die vor einem Toilettenspiegel das herabwallende Haar strählt, während hinter demselben in der Maske eines reichen Ren¬ tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgestattet, der Teufel lauscht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬ scheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet! Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬ gestellt, so würde man an den reinen, edlen Formen sich entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze, recht im Ungeschmack der Französischen wohl gar tugendhaft sich dünkenden Allegoristerei, zwingt er uns, an die Lüstern¬ heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unschuld zu denken. Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter Schönheit sans phrase dargestellt und sind eben damit keusch gewesen; sie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬ tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität des Geistes eingesteht. Z. B. Tiziano Vecelli hat Philipp den Zweiten mit seiner Geliebten gemalt, wie diese ganz nackt auf einem Lotterbette ruhet; er sitzt nach hinten am Rande desselben; die Scene geht in eine freie, schöne Land¬ schaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet? Sie machen Musik; er spielt die Guitarre und blickt sich eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu geben, während sie das Notenblatt neben sich auf dem Kissen liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde ist unendlich reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf, denn die sinnliche Seite der Schönheit, so stark sie hier her¬ vortritt, bleibt doch dem Geist und Gemüth der Liebenden untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu fesseln, zur Tendenz, so wird damit der Reiz in seiner Ein¬ fachheit gestört und manche Producte schwanken hierin schon bedenklich, namentlich aus der neueren Pariser Malerschule.
die vor einem Toilettenſpiegel das herabwallende Haar ſtrählt, während hinter demſelben in der Maske eines reichen Ren¬ tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgeſtattet, der Teufel lauſcht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬ ſcheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet! Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬ geſtellt, ſo würde man an den reinen, edlen Formen ſich entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze, recht im Ungeſchmack der Franzöſiſchen wohl gar tugendhaft ſich dünkenden Allegoriſterei, zwingt er uns, an die Lüſtern¬ heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unſchuld zu denken. Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter Schönheit sans phrase dargeſtellt und ſind eben damit keuſch geweſen; ſie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬ tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität des Geiſtes eingeſteht. Z. B. Tiziano Vecelli hat Philipp den Zweiten mit ſeiner Geliebten gemalt, wie dieſe ganz nackt auf einem Lotterbette ruhet; er ſitzt nach hinten am Rande deſſelben; die Scene geht in eine freie, ſchöne Land¬ ſchaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet? Sie machen Muſik; er ſpielt die Guitarre und blickt ſich eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu geben, während ſie das Notenblatt neben ſich auf dem Kiſſen liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde iſt unendlich reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf, denn die ſinnliche Seite der Schönheit, ſo ſtark ſie hier her¬ vortritt, bleibt doch dem Geiſt und Gemüth der Liebenden untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu feſſeln, zur Tendenz, ſo wird damit der Reiz in ſeiner Ein¬ fachheit geſtört und manche Producte ſchwanken hierin ſchon bedenklich, namentlich aus der neueren Pariſer Malerſchule.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0304"n="282"/>
die vor einem Toilettenſpiegel das herabwallende Haar ſtrählt,<lb/>
während hinter demſelben in der Maske eines reichen Ren¬<lb/>
tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgeſtattet, der<lb/>
Teufel lauſcht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬<lb/>ſcheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet!<lb/>
Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬<lb/>
geſtellt, ſo würde man an den reinen, edlen Formen ſich<lb/>
entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze,<lb/>
recht im Ungeſchmack der Franzöſiſchen wohl gar tugendhaft<lb/>ſich dünkenden Allegoriſterei, zwingt er uns, an die Lüſtern¬<lb/>
heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unſchuld zu denken.<lb/>
Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter<lb/>
Schönheit <hirendition="#aq">sans phrase</hi> dargeſtellt und ſind eben damit keuſch<lb/>
geweſen; ſie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬<lb/>
tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität<lb/>
des Geiſtes eingeſteht. Z. B. <hirendition="#g">Tiziano</hi> Vecelli hat Philipp<lb/>
den Zweiten mit ſeiner Geliebten gemalt, wie dieſe ganz<lb/>
nackt auf einem Lotterbette ruhet; er ſitzt nach hinten am<lb/>
Rande deſſelben; die Scene geht in eine freie, ſchöne Land¬<lb/>ſchaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet?<lb/>
Sie machen Muſik; er ſpielt die Guitarre und blickt ſich<lb/>
eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu<lb/>
geben, während ſie das Notenblatt neben ſich auf dem Kiſſen<lb/>
liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde iſt unendlich<lb/>
reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf,<lb/>
denn die ſinnliche Seite der Schönheit, ſo ſtark ſie hier her¬<lb/>
vortritt, bleibt doch dem Geiſt und Gemüth der Liebenden<lb/>
untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu<lb/>
feſſeln, zur Tendenz, ſo wird damit der Reiz in ſeiner Ein¬<lb/>
fachheit geſtört und manche Producte ſchwanken hierin ſchon<lb/>
bedenklich, namentlich aus der neueren Pariſer Malerſchule.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[282/0304]
die vor einem Toilettenſpiegel das herabwallende Haar ſtrählt,
während hinter demſelben in der Maske eines reichen Ren¬
tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgeſtattet, der
Teufel lauſcht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬
ſcheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet!
Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬
geſtellt, ſo würde man an den reinen, edlen Formen ſich
entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze,
recht im Ungeſchmack der Franzöſiſchen wohl gar tugendhaft
ſich dünkenden Allegoriſterei, zwingt er uns, an die Lüſtern¬
heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unſchuld zu denken.
Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter
Schönheit sans phrase dargeſtellt und ſind eben damit keuſch
geweſen; ſie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬
tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität
des Geiſtes eingeſteht. Z. B. Tiziano Vecelli hat Philipp
den Zweiten mit ſeiner Geliebten gemalt, wie dieſe ganz
nackt auf einem Lotterbette ruhet; er ſitzt nach hinten am
Rande deſſelben; die Scene geht in eine freie, ſchöne Land¬
ſchaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet?
Sie machen Muſik; er ſpielt die Guitarre und blickt ſich
eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu
geben, während ſie das Notenblatt neben ſich auf dem Kiſſen
liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde iſt unendlich
reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf,
denn die ſinnliche Seite der Schönheit, ſo ſtark ſie hier her¬
vortritt, bleibt doch dem Geiſt und Gemüth der Liebenden
untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu
feſſeln, zur Tendenz, ſo wird damit der Reiz in ſeiner Ein¬
fachheit geſtört und manche Producte ſchwanken hierin ſchon
bedenklich, namentlich aus der neueren Pariſer Malerſchule.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/304>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.