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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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die vor einem Toilettenspiegel das herabwallende Haar strählt,
während hinter demselben in der Maske eines reichen Ren¬
tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgestattet, der
Teufel lauscht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬
scheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet!
Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬
gestellt, so würde man an den reinen, edlen Formen sich
entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze,
recht im Ungeschmack der Französischen wohl gar tugendhaft
sich dünkenden Allegoristerei, zwingt er uns, an die Lüstern¬
heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unschuld zu denken.
Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter
Schönheit sans phrase dargestellt und sind eben damit keusch
gewesen; sie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬
tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität
des Geistes eingesteht. Z. B. Tiziano Vecelli hat Philipp
den Zweiten mit seiner Geliebten gemalt, wie diese ganz
nackt auf einem Lotterbette ruhet; er sitzt nach hinten am
Rande desselben; die Scene geht in eine freie, schöne Land¬
schaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet?
Sie machen Musik; er spielt die Guitarre und blickt sich
eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu
geben, während sie das Notenblatt neben sich auf dem Kissen
liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde ist unendlich
reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf,
denn die sinnliche Seite der Schönheit, so stark sie hier her¬
vortritt, bleibt doch dem Geist und Gemüth der Liebenden
untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu
fesseln, zur Tendenz, so wird damit der Reiz in seiner Ein¬
fachheit gestört und manche Producte schwanken hierin schon
bedenklich, namentlich aus der neueren Pariser Malerschule.

die vor einem Toilettenſpiegel das herabwallende Haar ſtrählt,
während hinter demſelben in der Maske eines reichen Ren¬
tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgeſtattet, der
Teufel lauſcht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬
ſcheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet!
Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬
geſtellt, ſo würde man an den reinen, edlen Formen ſich
entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze,
recht im Ungeſchmack der Franzöſiſchen wohl gar tugendhaft
ſich dünkenden Allegoriſterei, zwingt er uns, an die Lüſtern¬
heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unſchuld zu denken.
Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter
Schönheit sans phrase dargeſtellt und ſind eben damit keuſch
geweſen; ſie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬
tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität
des Geiſtes eingeſteht. Z. B. Tiziano Vecelli hat Philipp
den Zweiten mit ſeiner Geliebten gemalt, wie dieſe ganz
nackt auf einem Lotterbette ruhet; er ſitzt nach hinten am
Rande deſſelben; die Scene geht in eine freie, ſchöne Land¬
ſchaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet?
Sie machen Muſik; er ſpielt die Guitarre und blickt ſich
eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu
geben, während ſie das Notenblatt neben ſich auf dem Kiſſen
liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde iſt unendlich
reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf,
denn die ſinnliche Seite der Schönheit, ſo ſtark ſie hier her¬
vortritt, bleibt doch dem Geiſt und Gemüth der Liebenden
untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu
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bedenklich, namentlich aus der neueren Pariſer Malerſchule.

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[282/0304] die vor einem Toilettenſpiegel das herabwallende Haar ſtrählt, während hinter demſelben in der Maske eines reichen Ren¬ tiers, zum Ueberfluß mit eleganten Hörnern ausgeſtattet, der Teufel lauſcht und eine Rolle Goldes aufthürmt. Wie ab¬ ſcheulich hat der Maler hiedurch das ganze Bild vergiftet! Hätte er die Schöne im Reiz ihrer Glieder unbefangen hin¬ geſtellt, ſo würde man an den reinen, edlen Formen ſich entzückt haben. Durch jene im Dunkeln kauernde Fratze, recht im Ungeſchmack der Franzöſiſchen wohl gar tugendhaft ſich dünkenden Allegoriſterei, zwingt er uns, an die Lüſtern¬ heit der Begier, an die Käuflichkeit der Unſchuld zu denken. Die großen Maler und Bildhauer haben den Reiz nackter Schönheit sans phrase dargeſtellt und ſind eben damit keuſch geweſen; ſie haben aber das Sinnliche zugleich in eine Si¬ tuation zu bringen gewußt, worin es doch die Superiorität des Geiſtes eingeſteht. Z. B. Tiziano Vecelli hat Philipp den Zweiten mit ſeiner Geliebten gemalt, wie dieſe ganz nackt auf einem Lotterbette ruhet; er ſitzt nach hinten am Rande deſſelben; die Scene geht in eine freie, ſchöne Land¬ ſchaft hinaus. Aber wie hat er nun die Liebenden gezeichnet? Sie machen Muſik; er ſpielt die Guitarre und blickt ſich eben zärtlich nach ihr um, ihr das Zeichen zum Einfallen zu geben, während ſie das Notenblatt neben ſich auf dem Kiſſen liegen hat und die Flöte erhebt. Dies Gemälde iſt unendlich reizend, aber der freie offene Reiz regt keine Begierde auf, denn die ſinnliche Seite der Schönheit, ſo ſtark ſie hier her¬ vortritt, bleibt doch dem Geiſt und Gemüth der Liebenden untergeordnet. Wird das Sinnliche, uns als Sinnliches zu feſſeln, zur Tendenz, ſo wird damit der Reiz in ſeiner Ein¬ fachheit geſtört und manche Producte ſchwanken hierin ſchon bedenklich, namentlich aus der neueren Pariſer Malerſchule.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/304>, abgerufen am 25.11.2024.