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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Todtentänzen hat daher die Malerei auch den Tod als
die lebenvertilgende Macht zur höchsten Lebendigkeit zu indi¬
vidualisiren verstanden. Das Pathos der Vernichtung spannt
in dem fleischlosen Skelet die Knochen mit unüberwindlicher
Kraft, die das Leben in allen Ständen, Altersstufen und
Situationen überrascht und es in das Grab niederzwingt (63).
Diese Idee läßt den Tod nicht allein erscheinen, sondern im
Contrast mit der Mannigfaltigkeit des Lebens, im Kampf
mit welchem er grauenhaft schön wird.

In allen diesen Beziehungen kann nicht von dem
Todten und Leeren die Rede sein, welches wir hier vor Augen
haben, sofern es die abstracte Negation des Lebens ausmacht,
das über die Nothdurft hinaus in seinem Uebermuth spielt.
In allem Werden, in aller Veränderung, in allem Kampf
liegt schon ein Reiz. Regt sich aber das Leben in der Froh¬
heit seines lusterquickten Selbstgefühls mit spielender Zweck¬
losigkeit, so genießt es sich darin erst recht als Leben. Wenn
das Wasser geschwätzig über die Kiesel hinmurmelt, wenn die
Blumen still ihren Opferduft verhauchen und die Schmetter¬
linge ihre schaukelnden Kelche umflattern, wenn die Schwalbe
auf des Daches Giebel ihren Gruß zwitschert, wenn die
Tauben durch das Blau des Himmels unermüdlich ihre leuch¬
tenden Kreise ziehen, wenn die Hunde muthwillig im grünen
Rasen sich tummeln, wenn die Mädchen den Ball werfen,
die Jünglinge die Kraft der markigen Glieder im Ringkampf
versuchen, wenn Mädchen und Jünglinge den Ueberschwang
der Lust im Gesang austönen oder im Tanz ausrasen, --
dann, dann genießt sich das Leben im heitern Spiel. Wie
traurig, wie häßlich erscheint dagegen ein seichthinschleichender
Bach, ein stagnirender Sumpf, ein verbrannter, verstaubter
Rasen, ein grauer Himmel, eine lautlose Oede, der mecha¬

Todtentänzen hat daher die Malerei auch den Tod als
die lebenvertilgende Macht zur höchſten Lebendigkeit zu indi¬
vidualiſiren verſtanden. Das Pathos der Vernichtung ſpannt
in dem fleiſchloſen Skelet die Knochen mit unüberwindlicher
Kraft, die das Leben in allen Ständen, Altersſtufen und
Situationen überraſcht und es in das Grab niederzwingt (63).
Dieſe Idee läßt den Tod nicht allein erſcheinen, ſondern im
Contraſt mit der Mannigfaltigkeit des Lebens, im Kampf
mit welchem er grauenhaft ſchön wird.

In allen dieſen Beziehungen kann nicht von dem
Todten und Leeren die Rede ſein, welches wir hier vor Augen
haben, ſofern es die abſtracte Negation des Lebens ausmacht,
das über die Nothdurft hinaus in ſeinem Uebermuth ſpielt.
In allem Werden, in aller Veränderung, in allem Kampf
liegt ſchon ein Reiz. Regt ſich aber das Leben in der Froh¬
heit ſeines luſterquickten Selbſtgefühls mit ſpielender Zweck¬
loſigkeit, ſo genießt es ſich darin erſt recht als Leben. Wenn
das Waſſer geſchwätzig über die Kieſel hinmurmelt, wenn die
Blumen ſtill ihren Opferduft verhauchen und die Schmetter¬
linge ihre ſchaukelnden Kelche umflattern, wenn die Schwalbe
auf des Daches Giebel ihren Gruß zwitſchert, wenn die
Tauben durch das Blau des Himmels unermüdlich ihre leuch¬
tenden Kreiſe ziehen, wenn die Hunde muthwillig im grünen
Raſen ſich tummeln, wenn die Mädchen den Ball werfen,
die Jünglinge die Kraft der markigen Glieder im Ringkampf
verſuchen, wenn Mädchen und Jünglinge den Ueberſchwang
der Luſt im Geſang austönen oder im Tanz ausraſen, —
dann, dann genießt ſich das Leben im heitern Spiel. Wie
traurig, wie häßlich erſcheint dagegen ein ſeichthinſchleichender
Bach, ein ſtagnirender Sumpf, ein verbrannter, verſtaubter
Raſen, ein grauer Himmel, eine lautloſe Oede, der mecha¬

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[293/0315] Todtentänzen hat daher die Malerei auch den Tod als die lebenvertilgende Macht zur höchſten Lebendigkeit zu indi¬ vidualiſiren verſtanden. Das Pathos der Vernichtung ſpannt in dem fleiſchloſen Skelet die Knochen mit unüberwindlicher Kraft, die das Leben in allen Ständen, Altersſtufen und Situationen überraſcht und es in das Grab niederzwingt (63). Dieſe Idee läßt den Tod nicht allein erſcheinen, ſondern im Contraſt mit der Mannigfaltigkeit des Lebens, im Kampf mit welchem er grauenhaft ſchön wird. In allen dieſen Beziehungen kann nicht von dem Todten und Leeren die Rede ſein, welches wir hier vor Augen haben, ſofern es die abſtracte Negation des Lebens ausmacht, das über die Nothdurft hinaus in ſeinem Uebermuth ſpielt. In allem Werden, in aller Veränderung, in allem Kampf liegt ſchon ein Reiz. Regt ſich aber das Leben in der Froh¬ heit ſeines luſterquickten Selbſtgefühls mit ſpielender Zweck¬ loſigkeit, ſo genießt es ſich darin erſt recht als Leben. Wenn das Waſſer geſchwätzig über die Kieſel hinmurmelt, wenn die Blumen ſtill ihren Opferduft verhauchen und die Schmetter¬ linge ihre ſchaukelnden Kelche umflattern, wenn die Schwalbe auf des Daches Giebel ihren Gruß zwitſchert, wenn die Tauben durch das Blau des Himmels unermüdlich ihre leuch¬ tenden Kreiſe ziehen, wenn die Hunde muthwillig im grünen Raſen ſich tummeln, wenn die Mädchen den Ball werfen, die Jünglinge die Kraft der markigen Glieder im Ringkampf verſuchen, wenn Mädchen und Jünglinge den Ueberſchwang der Luſt im Geſang austönen oder im Tanz ausraſen, — dann, dann genießt ſich das Leben im heitern Spiel. Wie traurig, wie häßlich erſcheint dagegen ein ſeichthinſchleichender Bach, ein ſtagnirender Sumpf, ein verbrannter, verſtaubter Raſen, ein grauer Himmel, eine lautloſe Oede, der mecha¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/315>, abgerufen am 22.11.2024.