der Märtyrer und Heiligen nach allen Seiten hin weiter entwickelt. In tausendfachen Schattirungen wurde hier die Verspottung Christi durch die Kriegsknechte, die ihn mit Ruthen strichen, mit Dornen krönten, ihm sein Kreuz zu tragen auferlegten, wiederholt. Das Kneipen mit glühenden Zangen, das Annageln an das Kreuz, bei Petrus sogar mit dem Kopf nach Unten, das Braten auf einem Rost, das Schinden der Haut, das Ausreißen der Gedärme, das Köpfen, das Auszerren der Glieder auf Folterbänken, das Sieden in Oel, das Eingraben in die Erde u. s. w. sind Brutalitäten, die ästhetisch nicht weniger, als ethisch den Fluch verdienen. So sehr auch das Genie der Künstler be¬ mühet gewesen ist, diese Stoffe mit den Forderungen der Schönheit zu versöhnen, so selten ist dies doch wirklich ge¬ lungen. Man sage nicht, daß ein Schlachtgemälde uns doch auch das Schauspiel des Mordes und der Todesqual in mannigfaltigen Gestalten darbiete. In der Schlacht tritt Gewalt der Gewalt gegenüber; der Krieger kämpft mit dem Krieger; der Angegriffene ist zugleich der Angreifende. Den¬ noch wird der Maler mit den Schrecken des Krieges haus¬ hälterisch verfahren; er wird uns Verwundete und Sterbende aller Art malen, allein gewisse Verstümmelungen wird er unserer Anschauung darzubieten Anstand nehmen. Auch die antike Malerei hat das Schreckliche ungescheut dargestellt, allein nur das Nothwendige, von welchem Göthe in der Betrachtung der Philostratischen Gemälde sagt, daß es das Schickliche sei. Bd. 39. S. 65. äußert er bei Gelegen¬ heit der Zerfleischung des Abderos: "In diesen Bildern finden wir das Bedeutende niemals vermieden, sondern viel¬ mehr dem Zuschauer mächtig entgegen gebracht. So finden wir die Köpfe und Schädel, welche der Straßenräuber am
der Märtyrer und Heiligen nach allen Seiten hin weiter entwickelt. In tauſendfachen Schattirungen wurde hier die Verſpottung Chriſti durch die Kriegsknechte, die ihn mit Ruthen ſtrichen, mit Dornen krönten, ihm ſein Kreuz zu tragen auferlegten, wiederholt. Das Kneipen mit glühenden Zangen, das Annageln an das Kreuz, bei Petrus ſogar mit dem Kopf nach Unten, das Braten auf einem Roſt, das Schinden der Haut, das Ausreißen der Gedärme, das Köpfen, das Auszerren der Glieder auf Folterbänken, das Sieden in Oel, das Eingraben in die Erde u. ſ. w. ſind Brutalitäten, die äſthetiſch nicht weniger, als ethiſch den Fluch verdienen. So ſehr auch das Genie der Künſtler be¬ mühet geweſen iſt, dieſe Stoffe mit den Forderungen der Schönheit zu verſöhnen, ſo ſelten iſt dies doch wirklich ge¬ lungen. Man ſage nicht, daß ein Schlachtgemälde uns doch auch das Schauſpiel des Mordes und der Todesqual in mannigfaltigen Geſtalten darbiete. In der Schlacht tritt Gewalt der Gewalt gegenüber; der Krieger kämpft mit dem Krieger; der Angegriffene iſt zugleich der Angreifende. Den¬ noch wird der Maler mit den Schrecken des Krieges haus¬ hälteriſch verfahren; er wird uns Verwundete und Sterbende aller Art malen, allein gewiſſe Verſtümmelungen wird er unſerer Anſchauung darzubieten Anſtand nehmen. Auch die antike Malerei hat das Schreckliche ungeſcheut dargeſtellt, allein nur das Nothwendige, von welchem Göthe in der Betrachtung der Philoſtratiſchen Gemälde ſagt, daß es das Schickliche ſei. Bd. 39. S. 65. äußert er bei Gelegen¬ heit der Zerfleiſchung des Abderos: „In dieſen Bildern finden wir das Bedeutende niemals vermieden, ſondern viel¬ mehr dem Zuſchauer mächtig entgegen gebracht. So finden wir die Köpfe und Schädel, welche der Straßenräuber am
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der Märtyrer und Heiligen nach allen Seiten hin weiter
entwickelt. In tauſendfachen Schattirungen wurde hier die
Verſpottung Chriſti durch die Kriegsknechte, die ihn mit
Ruthen ſtrichen, mit Dornen krönten, ihm ſein Kreuz zu
tragen auferlegten, wiederholt. Das Kneipen mit glühenden
Zangen, das Annageln an das Kreuz, bei Petrus ſogar
mit dem Kopf nach Unten, das Braten auf einem Roſt,
das Schinden der Haut, das Ausreißen der Gedärme, das
Köpfen, das Auszerren der Glieder auf Folterbänken, das
Sieden in Oel, das Eingraben in die Erde u. ſ. w. ſind
Brutalitäten, die äſthetiſch nicht weniger, als ethiſch den
Fluch verdienen. So ſehr auch das Genie der Künſtler be¬
mühet geweſen iſt, dieſe Stoffe mit den Forderungen der
Schönheit zu verſöhnen, ſo ſelten iſt dies doch wirklich ge¬
lungen. Man ſage nicht, daß ein Schlachtgemälde uns doch
auch das Schauſpiel des Mordes und der Todesqual in
mannigfaltigen Geſtalten darbiete. In der Schlacht tritt
Gewalt der Gewalt gegenüber; der Krieger kämpft mit dem
Krieger; der Angegriffene iſt zugleich der Angreifende. Den¬
noch wird der Maler mit den Schrecken des Krieges haus¬
hälteriſch verfahren; er wird uns Verwundete und Sterbende
aller Art malen, allein gewiſſe Verſtümmelungen wird er
unſerer Anſchauung darzubieten Anſtand nehmen. Auch die
antike Malerei hat das Schreckliche ungeſcheut dargeſtellt,
allein nur das Nothwendige, von welchem Göthe in der
Betrachtung der Philoſtratiſchen Gemälde ſagt, daß es
das Schickliche ſei. Bd. 39. S. 65. äußert er bei Gelegen¬
heit der Zerfleiſchung des Abderos: „In dieſen Bildern
finden wir das Bedeutende niemals vermieden, ſondern viel¬
mehr dem Zuſchauer mächtig entgegen gebracht. So finden
wir die Köpfe und Schädel, welche der Straßenräuber am
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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