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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Diese höchst lächerliche Situation ist von Kock ganz unge¬
zwungen herbeigeführt. --

Die bisher als Formen der Rohheit aufgeführten Be¬
griffe haben die Abhängigkeit der Freiheit von dem Sinn¬
lichen gemeinsam. Von ihnen unterscheidet sich die Bruta¬
lität
, die nämlich an dem Zwang, den sie der Freiheit
Anderer anthut, ein Vergnügen hat. Das majestätische
Handeln kann auch Andere leiden lassen, allein nur, wenn
die Gerechtigkeit es fordert; noch erhabener erscheint die
Majestät, wenn ihre Gnade verzeihen kann. Die Gemein¬
heit dagegen vollendet ihre Rohheit darin, daß sie in Andern
zur Genugthung ihres Egoismus Leiden hervorbringt. Das
Wort brutal charakterisirt sich schon durch seinen etymolo¬
gischen Ursprung, obwohl das Vieh selber, eben weil es
Vieh ist, nicht brutal sein kann. Nur der Mensch kann
brutal werden, weil er aus seiner Freiheit heraus sich in eine
Gewaltsamkeit verlieren kann, die einen viehischen Charakter
annimmt. Wenn ein Kater, ein Eber ihre Jungen fressen,
so ist das unnatürlich, allein es ist nicht brutal, denn das
Thier ist der Pietät unfähig. Die Rücksichtslosigkeit, mit
welcher der thierische Drang verfährt, ist recht eigentlich das
Wesen des Brutalen; das Thier folgt ihm unbekümmert;
der Mensch aber sollte ihn seinem Willen unterwerfen. Die
Brutalität ist roh, weil sie gegen die Freiheit mit gewalt¬
samer Willkür, also grausam, verfährt, und weil sie in
diesem Verhalten zugleich Lust empfindet. Grausamkeit wird
im Brutalen zur Wollust, Wollust zur Grausamkeit. Je
berechneter die Gewalt in ihrer Grausamkeit, je raffinirter
die Schwelgelei in ihrer Wollust, um so brutaler werden
sie -- und ästhetisch um so häßlicher, weil nämlich die Ent¬
schuldigung einer Uebereilung durch den Affect dann um so

Dieſe höchſt lächerliche Situation iſt von Kock ganz unge¬
zwungen herbeigeführt. —

Die bisher als Formen der Rohheit aufgeführten Be¬
griffe haben die Abhängigkeit der Freiheit von dem Sinn¬
lichen gemeinſam. Von ihnen unterſcheidet ſich die Bruta¬
lität
, die nämlich an dem Zwang, den ſie der Freiheit
Anderer anthut, ein Vergnügen hat. Das majeſtätiſche
Handeln kann auch Andere leiden laſſen, allein nur, wenn
die Gerechtigkeit es fordert; noch erhabener erſcheint die
Majeſtät, wenn ihre Gnade verzeihen kann. Die Gemein¬
heit dagegen vollendet ihre Rohheit darin, daß ſie in Andern
zur Genugthung ihres Egoismus Leiden hervorbringt. Das
Wort brutal charakteriſirt ſich ſchon durch ſeinen etymolo¬
giſchen Urſprung, obwohl das Vieh ſelber, eben weil es
Vieh iſt, nicht brutal ſein kann. Nur der Menſch kann
brutal werden, weil er aus ſeiner Freiheit heraus ſich in eine
Gewaltſamkeit verlieren kann, die einen viehiſchen Charakter
annimmt. Wenn ein Kater, ein Eber ihre Jungen freſſen,
ſo iſt das unnatürlich, allein es iſt nicht brutal, denn das
Thier iſt der Pietät unfähig. Die Rückſichtsloſigkeit, mit
welcher der thieriſche Drang verfährt, iſt recht eigentlich das
Weſen des Brutalen; das Thier folgt ihm unbekümmert;
der Menſch aber ſollte ihn ſeinem Willen unterwerfen. Die
Brutalität iſt roh, weil ſie gegen die Freiheit mit gewalt¬
ſamer Willkür, alſo grauſam, verfährt, und weil ſie in
dieſem Verhalten zugleich Luſt empfindet. Grauſamkeit wird
im Brutalen zur Wolluſt, Wolluſt zur Grauſamkeit. Je
berechneter die Gewalt in ihrer Grauſamkeit, je raffinirter
die Schwelgelei in ihrer Wolluſt, um ſo brutaler werden
ſie — und äſthetiſch um ſo häßlicher, weil nämlich die Ent¬
ſchuldigung einer Uebereilung durch den Affect dann um ſo

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[249/0271] Dieſe höchſt lächerliche Situation iſt von Kock ganz unge¬ zwungen herbeigeführt. — Die bisher als Formen der Rohheit aufgeführten Be¬ griffe haben die Abhängigkeit der Freiheit von dem Sinn¬ lichen gemeinſam. Von ihnen unterſcheidet ſich die Bruta¬ lität, die nämlich an dem Zwang, den ſie der Freiheit Anderer anthut, ein Vergnügen hat. Das majeſtätiſche Handeln kann auch Andere leiden laſſen, allein nur, wenn die Gerechtigkeit es fordert; noch erhabener erſcheint die Majeſtät, wenn ihre Gnade verzeihen kann. Die Gemein¬ heit dagegen vollendet ihre Rohheit darin, daß ſie in Andern zur Genugthung ihres Egoismus Leiden hervorbringt. Das Wort brutal charakteriſirt ſich ſchon durch ſeinen etymolo¬ giſchen Urſprung, obwohl das Vieh ſelber, eben weil es Vieh iſt, nicht brutal ſein kann. Nur der Menſch kann brutal werden, weil er aus ſeiner Freiheit heraus ſich in eine Gewaltſamkeit verlieren kann, die einen viehiſchen Charakter annimmt. Wenn ein Kater, ein Eber ihre Jungen freſſen, ſo iſt das unnatürlich, allein es iſt nicht brutal, denn das Thier iſt der Pietät unfähig. Die Rückſichtsloſigkeit, mit welcher der thieriſche Drang verfährt, iſt recht eigentlich das Weſen des Brutalen; das Thier folgt ihm unbekümmert; der Menſch aber ſollte ihn ſeinem Willen unterwerfen. Die Brutalität iſt roh, weil ſie gegen die Freiheit mit gewalt¬ ſamer Willkür, alſo grauſam, verfährt, und weil ſie in dieſem Verhalten zugleich Luſt empfindet. Grauſamkeit wird im Brutalen zur Wolluſt, Wolluſt zur Grauſamkeit. Je berechneter die Gewalt in ihrer Grauſamkeit, je raffinirter die Schwelgelei in ihrer Wolluſt, um ſo brutaler werden ſie — und äſthetiſch um ſo häßlicher, weil nämlich die Ent¬ ſchuldigung einer Uebereilung durch den Affect dann um ſo

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/271>, abgerufen am 22.11.2024.