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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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mehr wegfällt und das Brutale um so mehr als ein Werk
des selbstbewußten freien Willens erscheint. Die Brutalität
mißbraucht die Gewalt des Stärkern gegen den Schwächern,
des Mannes gegen das Weib, des Erwachsenen gegen das
Kind, des Gesunden gegen den Kranken, des Freien gegen
den Gefangenen, des Bewaffneten gegen den Wehrlosen,
des Herrn gegen den Sclaven, des Schuldigen gegen den
Unschuldigen. Der Zwang, den die Uebermacht in ihrer
Selbstsucht gegen den Schwachen ausübt, ist das Himmel¬
schreiende in der Brutalität.

Der Form nach kann die Brutalität aber theils eine
gröbere, theils eine feinere sein. Eine gröbere, wenn
das Leiden, das sie hervorbringt, einen direct sinnlichen
Ausdruck annimmt, wie bei Thierhetzen, Stiergefechten,
Hinrichtungen, Torturen u. dgl.; eine feinere, wenn das
Leiden mehr auf einem psychologischen Zwange beruht. Die
erstere Form ist diejenige, die in den criminalistischen Dramen,
in Ritter- und Räuberromanen, in Proletariernovellen, in
Sclavengeschichten herrscht. Als Eugene Sue seine Pariser
Geheimnisse geschrieben hatte, was für Brutalitäten der
gröbsten Art häuften da nicht seine Nachahmer zusammen!
Sue hat für die Schilderung des Brutalen ein außerordent¬
liches Talent; er ist oft grell, allein zuweilen auch wahrhaft
plastisch. Seine Geschichte von Gringalet und Coupe-
en-deux in den Mysterien ist ein Meisterstück. Dieser
Coupe-en-deux ist noch ganz in der Weise des Blaubart
gehalten, dieses finstern, aus den Feudalzeiten stammenden
Wüthrichtypus. Er hat sich eine Menagerie hülfloser Kleinen
zusammengebracht, die er Tags über aussendet, den einen
mit einer Schildkröte, den andern mit einem Affen; wehe
ihnen, wenn sie am Abend ohne reichlichen Erlös zurück¬

mehr wegfällt und das Brutale um ſo mehr als ein Werk
des ſelbſtbewußten freien Willens erſcheint. Die Brutalität
mißbraucht die Gewalt des Stärkern gegen den Schwächern,
des Mannes gegen das Weib, des Erwachſenen gegen das
Kind, des Geſunden gegen den Kranken, des Freien gegen
den Gefangenen, des Bewaffneten gegen den Wehrloſen,
des Herrn gegen den Sclaven, des Schuldigen gegen den
Unſchuldigen. Der Zwang, den die Uebermacht in ihrer
Selbſtſucht gegen den Schwachen ausübt, iſt das Himmel¬
ſchreiende in der Brutalität.

Der Form nach kann die Brutalität aber theils eine
gröbere, theils eine feinere ſein. Eine gröbere, wenn
das Leiden, das ſie hervorbringt, einen direct ſinnlichen
Ausdruck annimmt, wie bei Thierhetzen, Stiergefechten,
Hinrichtungen, Torturen u. dgl.; eine feinere, wenn das
Leiden mehr auf einem pſychologiſchen Zwange beruht. Die
erſtere Form iſt diejenige, die in den criminaliſtiſchen Dramen,
in Ritter- und Räuberromanen, in Proletariernovellen, in
Sclavengeſchichten herrſcht. Als Eugene Sue ſeine Pariſer
Geheimniſſe geſchrieben hatte, was für Brutalitäten der
gröbſten Art häuften da nicht ſeine Nachahmer zuſammen!
Sue hat für die Schilderung des Brutalen ein außerordent¬
liches Talent; er iſt oft grell, allein zuweilen auch wahrhaft
plaſtiſch. Seine Geſchichte von Gringalet und Coupe-
en-deux in den Myſterien iſt ein Meiſterſtück. Dieſer
Coupe-en-deux iſt noch ganz in der Weiſe des Blaubart
gehalten, dieſes finſtern, aus den Feudalzeiten ſtammenden
Wüthrichtypus. Er hat ſich eine Menagerie hülfloſer Kleinen
zuſammengebracht, die er Tags über ausſendet, den einen
mit einer Schildkröte, den andern mit einem Affen; wehe
ihnen, wenn ſie am Abend ohne reichlichen Erlös zurück¬

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[250/0272] mehr wegfällt und das Brutale um ſo mehr als ein Werk des ſelbſtbewußten freien Willens erſcheint. Die Brutalität mißbraucht die Gewalt des Stärkern gegen den Schwächern, des Mannes gegen das Weib, des Erwachſenen gegen das Kind, des Geſunden gegen den Kranken, des Freien gegen den Gefangenen, des Bewaffneten gegen den Wehrloſen, des Herrn gegen den Sclaven, des Schuldigen gegen den Unſchuldigen. Der Zwang, den die Uebermacht in ihrer Selbſtſucht gegen den Schwachen ausübt, iſt das Himmel¬ ſchreiende in der Brutalität. Der Form nach kann die Brutalität aber theils eine gröbere, theils eine feinere ſein. Eine gröbere, wenn das Leiden, das ſie hervorbringt, einen direct ſinnlichen Ausdruck annimmt, wie bei Thierhetzen, Stiergefechten, Hinrichtungen, Torturen u. dgl.; eine feinere, wenn das Leiden mehr auf einem pſychologiſchen Zwange beruht. Die erſtere Form iſt diejenige, die in den criminaliſtiſchen Dramen, in Ritter- und Räuberromanen, in Proletariernovellen, in Sclavengeſchichten herrſcht. Als Eugene Sue ſeine Pariſer Geheimniſſe geſchrieben hatte, was für Brutalitäten der gröbſten Art häuften da nicht ſeine Nachahmer zuſammen! Sue hat für die Schilderung des Brutalen ein außerordent¬ liches Talent; er iſt oft grell, allein zuweilen auch wahrhaft plaſtiſch. Seine Geſchichte von Gringalet und Coupe- en-deux in den Myſterien iſt ein Meiſterſtück. Dieſer Coupe-en-deux iſt noch ganz in der Weiſe des Blaubart gehalten, dieſes finſtern, aus den Feudalzeiten ſtammenden Wüthrichtypus. Er hat ſich eine Menagerie hülfloſer Kleinen zuſammengebracht, die er Tags über ausſendet, den einen mit einer Schildkröte, den andern mit einem Affen; wehe ihnen, wenn ſie am Abend ohne reichlichen Erlös zurück¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/272>, abgerufen am 23.11.2024.