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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Hexameter -- und welcher Ueberfluß an poetischer Leerheit!
Man erinnere sich jener gedankenlosen Oden, die in der
musivischen Anhäufung traditioneller Großwörter Begeisterung
affectiren; jener nüchternen Lieder, die uns immer das
Commando wiederholen, daß wir trinken und singen und
singen und trinken sollen; jener trivialen Trauerspiele, deren
unseligen Dummheiten und Bettlerpathos man sogleich ein
Ende machen würde, falls es erlaubt wäre, vom Parterre
aus dem Elenden auf der Bühne zehn Thaler vorzuschießen;
jener ungesalzenen Lustspiele, in denen ein an sich sehr un¬
schuldiger Einfall bis zur Verzweiflung der Zuhörer ausge¬
beutet wird. Wie todt, wie leer sind sie nicht. -- Endlich
kann die Todtheit aber zugleich sowohl in dem Mangel an
Form wie in dem Mangel an Inhalt liegen. Richtiger ge¬
sagt, die Todtheit der Conception kann mit der Todtheit der
Ausführung zu einer fürchterlichen Harmonie zusammenfallen.
Es ist dies bei vielen allegorischen Producten der Fall,
welche den Mangel wahrhaft poetischer Anschauung durch
Personification von Lastern und Tugenden, von Künsten und
Wissenschaften, und durch eine mühselig zusammengeklügelte
Symbolik zu ersetzen streben, von welcher Art, einzelne
Partieen abgerechnet, der im Französischen Mittelalter so be¬
liebt gewesene Roman von der Rose ist (65). -- Es ist dies
ferner der Fall bei vielen Werken, welche die Kunst nur
zum Mittel einer Tendenz machen. Keineswegs gehören
wir zu denen, welche die Tendenz überhaupt verschmähen,
denn der Künstler kann sich den Strömungen der Zeit, in
welcher er lebt, nicht entziehen; die Tendenzen schließen auch
Ideen in sich; aber sie müssen nicht mit dem abgeschlossenen
Dogma einer Partei verwechselt werden. Die Tendenz
unserer Zeit z. B. durch wahrhafte Bildung von Innen

Hexameter — und welcher Ueberfluß an poetiſcher Leerheit!
Man erinnere ſich jener gedankenloſen Oden, die in der
muſiviſchen Anhäufung traditioneller Großwörter Begeiſterung
affectiren; jener nüchternen Lieder, die uns immer das
Commando wiederholen, daß wir trinken und ſingen und
ſingen und trinken ſollen; jener trivialen Trauerſpiele, deren
unſeligen Dummheiten und Bettlerpathos man ſogleich ein
Ende machen würde, falls es erlaubt wäre, vom Parterre
aus dem Elenden auf der Bühne zehn Thaler vorzuſchießen;
jener ungeſalzenen Luſtſpiele, in denen ein an ſich ſehr un¬
ſchuldiger Einfall bis zur Verzweiflung der Zuhörer ausge¬
beutet wird. Wie todt, wie leer ſind ſie nicht. — Endlich
kann die Todtheit aber zugleich ſowohl in dem Mangel an
Form wie in dem Mangel an Inhalt liegen. Richtiger ge¬
ſagt, die Todtheit der Conception kann mit der Todtheit der
Ausführung zu einer fürchterlichen Harmonie zuſammenfallen.
Es iſt dies bei vielen allegoriſchen Producten der Fall,
welche den Mangel wahrhaft poetiſcher Anſchauung durch
Perſonification von Laſtern und Tugenden, von Künſten und
Wiſſenſchaften, und durch eine mühſelig zuſammengeklügelte
Symbolik zu erſetzen ſtreben, von welcher Art, einzelne
Partieen abgerechnet, der im Franzöſiſchen Mittelalter ſo be¬
liebt geweſene Roman von der Roſe iſt (65). — Es iſt dies
ferner der Fall bei vielen Werken, welche die Kunſt nur
zum Mittel einer Tendenz machen. Keineswegs gehören
wir zu denen, welche die Tendenz überhaupt verſchmähen,
denn der Künſtler kann ſich den Strömungen der Zeit, in
welcher er lebt, nicht entziehen; die Tendenzen ſchließen auch
Ideen in ſich; aber ſie müſſen nicht mit dem abgeſchloſſenen
Dogma einer Partei verwechſelt werden. Die Tendenz
unſerer Zeit z. B. durch wahrhafte Bildung von Innen

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[295/0317] Hexameter — und welcher Ueberfluß an poetiſcher Leerheit! Man erinnere ſich jener gedankenloſen Oden, die in der muſiviſchen Anhäufung traditioneller Großwörter Begeiſterung affectiren; jener nüchternen Lieder, die uns immer das Commando wiederholen, daß wir trinken und ſingen und ſingen und trinken ſollen; jener trivialen Trauerſpiele, deren unſeligen Dummheiten und Bettlerpathos man ſogleich ein Ende machen würde, falls es erlaubt wäre, vom Parterre aus dem Elenden auf der Bühne zehn Thaler vorzuſchießen; jener ungeſalzenen Luſtſpiele, in denen ein an ſich ſehr un¬ ſchuldiger Einfall bis zur Verzweiflung der Zuhörer ausge¬ beutet wird. Wie todt, wie leer ſind ſie nicht. — Endlich kann die Todtheit aber zugleich ſowohl in dem Mangel an Form wie in dem Mangel an Inhalt liegen. Richtiger ge¬ ſagt, die Todtheit der Conception kann mit der Todtheit der Ausführung zu einer fürchterlichen Harmonie zuſammenfallen. Es iſt dies bei vielen allegoriſchen Producten der Fall, welche den Mangel wahrhaft poetiſcher Anſchauung durch Perſonification von Laſtern und Tugenden, von Künſten und Wiſſenſchaften, und durch eine mühſelig zuſammengeklügelte Symbolik zu erſetzen ſtreben, von welcher Art, einzelne Partieen abgerechnet, der im Franzöſiſchen Mittelalter ſo be¬ liebt geweſene Roman von der Roſe iſt (65). — Es iſt dies ferner der Fall bei vielen Werken, welche die Kunſt nur zum Mittel einer Tendenz machen. Keineswegs gehören wir zu denen, welche die Tendenz überhaupt verſchmähen, denn der Künſtler kann ſich den Strömungen der Zeit, in welcher er lebt, nicht entziehen; die Tendenzen ſchließen auch Ideen in ſich; aber ſie müſſen nicht mit dem abgeſchloſſenen Dogma einer Partei verwechſelt werden. Die Tendenz unſerer Zeit z. B. durch wahrhafte Bildung von Innen

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/317>, abgerufen am 22.11.2024.