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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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ein im Leichnam zurückgehaltenes Leben dargestellt werden,
denn das wäre nur ein Scheintod, sondern sie muß als das
Wunder erscheinen, das in diesem Leichnam einzig existirt;
unbedingt die schwerste Aufgabe der gesammten bildenden
Kunst, der nur die genialsten Kräfte gewachsen sind. Der
Glaube freilich hat mit diesen ästhetischen Postulaten unmit¬
telbar nichts zu schaffen und auf seinen niedrigeren Bildungs¬
stufen kann ihm sogar ein recht crasser Ausdruck des Todes
Christi sehr angemessen sein; ein recht entfleischter, wunden¬
zerrissener, schmerzzertrümmerter Leichnam wird für die Masse
eben durch seine Gräßlichkeit und durch den Widerspruch,
in solcher Gestalt doch den Welterlöser gegenwärtig zu schauen,
viel ergreifender sein. Die ästhetisch vollendeten Kunstwerke
sind bekanntlich nicht die wunderthätigen, sondern jene ganz
absonderlichen, oft entschieden häßlichen Figuren, die mit
ihren grellen Formen für den Aberglauben eine magisch
fesselnde Anziehungskraft besitzen. Der Typus des sterben¬
den und todten Christus wurde natürlich auch auf die Maria,
weiter auf die Heiligen übertragen. Leben aus dem Tode
ist hier überall der Grundgedanke, die gerade Umkehr des
todblickenden Medusenhauptes, das Perseus, wie mehre
Wandgemälde von Pompeji darstellen, der Andromeda des¬
halb nur im Wasserspiegel zu zeigen wagte. -- Der Tod als
Personification, als Skelet mit der erbarmungslosen Sichel,
die christliche Metamorphose des alten Kronos, ist eigentlich
auch nicht häßlich. Das menschliche Skelet ist schön; es
sind nur die Nebenvorstellungen von Sterbenmüssen, von
Grabesdunkel, Verwesung, Gericht, welche es mit herkömm¬
lichem Grausen umgeben haben. Nur relativ in Verhältniß
zum blühenden Leben ist das Gerippe, wie man sich mit
verabscheuender Bezeichnung ausspricht, häßlich. In den

ein im Leichnam zurückgehaltenes Leben dargeſtellt werden,
denn das wäre nur ein Scheintod, ſondern ſie muß als das
Wunder erſcheinen, das in dieſem Leichnam einzig exiſtirt;
unbedingt die ſchwerſte Aufgabe der geſammten bildenden
Kunſt, der nur die genialſten Kräfte gewachſen ſind. Der
Glaube freilich hat mit dieſen äſthetiſchen Poſtulaten unmit¬
telbar nichts zu ſchaffen und auf ſeinen niedrigeren Bildungs¬
ſtufen kann ihm ſogar ein recht craſſer Ausdruck des Todes
Chriſti ſehr angemeſſen ſein; ein recht entfleiſchter, wunden¬
zerriſſener, ſchmerzzertrümmerter Leichnam wird für die Maſſe
eben durch ſeine Gräßlichkeit und durch den Widerſpruch,
in ſolcher Geſtalt doch den Welterlöſer gegenwärtig zu ſchauen,
viel ergreifender ſein. Die äſthetiſch vollendeten Kunſtwerke
ſind bekanntlich nicht die wunderthätigen, ſondern jene ganz
abſonderlichen, oft entſchieden häßlichen Figuren, die mit
ihren grellen Formen für den Aberglauben eine magiſch
feſſelnde Anziehungskraft beſitzen. Der Typus des ſterben¬
den und todten Chriſtus wurde natürlich auch auf die Maria,
weiter auf die Heiligen übertragen. Leben aus dem Tode
iſt hier überall der Grundgedanke, die gerade Umkehr des
todblickenden Meduſenhauptes, das Perſeus, wie mehre
Wandgemälde von Pompeji darſtellen, der Andromeda des¬
halb nur im Waſſerſpiegel zu zeigen wagte. — Der Tod als
Perſonification, als Skelet mit der erbarmungsloſen Sichel,
die chriſtliche Metamorphoſe des alten Kronos, iſt eigentlich
auch nicht häßlich. Das menſchliche Skelet iſt ſchön; es
ſind nur die Nebenvorſtellungen von Sterbenmüſſen, von
Grabesdunkel, Verweſung, Gericht, welche es mit herkömm¬
lichem Grauſen umgeben haben. Nur relativ in Verhältniß
zum blühenden Leben iſt das Gerippe, wie man ſich mit
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[292/0314] ein im Leichnam zurückgehaltenes Leben dargeſtellt werden, denn das wäre nur ein Scheintod, ſondern ſie muß als das Wunder erſcheinen, das in dieſem Leichnam einzig exiſtirt; unbedingt die ſchwerſte Aufgabe der geſammten bildenden Kunſt, der nur die genialſten Kräfte gewachſen ſind. Der Glaube freilich hat mit dieſen äſthetiſchen Poſtulaten unmit¬ telbar nichts zu ſchaffen und auf ſeinen niedrigeren Bildungs¬ ſtufen kann ihm ſogar ein recht craſſer Ausdruck des Todes Chriſti ſehr angemeſſen ſein; ein recht entfleiſchter, wunden¬ zerriſſener, ſchmerzzertrümmerter Leichnam wird für die Maſſe eben durch ſeine Gräßlichkeit und durch den Widerſpruch, in ſolcher Geſtalt doch den Welterlöſer gegenwärtig zu ſchauen, viel ergreifender ſein. Die äſthetiſch vollendeten Kunſtwerke ſind bekanntlich nicht die wunderthätigen, ſondern jene ganz abſonderlichen, oft entſchieden häßlichen Figuren, die mit ihren grellen Formen für den Aberglauben eine magiſch feſſelnde Anziehungskraft beſitzen. Der Typus des ſterben¬ den und todten Chriſtus wurde natürlich auch auf die Maria, weiter auf die Heiligen übertragen. Leben aus dem Tode iſt hier überall der Grundgedanke, die gerade Umkehr des todblickenden Meduſenhauptes, das Perſeus, wie mehre Wandgemälde von Pompeji darſtellen, der Andromeda des¬ halb nur im Waſſerſpiegel zu zeigen wagte. — Der Tod als Perſonification, als Skelet mit der erbarmungsloſen Sichel, die chriſtliche Metamorphoſe des alten Kronos, iſt eigentlich auch nicht häßlich. Das menſchliche Skelet iſt ſchön; es ſind nur die Nebenvorſtellungen von Sterbenmüſſen, von Grabesdunkel, Verweſung, Gericht, welche es mit herkömm¬ lichem Grauſen umgeben haben. Nur relativ in Verhältniß zum blühenden Leben iſt das Gerippe, wie man ſich mit verabſcheuender Bezeichnung ausſpricht, häßlich. In den

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/314>, abgerufen am 22.11.2024.