gung an sich nothwendige Acte der Natur sind, so kann die Komik gerade an ihnen außerordentliche Mittel gewinnen, indem der Mensch, wenn er von der strengen Gesetzmäßig¬ keit der Freiheit abfällt und sich dem Sinnengenuß behaglich überläßt, die Schuld von sich auf die Natur abwirft, der er nur als ein homuncio seinen Tribut zahle, wie der Fran¬ zösische Leichtsinn sich dafür die Phrase erfunden hat, zu sagen: c'est plus fort, que moi. Ohne Laune aber ist dies nicht möglich. Alle Tisch- und Trinklieder, die nicht von ihr durchathmet werden, sind häßlich. Die Komik kann mit dem Naturtriebe auch ironisch spielen. Sie kann die Leidenschaft für den sinnlichen Genuß scherzhaft übertreiben, als ob für den Menschen oder gar für die Götter nichts Höheres und Wichtigeres existirte. So haben die antiken Komiker den He¬ rakles gern als einen Landstreicher dargestellt, dessen Hunger durch nichts zu stillen. Aristophanes hat dieser Hanswurstia¬ den gespottet, ihre Manier jedoch beibehalten z. B. in den Fröschen. Von den Satyrspielen ist uns nur der Euripi¬ deische Kyklops erhalten, der uns die colossale Rohheit des Polyphemos vorführt. Im Gargantua und Pantagruel hat der gelehrte und weltkundige Arzt Rabelais den Parisern ein Spiegelbild ihrer Unsitten vorgehalten, indem er Saufen und Fressen als ein ernstes Studium schildert, mit welchem sich die Helden auf der Universität in gründlicher Forschungs¬ lust beschäftigen. In Immermanns Münchhausen treffen wir den Bedienten Karl Buttervogel, wie er zum gnädigen Fräulein von Posemuckel nur deshalb eine brennende Liebe fingirt, um von ihr mit fetten Butterbröden und sonstigen Victualien regalirt zu werden. -- Für die komische Behandlung des Geschlechtstriebes ist diejenige Situation vorzüglich günstig, welche die Nothwendigkeit der Natur
gung an ſich nothwendige Acte der Natur ſind, ſo kann die Komik gerade an ihnen außerordentliche Mittel gewinnen, indem der Menſch, wenn er von der ſtrengen Geſetzmäßig¬ keit der Freiheit abfällt und ſich dem Sinnengenuß behaglich überläßt, die Schuld von ſich auf die Natur abwirft, der er nur als ein homuncio ſeinen Tribut zahle, wie der Fran¬ zöſiſche Leichtſinn ſich dafür die Phraſe erfunden hat, zu ſagen: c'est plus fort, que moi. Ohne Laune aber iſt dies nicht möglich. Alle Tiſch- und Trinklieder, die nicht von ihr durchathmet werden, ſind häßlich. Die Komik kann mit dem Naturtriebe auch ironiſch ſpielen. Sie kann die Leidenſchaft für den ſinnlichen Genuß ſcherzhaft übertreiben, als ob für den Menſchen oder gar für die Götter nichts Höheres und Wichtigeres exiſtirte. So haben die antiken Komiker den He¬ rakles gern als einen Landſtreicher dargeſtellt, deſſen Hunger durch nichts zu ſtillen. Ariſtophanes hat dieſer Hanswurſtia¬ den geſpottet, ihre Manier jedoch beibehalten z. B. in den Fröſchen. Von den Satyrſpielen iſt uns nur der Euripi¬ deiſche Kyklops erhalten, der uns die coloſſale Rohheit des Polyphemos vorführt. Im Gargantua und Pantagruel hat der gelehrte und weltkundige Arzt Rabelais den Pariſern ein Spiegelbild ihrer Unſitten vorgehalten, indem er Saufen und Freſſen als ein ernſtes Studium ſchildert, mit welchem ſich die Helden auf der Univerſität in gründlicher Forſchungs¬ luſt beſchäftigen. In Immermanns Münchhauſen treffen wir den Bedienten Karl Buttervogel, wie er zum gnädigen Fräulein von Poſemuckel nur deshalb eine brennende Liebe fingirt, um von ihr mit fetten Butterbröden und ſonſtigen Victualien regalirt zu werden. — Für die komiſche Behandlung des Geſchlechtstriebes iſt diejenige Situation vorzüglich günſtig, welche die Nothwendigkeit der Natur
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gung an ſich nothwendige Acte der Natur ſind, ſo kann die
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keit der Freiheit abfällt und ſich dem Sinnengenuß behaglich
überläßt, die Schuld von ſich auf die Natur abwirft, der
er nur als ein homuncio ſeinen Tribut zahle, wie der Fran¬
zöſiſche Leichtſinn ſich dafür die Phraſe erfunden hat, zu
ſagen: c'est plus fort, que moi. Ohne Laune aber iſt dies
nicht möglich. Alle Tiſch- und Trinklieder, die nicht von ihr
durchathmet werden, ſind häßlich. Die Komik kann mit dem
Naturtriebe auch ironiſch ſpielen. Sie kann die Leidenſchaft
für den ſinnlichen Genuß ſcherzhaft übertreiben, als ob für
den Menſchen oder gar für die Götter nichts Höheres und
Wichtigeres exiſtirte. So haben die antiken Komiker den He¬
rakles gern als einen Landſtreicher dargeſtellt, deſſen Hunger
durch nichts zu ſtillen. Ariſtophanes hat dieſer Hanswurſtia¬
den geſpottet, ihre Manier jedoch beibehalten z. B. in den
Fröſchen. Von den Satyrſpielen iſt uns nur der Euripi¬
deiſche Kyklops erhalten, der uns die coloſſale Rohheit des
Polyphemos vorführt. Im Gargantua und Pantagruel
hat der gelehrte und weltkundige Arzt Rabelais den Pariſern
ein Spiegelbild ihrer Unſitten vorgehalten, indem er Saufen
und Freſſen als ein ernſtes Studium ſchildert, mit welchem
ſich die Helden auf der Univerſität in gründlicher Forſchungs¬
luſt beſchäftigen. In Immermanns Münchhauſen
treffen wir den Bedienten Karl Buttervogel, wie er zum
gnädigen Fräulein von Poſemuckel nur deshalb eine brennende
Liebe fingirt, um von ihr mit fetten Butterbröden und
ſonſtigen Victualien regalirt zu werden. — Für die komiſche
Behandlung des Geſchlechtstriebes iſt diejenige Situation
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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