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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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den Legenden finden wir diese Doppelrichtung wieder. Das
Wunderbare der Mährchenpoesie verliert sich zwar ganz
in das Seltsame und Abenteuerliche und streift mit seinen
Einzelheiten oft ganz ins Absurde, allein so lange sie noch
einen wirklich dichterischen Gehalt besitzt, wird sie auch in
ihrem thaumatischen Element jene symbolische Wahrheit haben,
die wir ihr oben in der Abhandlung über das Incorrecte
vindiciren mußten. Diese Symbolik, der Widerschein der
Idee in der weichen Kinderphantasie, wird das ächte Mährchen
instinctiv mit den großen Mächten des natürlichen und
sittlichen Lebens in Einheit belassen, während das Mährchen,
wie es von unsern pädagogischen Unterhaltungsschriftstellern
oder Goldschnittduodezsalontheetischdichtern jetzt so oft fabri¬
cirt wird, von diesen Mächten abfällt und seine Stärke im
Kindischen sucht. Je absurder, scheinen diese Jugendver¬
derber zu meinen, desto poetischer. Weil in dieser zuchtlosen
Phantasterei, die eine Callot-Hoffmannsche Richtung ins
Extrem trieb, endlich alle Spur der wahren Causalität un¬
tergegangen war und selbst die ordinärsten Meubel endlich
zu denken und zu sprechen anhoben, so wirkte die Manier
des Struwelpeterhoffmann so außerordentlich, weil sie
den haarsträubendsten Unsinn mit einer Art Lapidarpoesie und
Frescomalerei doch wieder naiv vorzutragen und damit die
Quängelei der eleganten, gedankenlosen Mährchenpoeten
zu ironisiren verstand. Hieraus erklärt sich, weshalb die
Erwachsenen merkwürdiger Weise die Struwelpetriaden eben
so gern, als die Kinder lasen, bis der Schwarm der Nach¬
ahmer ihre Manier natürlich auch wieder ins Kindische de¬
gradirt hat. -- Doch zurück von dieser Abschweifung zum
Begriff des Absurden, so ist das, was innerhalb des Mähr¬
chens, ja auch der Mythe, recht eigentlich die Wurzel der

den Legenden finden wir dieſe Doppelrichtung wieder. Das
Wunderbare der Mährchenpoeſie verliert ſich zwar ganz
in das Seltſame und Abenteuerliche und ſtreift mit ſeinen
Einzelheiten oft ganz ins Abſurde, allein ſo lange ſie noch
einen wirklich dichteriſchen Gehalt beſitzt, wird ſie auch in
ihrem thaumatiſchen Element jene ſymboliſche Wahrheit haben,
die wir ihr oben in der Abhandlung über das Incorrecte
vindiciren mußten. Dieſe Symbolik, der Widerſchein der
Idee in der weichen Kinderphantaſie, wird das ächte Mährchen
inſtinctiv mit den großen Mächten des natürlichen und
ſittlichen Lebens in Einheit belaſſen, während das Mährchen,
wie es von unſern pädagogiſchen Unterhaltungsſchriftſtellern
oder Goldſchnittduodezſalontheetiſchdichtern jetzt ſo oft fabri¬
cirt wird, von dieſen Mächten abfällt und ſeine Stärke im
Kindiſchen ſucht. Je abſurder, ſcheinen dieſe Jugendver¬
derber zu meinen, deſto poetiſcher. Weil in dieſer zuchtloſen
Phantaſterei, die eine Callot-Hoffmannſche Richtung ins
Extrem trieb, endlich alle Spur der wahren Cauſalität un¬
tergegangen war und ſelbſt die ordinärſten Meubel endlich
zu denken und zu ſprechen anhoben, ſo wirkte die Manier
des Struwelpeterhoffmann ſo außerordentlich, weil ſie
den haarſträubendſten Unſinn mit einer Art Lapidarpoeſie und
Frescomalerei doch wieder naiv vorzutragen und damit die
Quängelei der eleganten, gedankenloſen Mährchenpoeten
zu ironiſiren verſtand. Hieraus erklärt ſich, weshalb die
Erwachſenen merkwürdiger Weiſe die Struwelpetriaden eben
ſo gern, als die Kinder laſen, bis der Schwarm der Nach¬
ahmer ihre Manier natürlich auch wieder ins Kindiſche de¬
gradirt hat. — Doch zurück von dieſer Abſchweifung zum
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[304/0326] den Legenden finden wir dieſe Doppelrichtung wieder. Das Wunderbare der Mährchenpoeſie verliert ſich zwar ganz in das Seltſame und Abenteuerliche und ſtreift mit ſeinen Einzelheiten oft ganz ins Abſurde, allein ſo lange ſie noch einen wirklich dichteriſchen Gehalt beſitzt, wird ſie auch in ihrem thaumatiſchen Element jene ſymboliſche Wahrheit haben, die wir ihr oben in der Abhandlung über das Incorrecte vindiciren mußten. Dieſe Symbolik, der Widerſchein der Idee in der weichen Kinderphantaſie, wird das ächte Mährchen inſtinctiv mit den großen Mächten des natürlichen und ſittlichen Lebens in Einheit belaſſen, während das Mährchen, wie es von unſern pädagogiſchen Unterhaltungsſchriftſtellern oder Goldſchnittduodezſalontheetiſchdichtern jetzt ſo oft fabri¬ cirt wird, von dieſen Mächten abfällt und ſeine Stärke im Kindiſchen ſucht. Je abſurder, ſcheinen dieſe Jugendver¬ derber zu meinen, deſto poetiſcher. Weil in dieſer zuchtloſen Phantaſterei, die eine Callot-Hoffmannſche Richtung ins Extrem trieb, endlich alle Spur der wahren Cauſalität un¬ tergegangen war und ſelbſt die ordinärſten Meubel endlich zu denken und zu ſprechen anhoben, ſo wirkte die Manier des Struwelpeterhoffmann ſo außerordentlich, weil ſie den haarſträubendſten Unſinn mit einer Art Lapidarpoeſie und Frescomalerei doch wieder naiv vorzutragen und damit die Quängelei der eleganten, gedankenloſen Mährchenpoeten zu ironiſiren verſtand. Hieraus erklärt ſich, weshalb die Erwachſenen merkwürdiger Weiſe die Struwelpetriaden eben ſo gern, als die Kinder laſen, bis der Schwarm der Nach¬ ahmer ihre Manier natürlich auch wieder ins Kindiſche de¬ gradirt hat. — Doch zurück von dieſer Abſchweifung zum Begriff des Abſurden, ſo iſt das, was innerhalb des Mähr¬ chens, ja auch der Mythe, recht eigentlich die Wurzel der

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/326>, abgerufen am 22.11.2024.