Phantasie bewundert, vergesse nicht, daß in dieser Phantasie das Wort des Geheimnisses sich verbirgt, das Spaniens Verderben überdeckt. Diese blüthenreiche Sprache feierte mit derselben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬ sition, sie übertönte mit ihrem süßen Geflüster das Geheul der Ketzer in den Flammen, sie breitete sich wie der Duft eines Arabischen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige Opferstätte des Fanatismus. -- Das Wesen des Fanatismus ist, sich an eine Abstraction zu veräußern, die sich als abso¬ lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So ist das Leben im vollsten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt von einem abstracten Wesen. Die Wirklichkeit ist dem Augen¬ blick anheimgegeben, weil sie von dem Absoluten nicht aner¬ kannt wird. Dafür wird sie von ihm auch nicht einge¬ schränkt; sie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der Gluth der Leidenschaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬ send aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und zerstört heute, was sie gestern geliebt. Es ist Nichts fest, als das Jenseits. In allen Formen spielt diese Leidenschaft, diese auf sich concentrirte, von der Heiligkeit der Abstraction nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne ist im Haß wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit schranken¬ los; die Gluth des Lebens, von keiner Substantialität ge¬ nährt, flammt mit desto unbändigerer Gewalt im Innersten des Menschen. Die Rechtfertigung des Menschen ist, daß er von sich und der Wirklichkeit abstrahirt: hat er den Kelch der irdischen Lust bis auf die Neige geleert, so schwingt er sich auf den Flügeln der Abstraction durch ein Wunder in die Seligkeit des Himmels. -- Da die erlösende Wirkung dieser blinden Kraft auf äußerliche Weise eintritt, ohne innere Entzweiung, so geht der Mensch in seiner nackten natürlichen
Phantaſie bewundert, vergeſſe nicht, daß in dieſer Phantaſie das Wort des Geheimniſſes ſich verbirgt, das Spaniens Verderben überdeckt. Dieſe blüthenreiche Sprache feierte mit derſelben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬ ſition, ſie übertönte mit ihrem ſüßen Geflüſter das Geheul der Ketzer in den Flammen, ſie breitete ſich wie der Duft eines Arabiſchen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige Opferſtätte des Fanatismus. — Das Weſen des Fanatismus iſt, ſich an eine Abſtraction zu veräußern, die ſich als abſo¬ lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So iſt das Leben im vollſten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt von einem abſtracten Weſen. Die Wirklichkeit iſt dem Augen¬ blick anheimgegeben, weil ſie von dem Abſoluten nicht aner¬ kannt wird. Dafür wird ſie von ihm auch nicht einge¬ ſchränkt; ſie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der Gluth der Leidenſchaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬ ſend aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und zerſtört heute, was ſie geſtern geliebt. Es iſt Nichts feſt, als das Jenſeits. In allen Formen ſpielt dieſe Leidenſchaft, dieſe auf ſich concentrirte, von der Heiligkeit der Abſtraction nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne iſt im Haß wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit ſchranken¬ los; die Gluth des Lebens, von keiner Subſtantialität ge¬ nährt, flammt mit deſto unbändigerer Gewalt im Innerſten des Menſchen. Die Rechtfertigung des Menſchen iſt, daß er von ſich und der Wirklichkeit abſtrahirt: hat er den Kelch der irdiſchen Luſt bis auf die Neige geleert, ſo ſchwingt er ſich auf den Flügeln der Abſtraction durch ein Wunder in die Seligkeit des Himmels. — Da die erlöſende Wirkung dieſer blinden Kraft auf äußerliche Weiſe eintritt, ohne innere Entzweiung, ſo geht der Menſch in ſeiner nackten natürlichen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><p><pbfacs="#f0274"n="252"/>
Phantaſie bewundert, vergeſſe nicht, daß in dieſer Phantaſie<lb/>
das Wort des Geheimniſſes ſich verbirgt, das Spaniens<lb/>
Verderben überdeckt. Dieſe blüthenreiche Sprache feierte<lb/>
mit derſelben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬<lb/>ſition, ſie übertönte mit ihrem ſüßen Geflüſter das Geheul<lb/>
der Ketzer in den Flammen, ſie breitete ſich wie der Duft<lb/>
eines Arabiſchen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige<lb/>
Opferſtätte des Fanatismus. — Das Weſen des Fanatismus<lb/>
iſt, ſich an eine Abſtraction zu veräußern, die ſich als abſo¬<lb/>
lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So iſt das<lb/>
Leben im vollſten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt<lb/>
von einem abſtracten Weſen. Die Wirklichkeit iſt dem Augen¬<lb/>
blick anheimgegeben, weil ſie von dem Abſoluten nicht aner¬<lb/>
kannt wird. Dafür wird ſie von ihm auch nicht einge¬<lb/>ſchränkt; ſie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der<lb/>
Gluth der Leidenſchaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬<lb/>ſend aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und<lb/>
zerſtört heute, was ſie geſtern geliebt. Es iſt Nichts feſt,<lb/>
als das Jenſeits. In allen Formen ſpielt dieſe Leidenſchaft,<lb/>
dieſe auf ſich concentrirte, von der Heiligkeit der Abſtraction<lb/>
nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne iſt im Haß<lb/>
wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit ſchranken¬<lb/>
los; die Gluth des Lebens, von keiner Subſtantialität ge¬<lb/>
nährt, flammt mit deſto unbändigerer Gewalt im Innerſten<lb/>
des Menſchen. Die Rechtfertigung des Menſchen iſt, daß<lb/>
er von ſich und der Wirklichkeit abſtrahirt: hat er den Kelch<lb/>
der irdiſchen Luſt bis auf die Neige geleert, ſo ſchwingt er<lb/>ſich auf den Flügeln der Abſtraction durch ein Wunder in<lb/>
die Seligkeit des Himmels. — Da die erlöſende Wirkung<lb/>
dieſer blinden Kraft auf äußerliche Weiſe eintritt, ohne innere<lb/>
Entzweiung, ſo geht der Menſch in ſeiner nackten natürlichen<lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[252/0274]
Phantaſie bewundert, vergeſſe nicht, daß in dieſer Phantaſie
das Wort des Geheimniſſes ſich verbirgt, das Spaniens
Verderben überdeckt. Dieſe blüthenreiche Sprache feierte
mit derſelben Pracht die Glaubenshandlungen der Inqui¬
ſition, ſie übertönte mit ihrem ſüßen Geflüſter das Geheul
der Ketzer in den Flammen, ſie breitete ſich wie der Duft
eines Arabiſchen Weihrauchs verhüllend über die unwürdige
Opferſtätte des Fanatismus. — Das Weſen des Fanatismus
iſt, ſich an eine Abſtraction zu veräußern, die ſich als abſo¬
lute Negativität gegen alles Concrete richtet. So iſt das
Leben im vollſten Sinne des Wortes ein Traum, geträumt
von einem abſtracten Weſen. Die Wirklichkeit iſt dem Augen¬
blick anheimgegeben, weil ſie von dem Abſoluten nicht aner¬
kannt wird. Dafür wird ſie von ihm auch nicht einge¬
ſchränkt; ſie kennt kein Maaß. Die Natur bricht in der
Gluth der Leidenſchaft, gedankenlos und ohne Zügel, brau¬
ſend aus dem dunkeln Quell des unheiligen Gemüths, und
zerſtört heute, was ſie geſtern geliebt. Es iſt Nichts feſt,
als das Jenſeits. In allen Formen ſpielt dieſe Leidenſchaft,
dieſe auf ſich concentrirte, von der Heiligkeit der Abſtraction
nicht gebrochene Subjectivität; der Einzelne iſt im Haß
wie in der Liebe, im Edelmuth wie in der Bosheit ſchranken¬
los; die Gluth des Lebens, von keiner Subſtantialität ge¬
nährt, flammt mit deſto unbändigerer Gewalt im Innerſten
des Menſchen. Die Rechtfertigung des Menſchen iſt, daß
er von ſich und der Wirklichkeit abſtrahirt: hat er den Kelch
der irdiſchen Luſt bis auf die Neige geleert, ſo ſchwingt er
ſich auf den Flügeln der Abſtraction durch ein Wunder in
die Seligkeit des Himmels. — Da die erlöſende Wirkung
dieſer blinden Kraft auf äußerliche Weiſe eintritt, ohne innere
Entzweiung, ſo geht der Menſch in ſeiner nackten natürlichen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/274>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.