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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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ganz verleugnen, ihr in falschem Hochmuth eine eingebildete
Naturlosigkeit entgegensetzen möchte und nun, von der Macht
der Natur überrascht, zu einer halb unfreiwilligen Aner¬
kennung derselben gezwungen wird. Dieser komische Zug
durchzittert schon die altindischen Geschichten jener Büßer¬
könige, die den Göttern durch ihre Kraft gefährlich zu
werden drohten und denen sie daher eine der reizendsten
Apsarasen zuschickten, sie in ihrer heiligen Einsamkeit zu ver¬
führen. Derselbe Zug belebt eine Unzahl der mittelaltrigen
Erzählungen, welche den in ihm enthaltenen Contrast am
zierlichsten in jenen Geschichtchen vorgestellt haben, wie
Alexander dem Aristoteles eine Buhlin zusendet, die den
Philosophen von der Höhe seiner Abstractionen dazu herab¬
schmeichelt, daß er, auf allen Vieren kriechend, es sich ge¬
fallen läßt, ihre holde Bürde auf seinem Rücken umherzu¬
tragen, in anmuthigen Beschäftigung ihn der lachende
Alexander überrascht. Welche schlüpfrige Historien im Boc¬
caccio
und im Wieland auf diesem Element beruhen, ist
bekannt genug.

Obwohl nun der Erhaltungs- wie der Gattungstrieb
nur durch sittliche Weihe oder durch die Komik ästhetisch
möglich werden, so ist es doch interessant, zu sehen, wie mit
den natürlichen Folgen ihrer Befriedigung Zustände ver¬
bunden sein können, die ästhetisch uns noch roher zu er¬
scheinen vermögen. Die Natur zwingt z. B. den Menschen,
wie das Thier, zur Entäußerung des Ueberflüssigen und
zwar in einer noch viel dringlicheren Weise, als zum Essen
und Trinken selber, weshalb wir auch im Deutschen diese
gemeine Nothwendigkeit mit einem besondern Wort Noth¬
durft
nennen. Der Organismus befreiet sich darin von
dem, was er zu seinem Leben nicht hat verwenden können,

ganz verleugnen, ihr in falſchem Hochmuth eine eingebildete
Naturloſigkeit entgegenſetzen möchte und nun, von der Macht
der Natur überraſcht, zu einer halb unfreiwilligen Aner¬
kennung derſelben gezwungen wird. Dieſer komiſche Zug
durchzittert ſchon die altindiſchen Geſchichten jener Büßer¬
könige, die den Göttern durch ihre Kraft gefährlich zu
werden drohten und denen ſie daher eine der reizendſten
Apſaraſen zuſchickten, ſie in ihrer heiligen Einſamkeit zu ver¬
führen. Derſelbe Zug belebt eine Unzahl der mittelaltrigen
Erzählungen, welche den in ihm enthaltenen Contraſt am
zierlichſten in jenen Geſchichtchen vorgeſtellt haben, wie
Alexander dem Ariſtoteles eine Buhlin zuſendet, die den
Philoſophen von der Höhe ſeiner Abſtractionen dazu herab¬
ſchmeichelt, daß er, auf allen Vieren kriechend, es ſich ge¬
fallen läßt, ihre holde Bürde auf ſeinem Rücken umherzu¬
tragen, in anmuthigen Beſchäftigung ihn der lachende
Alexander überraſcht. Welche ſchlüpfrige Hiſtorien im Boc¬
caccio
und im Wieland auf dieſem Element beruhen, iſt
bekannt genug.

Obwohl nun der Erhaltungs- wie der Gattungstrieb
nur durch ſittliche Weihe oder durch die Komik äſthetiſch
möglich werden, ſo iſt es doch intereſſant, zu ſehen, wie mit
den natürlichen Folgen ihrer Befriedigung Zuſtände ver¬
bunden ſein können, die äſthetiſch uns noch roher zu er¬
ſcheinen vermögen. Die Natur zwingt z. B. den Menſchen,
wie das Thier, zur Entäußerung des Ueberflüſſigen und
zwar in einer noch viel dringlicheren Weiſe, als zum Eſſen
und Trinken ſelber, weshalb wir auch im Deutſchen dieſe
gemeine Nothwendigkeit mit einem beſondern Wort Noth¬
durft
nennen. Der Organismus befreiet ſich darin von
dem, was er zu ſeinem Leben nicht hat verwenden können,

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[230/0252] ganz verleugnen, ihr in falſchem Hochmuth eine eingebildete Naturloſigkeit entgegenſetzen möchte und nun, von der Macht der Natur überraſcht, zu einer halb unfreiwilligen Aner¬ kennung derſelben gezwungen wird. Dieſer komiſche Zug durchzittert ſchon die altindiſchen Geſchichten jener Büßer¬ könige, die den Göttern durch ihre Kraft gefährlich zu werden drohten und denen ſie daher eine der reizendſten Apſaraſen zuſchickten, ſie in ihrer heiligen Einſamkeit zu ver¬ führen. Derſelbe Zug belebt eine Unzahl der mittelaltrigen Erzählungen, welche den in ihm enthaltenen Contraſt am zierlichſten in jenen Geſchichtchen vorgeſtellt haben, wie Alexander dem Ariſtoteles eine Buhlin zuſendet, die den Philoſophen von der Höhe ſeiner Abſtractionen dazu herab¬ ſchmeichelt, daß er, auf allen Vieren kriechend, es ſich ge¬ fallen läßt, ihre holde Bürde auf ſeinem Rücken umherzu¬ tragen, in anmuthigen Beſchäftigung ihn der lachende Alexander überraſcht. Welche ſchlüpfrige Hiſtorien im Boc¬ caccio und im Wieland auf dieſem Element beruhen, iſt bekannt genug. Obwohl nun der Erhaltungs- wie der Gattungstrieb nur durch ſittliche Weihe oder durch die Komik äſthetiſch möglich werden, ſo iſt es doch intereſſant, zu ſehen, wie mit den natürlichen Folgen ihrer Befriedigung Zuſtände ver¬ bunden ſein können, die äſthetiſch uns noch roher zu er¬ ſcheinen vermögen. Die Natur zwingt z. B. den Menſchen, wie das Thier, zur Entäußerung des Ueberflüſſigen und zwar in einer noch viel dringlicheren Weiſe, als zum Eſſen und Trinken ſelber, weshalb wir auch im Deutſchen dieſe gemeine Nothwendigkeit mit einem beſondern Wort Noth¬ durft nennen. Der Organismus befreiet ſich darin von dem, was er zu ſeinem Leben nicht hat verwenden können,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/252>, abgerufen am 22.11.2024.