gebungen ein Interesse haben. Im heutigen komischen Vaudeville hat es sich eine feinere Existenz zurecht gemacht. Die Franzosen besitzen namentlich an der Parodie der Eng¬ länder einen unendlichen Schatz für burleske Erfindungen, wie z. B. im Vaudeville Sport und Turff. Wegen des Parodischen lieben sie es aber überhaupt und man wird beob¬ achten können, wie sehr es ihre Schauspieler aus einer Rolle herauszufinden und zu entwickeln verstehen. Man nehme z. B. ein Vaudeville, wie den Koch Vatel, im Ehrgeiz in der Küche, so ist diese Rolle, in der auch Seydelmann so classisch war, ohne die Schöpferlaune des Schauspielers in burlesken Mienen und Geberden nur die Hälfte dessen, was sie sein soll. Vatel will sich eines mißrathenen Puddings halber mit dem Küchenmesser ermorden. Die Ehre der Koch¬ kunst, die Ehre seiner Ahnen befiehlt es ihm. Diese Scene ist köstlich, sobald sie als burleske Parodie des Pathos der großen Tragödie gespielt wird. Vatel, mit der weißen Schürze, mit der weißen Mütze des Kochs bekleidet, wohl¬ beleibt, das Küchenmesser schwingend, hält einen rührenden Monolog, der uns vor Lachen fast ersticken macht -- wenn die Genialität des Schauspielers die Burleske in der Gewalt hat. Vorschreiben läßt sich dergleichen nicht. In dem Vau¬ deville, les vieux peches, sehen wir einen ehemaligen Pariser Tanzmeister, der unter anderm Namen sich als wohlhabender Rentier in ein Städtchen der Provinz zurückgezogen, sich die Achtung und das Vertrauen seiner Mitbürger erworben hat und endlich zum Maire ernannt wird. Sobald nun dieser treffliche Mann in Affect geräth, fällt er unwillkürlich in symbolische Tänzerattitüden, so daß das Pathos der magistralen Würde und das frivole Enjambement des Ballets höchst burlesk sich widersprechen. Nur die Laune des Schauspielers,
gebungen ein Intereſſe haben. Im heutigen komiſchen Vaudeville hat es ſich eine feinere Exiſtenz zurecht gemacht. Die Franzoſen beſitzen namentlich an der Parodie der Eng¬ länder einen unendlichen Schatz für burleske Erfindungen, wie z. B. im Vaudeville Sport und Turff. Wegen des Parodiſchen lieben ſie es aber überhaupt und man wird beob¬ achten können, wie ſehr es ihre Schauſpieler aus einer Rolle herauszufinden und zu entwickeln verſtehen. Man nehme z. B. ein Vaudeville, wie den Koch Vatel, im Ehrgeiz in der Küche, ſo iſt dieſe Rolle, in der auch Seydelmann ſo claſſiſch war, ohne die Schöpferlaune des Schauſpielers in burlesken Mienen und Geberden nur die Hälfte deſſen, was ſie ſein ſoll. Vatel will ſich eines mißrathenen Puddings halber mit dem Küchenmeſſer ermorden. Die Ehre der Koch¬ kunſt, die Ehre ſeiner Ahnen befiehlt es ihm. Dieſe Scene iſt köſtlich, ſobald ſie als burleske Parodie des Pathos der großen Tragödie geſpielt wird. Vatel, mit der weißen Schürze, mit der weißen Mütze des Kochs bekleidet, wohl¬ beleibt, das Küchenmeſſer ſchwingend, hält einen rührenden Monolog, der uns vor Lachen faſt erſticken macht — wenn die Genialität des Schauſpielers die Burleske in der Gewalt hat. Vorſchreiben läßt ſich dergleichen nicht. In dem Vau¬ deville, les vieux péchés, ſehen wir einen ehemaligen Pariſer Tanzmeiſter, der unter anderm Namen ſich als wohlhabender Rentier in ein Städtchen der Provinz zurückgezogen, ſich die Achtung und das Vertrauen ſeiner Mitbürger erworben hat und endlich zum Maire ernannt wird. Sobald nun dieſer treffliche Mann in Affect geräth, fällt er unwillkürlich in ſymboliſche Tänzerattitüden, ſo daß das Pathos der magiſtralen Würde und das frivole Enjambement des Ballets höchſt burlesk ſich widerſprechen. Nur die Laune des Schauſpielers,
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gebungen ein Intereſſe haben. Im heutigen komiſchen
Vaudeville hat es ſich eine feinere Exiſtenz zurecht gemacht.
Die Franzoſen beſitzen namentlich an der Parodie der Eng¬
länder einen unendlichen Schatz für burleske Erfindungen,
wie z. B. im Vaudeville Sport und Turff. Wegen des
Parodiſchen lieben ſie es aber überhaupt und man wird beob¬
achten können, wie ſehr es ihre Schauſpieler aus einer Rolle
herauszufinden und zu entwickeln verſtehen. Man nehme z. B.
ein Vaudeville, wie den Koch Vatel, im Ehrgeiz in der
Küche, ſo iſt dieſe Rolle, in der auch Seydelmann ſo
claſſiſch war, ohne die Schöpferlaune des Schauſpielers in
burlesken Mienen und Geberden nur die Hälfte deſſen, was
ſie ſein ſoll. Vatel will ſich eines mißrathenen Puddings
halber mit dem Küchenmeſſer ermorden. Die Ehre der Koch¬
kunſt, die Ehre ſeiner Ahnen befiehlt es ihm. Dieſe Scene
iſt köſtlich, ſobald ſie als burleske Parodie des Pathos der
großen Tragödie geſpielt wird. Vatel, mit der weißen
Schürze, mit der weißen Mütze des Kochs bekleidet, wohl¬
beleibt, das Küchenmeſſer ſchwingend, hält einen rührenden
Monolog, der uns vor Lachen faſt erſticken macht — wenn
die Genialität des Schauſpielers die Burleske in der Gewalt
hat. Vorſchreiben läßt ſich dergleichen nicht. In dem Vau¬
deville, les vieux péchés, ſehen wir einen ehemaligen Pariſer
Tanzmeiſter, der unter anderm Namen ſich als wohlhabender
Rentier in ein Städtchen der Provinz zurückgezogen, ſich die
Achtung und das Vertrauen ſeiner Mitbürger erworben hat
und endlich zum Maire ernannt wird. Sobald nun dieſer
treffliche Mann in Affect geräth, fällt er unwillkürlich in
ſymboliſche Tänzerattitüden, ſo daß das Pathos der magiſtralen
Würde und das frivole Enjambement des Ballets höchſt
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/245>, abgerufen am 23.11.2024.
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