
des ächten Mährchens von dem krankhaften Pſeudoproduct
einer nervenſchwachen, verrückten Phantaſterei angegeben
haben. Nimmt die Zauberei nämlich die Richtung darauf,
dem Menſchen eine höhere Geiſterwelt aufzuſchließen; will
ſie die Pforte eines unbekannten Jenſeits eröffnen, ſo wird
an der Schwelle derſelben ein gewiſſer ſchrecklicher Ernſt
unerläßlich ſein, denn es liegt in ſolchem Unterfangen eine
Art erhabener Verwegenheit. Wird aber der Zweck der
Zauberei ein futiler, läppiſcher, kleinlich egoiſtiſcher, wohl
gar unſittlicher, ſo iſt es in der Ordnung, daß auch ihre
Mittel albern, tollhäusleriſch und frazzenhaft werden. Wenn
der Götheſche Fauſt den Erdgeiſt beſchwört, ſo iſt dies ein
erhabener Moment, dem auch die Erhabenheit der citirten
Erſcheinung entſpricht. Wenn dieſer ſelbe Fauſt aber von
einer Hexe ſich einen Trunk brauen läßt, mit dem im Leibe
er Helenen ſieht in jedem Weibe, ſo vernehmen wir in der

Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 20
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0327" n="305"/>
Ungereimtheit enthält, die <hi rendition="#g">Zauberei</hi> als die an &#x017F;ich be¬<lb/>
grifflo&#x017F;e Reali&#x017F;irung der ab&#x017F;oluten Phanta&#x017F;iewillkür. Die<lb/>
Zauberei i&#x017F;t ein abge&#x017F;chmacktes Handeln, denn &#x017F;ie bringt<lb/>
Wirkungen durch Ur&#x017F;achen hervor, die zu ihnen in keinem<lb/>
Verhältniß &#x017F;tehen. Der Zaubernde dreht einen Ring &#x2014; und<lb/>
es er&#x017F;cheint ein gehor&#x017F;am&#x017F;ter Gei&#x017F;t; er berührt einen wüthenden<lb/>
Tiger mit einem Stäbchen &#x2014; und &#x017F;ofort i&#x017F;t der&#x017F;elbe zur<lb/>
Bild&#x017F;äule er&#x017F;tarrt; er &#x017F;pricht ein ganz &#x017F;innlo&#x017F;es, ihm &#x017F;elber<lb/>
durchaus unver&#x017F;tändliches Wort aus &#x2014; und ein Pala&#x017F;t &#x017F;teigt<lb/>
aus der Erde. Weil al&#x017F;o in der Magie die pragmati&#x017F;che,<lb/>
Cau&#x017F;alität aufgehoben i&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t es con&#x017F;equent, wenn auch<lb/>
ihr Verfahren, ihre Sprüche, Be&#x017F;chwörungen, Begehungen,<lb/>
ohne allen Ver&#x017F;tand &#x017F;ind. Nichtsde&#x017F;toweniger wird man<lb/>
auch hier noch jene &#x017F;elbe Doppelrichtung finden, die wir<lb/>
zuvor als den Unter&#x017F;chied des ächten Wunders vom Mirakel,<lb/>
des ächten Mährchens von dem krankhaften P&#x017F;eudoproduct<lb/>
einer nerven&#x017F;chwachen, verrückten Phanta&#x017F;terei angegeben<lb/>
haben. Nimmt die Zauberei nämlich die Richtung darauf,<lb/>
dem Men&#x017F;chen eine höhere Gei&#x017F;terwelt aufzu&#x017F;chließen; will<lb/>
&#x017F;ie die Pforte eines unbekannten Jen&#x017F;eits eröffnen, &#x017F;o wird<lb/>
an der Schwelle der&#x017F;elben ein gewi&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chrecklicher Ern&#x017F;t<lb/>
unerläßlich &#x017F;ein, denn es liegt in &#x017F;olchem Unterfangen eine<lb/>
Art erhabener Verwegenheit. Wird aber der Zweck der<lb/>
Zauberei ein futiler, läppi&#x017F;cher, kleinlich egoi&#x017F;ti&#x017F;cher, wohl<lb/>
gar un&#x017F;ittlicher, &#x017F;o i&#x017F;t es in der Ordnung, daß auch ihre<lb/>
Mittel albern, tollhäusleri&#x017F;ch und frazzenhaft werden. Wenn<lb/>
der Göthe&#x017F;che Fau&#x017F;t den Erdgei&#x017F;t be&#x017F;chwört, &#x017F;o i&#x017F;t dies ein<lb/>
erhabener Moment, dem auch die Erhabenheit der citirten<lb/>
Er&#x017F;cheinung ent&#x017F;pricht. Wenn die&#x017F;er &#x017F;elbe Fau&#x017F;t aber von<lb/>
einer Hexe &#x017F;ich einen Trunk brauen läßt, mit dem im Leibe<lb/>
er Helenen &#x017F;ieht in jedem Weibe, &#x017F;o vernehmen wir in der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Ro&#x017F;enkranz</hi>, Ae&#x017F;thetik des Häßlichen. 20<lb/></fw>
</p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[305/0327] Ungereimtheit enthält, die Zauberei als die an ſich be¬ griffloſe Realiſirung der abſoluten Phantaſiewillkür. Die Zauberei iſt ein abgeſchmacktes Handeln, denn ſie bringt Wirkungen durch Urſachen hervor, die zu ihnen in keinem Verhältniß ſtehen. Der Zaubernde dreht einen Ring — und es erſcheint ein gehorſamſter Geiſt; er berührt einen wüthenden Tiger mit einem Stäbchen — und ſofort iſt derſelbe zur Bildſäule erſtarrt; er ſpricht ein ganz ſinnloſes, ihm ſelber durchaus unverſtändliches Wort aus — und ein Palaſt ſteigt aus der Erde. Weil alſo in der Magie die pragmatiſche, Cauſalität aufgehoben iſt, ſo iſt es conſequent, wenn auch ihr Verfahren, ihre Sprüche, Beſchwörungen, Begehungen, ohne allen Verſtand ſind. Nichtsdeſtoweniger wird man auch hier noch jene ſelbe Doppelrichtung finden, die wir zuvor als den Unterſchied des ächten Wunders vom Mirakel, des ächten Mährchens von dem krankhaften Pſeudoproduct einer nervenſchwachen, verrückten Phantaſterei angegeben haben. Nimmt die Zauberei nämlich die Richtung darauf, dem Menſchen eine höhere Geiſterwelt aufzuſchließen; will ſie die Pforte eines unbekannten Jenſeits eröffnen, ſo wird an der Schwelle derſelben ein gewiſſer ſchrecklicher Ernſt unerläßlich ſein, denn es liegt in ſolchem Unterfangen eine Art erhabener Verwegenheit. Wird aber der Zweck der Zauberei ein futiler, läppiſcher, kleinlich egoiſtiſcher, wohl gar unſittlicher, ſo iſt es in der Ordnung, daß auch ihre Mittel albern, tollhäusleriſch und frazzenhaft werden. Wenn der Götheſche Fauſt den Erdgeiſt beſchwört, ſo iſt dies ein erhabener Moment, dem auch die Erhabenheit der citirten Erſcheinung entſpricht. Wenn dieſer ſelbe Fauſt aber von einer Hexe ſich einen Trunk brauen läßt, mit dem im Leibe er Helenen ſieht in jedem Weibe, ſo vernehmen wir in der Roſenkranz, Aeſthetik des Häßlichen. 20

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/327
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/327>, abgerufen am 22.11.2024.