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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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der göttlichen Gesinnung wird die Anschauung einer bloßen
Henkerarbeit unerträglich und mit diesem Gräuelanblick pei¬
nigen uns diejenigen Maler und Bildhauer sogleich, die uns
Christus, die Apostel und die Heiligen als Irokesen darstellen,
welche sich selbst damit ergötzen, den Qualen, mit denen
ihre Feinde sie martern, den Trotz einer abstracten Un¬
empfindlichkeit entgegenzusetzen. Die Unsterblichkeit des für
die absolute Wahrheit opferfreudigen Geistes muß die Grau¬
samkeit in sich aufzehren. Und doch sind solche Scenen für
die bildende Kunst durch ihre effectvollen Contraste noch immer
günstiger, als für die Poesie, denn das Bild oder die Gruppe
gibt uns mit Einemmale, was, durch die Breite der Be¬
schreibung hindurchgezerrt, uns nur noch abstoßender berühren
kann. Es scheint dies dem Lessingschen Kanon zuwider zu
sein, allein jeder, der jene Legenden des Mittelalters kennt,
in denen die Martyrien von Heiligen mit protokollartiger
Gründlichkeit beschrieben sind, wird uns beipflichten; es gibt
kaum etwas langweilig Häßlicheres. Manche Stoffe aus
dieser Region sind bei den Malern von jeher außerordentlich
beliebt gewesen, weil sie Gelegenheit zu grellen Contrasten
darbieten, stehen aber an einer bedenklichen Grenze und sind
deshalb auch häufig genug bei der Ausführung ins Häßliche
verfallen. Wie mancher Maler hat den Bethlehemitischen
Kindermord zu einer scheußlichen Schlächterei entstellt! Wie
mancher hat die Herodias gemalt, nicht als ob sie das
blutige Haupt eines Märtyrers, sondern als ob sie einen
Blumenstrauß oder in der Schüssel gar ein leckeres Gericht
trüge! Das Mittelalter fühlte hier eine Lücke, daß Jugend,
Schönheit, Weltlust, Leichtsinn so fühllos der Würde, Ent¬
sagung, Gottergebenheit, Ausdauer, sollte entgegentreten
können und erfand daher eine Liebesgeschichte der schönen

der göttlichen Geſinnung wird die Anſchauung einer bloßen
Henkerarbeit unerträglich und mit dieſem Gräuelanblick pei¬
nigen uns diejenigen Maler und Bildhauer ſogleich, die uns
Chriſtus, die Apoſtel und die Heiligen als Irokeſen darſtellen,
welche ſich ſelbſt damit ergötzen, den Qualen, mit denen
ihre Feinde ſie martern, den Trotz einer abſtracten Un¬
empfindlichkeit entgegenzuſetzen. Die Unſterblichkeit des für
die abſolute Wahrheit opferfreudigen Geiſtes muß die Grau¬
ſamkeit in ſich aufzehren. Und doch ſind ſolche Scenen für
die bildende Kunſt durch ihre effectvollen Contraſte noch immer
günſtiger, als für die Poeſie, denn das Bild oder die Gruppe
gibt uns mit Einemmale, was, durch die Breite der Be¬
ſchreibung hindurchgezerrt, uns nur noch abſtoßender berühren
kann. Es ſcheint dies dem Leſſingſchen Kanon zuwider zu
ſein, allein jeder, der jene Legenden des Mittelalters kennt,
in denen die Martyrien von Heiligen mit protokollartiger
Gründlichkeit beſchrieben ſind, wird uns beipflichten; es gibt
kaum etwas langweilig Häßlicheres. Manche Stoffe aus
dieſer Region ſind bei den Malern von jeher außerordentlich
beliebt geweſen, weil ſie Gelegenheit zu grellen Contraſten
darbieten, ſtehen aber an einer bedenklichen Grenze und ſind
deshalb auch häufig genug bei der Ausführung ins Häßliche
verfallen. Wie mancher Maler hat den Bethlehemitiſchen
Kindermord zu einer ſcheußlichen Schlächterei entſtellt! Wie
mancher hat die Herodias gemalt, nicht als ob ſie das
blutige Haupt eines Märtyrers, ſondern als ob ſie einen
Blumenſtrauß oder in der Schüſſel gar ein leckeres Gericht
trüge! Das Mittelalter fühlte hier eine Lücke, daß Jugend,
Schönheit, Weltluſt, Leichtſinn ſo fühllos der Würde, Ent¬
ſagung, Gottergebenheit, Ausdauer, ſollte entgegentreten
können und erfand daher eine Liebesgeſchichte der ſchönen

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[258/0280] der göttlichen Geſinnung wird die Anſchauung einer bloßen Henkerarbeit unerträglich und mit dieſem Gräuelanblick pei¬ nigen uns diejenigen Maler und Bildhauer ſogleich, die uns Chriſtus, die Apoſtel und die Heiligen als Irokeſen darſtellen, welche ſich ſelbſt damit ergötzen, den Qualen, mit denen ihre Feinde ſie martern, den Trotz einer abſtracten Un¬ empfindlichkeit entgegenzuſetzen. Die Unſterblichkeit des für die abſolute Wahrheit opferfreudigen Geiſtes muß die Grau¬ ſamkeit in ſich aufzehren. Und doch ſind ſolche Scenen für die bildende Kunſt durch ihre effectvollen Contraſte noch immer günſtiger, als für die Poeſie, denn das Bild oder die Gruppe gibt uns mit Einemmale, was, durch die Breite der Be¬ ſchreibung hindurchgezerrt, uns nur noch abſtoßender berühren kann. Es ſcheint dies dem Leſſingſchen Kanon zuwider zu ſein, allein jeder, der jene Legenden des Mittelalters kennt, in denen die Martyrien von Heiligen mit protokollartiger Gründlichkeit beſchrieben ſind, wird uns beipflichten; es gibt kaum etwas langweilig Häßlicheres. Manche Stoffe aus dieſer Region ſind bei den Malern von jeher außerordentlich beliebt geweſen, weil ſie Gelegenheit zu grellen Contraſten darbieten, ſtehen aber an einer bedenklichen Grenze und ſind deshalb auch häufig genug bei der Ausführung ins Häßliche verfallen. Wie mancher Maler hat den Bethlehemitiſchen Kindermord zu einer ſcheußlichen Schlächterei entſtellt! Wie mancher hat die Herodias gemalt, nicht als ob ſie das blutige Haupt eines Märtyrers, ſondern als ob ſie einen Blumenſtrauß oder in der Schüſſel gar ein leckeres Gericht trüge! Das Mittelalter fühlte hier eine Lücke, daß Jugend, Schönheit, Weltluſt, Leichtſinn ſo fühllos der Würde, Ent¬ ſagung, Gottergebenheit, Ausdauer, ſollte entgegentreten können und erfand daher eine Liebesgeſchichte der ſchönen

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/280>, abgerufen am 13.05.2024.