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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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sellschaften und versteht unter dem Groteskkomischen besonders
das Niedrigkomische, zumal wie es ins Derbsinnliche, Un¬
züchtige und Rohe übergeht. Schon 1761 hatte Möser
seinen Harlequin oder Vertheidigung des Groteskkomischen
geschrieben und den Begriff desselben ebenfalls vorzüglich an
den Italienischen Masken nach Riccoboni erläutert. Er
nimmt es auch als gleichsinnig mit dem Niedrigkomischen,
mit der Possenreißerei, mit der zweideutigen Anspielung.
Seine Heirath Harlequins oder die Tugend auf der
Schaubühne (abgedruckt in den sämmtlichen Werken, her¬
ausgegeben von Abeken, Berlin 1843, Th. 9., S. 107. ff.)
ist jedoch ziemlich zahm gehalten. Das Groteske ist in vieler
Beziehung der Kindergeschmack, die Chinesische Aesthetik.

Das Bizarre, Barocke und Groteske können ins Bur¬
leske übergehen. Burla heißt im Italienischen und Spani¬
schen Spott. Von Italien kam die burleske Manier nach
Frankreich und wurde hier vorzüglich durch Scarron's Tra¬
vestirung der Aeneide so verbreitet, daß die kurzen Verse der¬
selben schlechthin als burleske Verse in Umlauf kamen nnd
sogar die Geschichte Christi ganz ernsthaft, aber, wie schon
der Titel meldete (44), in burlesken Versen bearbeitet ward.
Das Burleske ist die parodische Ueppigkeit der Willkür, die
zur Ausführung heiterer Caricaturen außerordentlich geeignet
ist. Aus diesem Grunde macht es die Seele des Italienischen
Maskenspiels und aller ihm ähnlichen Komik aus. Das
stumme Spiel, was wir, aus dem corrumpirten aczioni, lazzi
nennen, gehört dem Burlesken als seine eigentlich classische
Darstellung an. Der schöpferische Uebermuth muß mit seinem
tollen Sprudelgeist diese unbeschreiblichen Gesten, Beugungen,
Sprünge, Faxen, Grimassen hervorbringen, die nur im
Moment ihrer Bewegung und im Contrast mit ihren Um¬

ſellſchaften und verſteht unter dem Groteskkomiſchen beſonders
das Niedrigkomiſche, zumal wie es ins Derbſinnliche, Un¬
züchtige und Rohe übergeht. Schon 1761 hatte Möſer
ſeinen Harlequin oder Vertheidigung des Groteskkomiſchen
geſchrieben und den Begriff deſſelben ebenfalls vorzüglich an
den Italieniſchen Masken nach Riccoboni erläutert. Er
nimmt es auch als gleichſinnig mit dem Niedrigkomiſchen,
mit der Poſſenreißerei, mit der zweideutigen Anſpielung.
Seine Heirath Harlequins oder die Tugend auf der
Schaubühne (abgedruckt in den ſämmtlichen Werken, her¬
ausgegeben von Abeken, Berlin 1843, Th. 9., S. 107. ff.)
iſt jedoch ziemlich zahm gehalten. Das Groteske iſt in vieler
Beziehung der Kindergeſchmack, die Chineſiſche Aeſthetik.

Das Bizarre, Barocke und Groteske können ins Bur¬
leske übergehen. Burla heißt im Italieniſchen und Spani¬
ſchen Spott. Von Italien kam die burleske Manier nach
Frankreich und wurde hier vorzüglich durch Scarron's Tra¬
veſtirung der Aeneide ſo verbreitet, daß die kurzen Verſe der¬
ſelben ſchlechthin als burleske Verſe in Umlauf kamen nnd
ſogar die Geſchichte Chriſti ganz ernſthaft, aber, wie ſchon
der Titel meldete (44), in burlesken Verſen bearbeitet ward.
Das Burleske iſt die parodiſche Ueppigkeit der Willkür, die
zur Ausführung heiterer Caricaturen außerordentlich geeignet
iſt. Aus dieſem Grunde macht es die Seele des Italieniſchen
Maskenſpiels und aller ihm ähnlichen Komik aus. Das
ſtumme Spiel, was wir, aus dem corrumpirten aczioni, lazzi
nennen, gehört dem Burlesken als ſeine eigentlich claſſiſche
Darſtellung an. Der ſchöpferiſche Uebermuth muß mit ſeinem
tollen Sprudelgeiſt dieſe unbeſchreiblichen Geſten, Beugungen,
Sprünge, Faxen, Grimaſſen hervorbringen, die nur im
Moment ihrer Bewegung und im Contraſt mit ihren Um¬

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[222/0244] ſellſchaften und verſteht unter dem Groteskkomiſchen beſonders das Niedrigkomiſche, zumal wie es ins Derbſinnliche, Un¬ züchtige und Rohe übergeht. Schon 1761 hatte Möſer ſeinen Harlequin oder Vertheidigung des Groteskkomiſchen geſchrieben und den Begriff deſſelben ebenfalls vorzüglich an den Italieniſchen Masken nach Riccoboni erläutert. Er nimmt es auch als gleichſinnig mit dem Niedrigkomiſchen, mit der Poſſenreißerei, mit der zweideutigen Anſpielung. Seine Heirath Harlequins oder die Tugend auf der Schaubühne (abgedruckt in den ſämmtlichen Werken, her¬ ausgegeben von Abeken, Berlin 1843, Th. 9., S. 107. ff.) iſt jedoch ziemlich zahm gehalten. Das Groteske iſt in vieler Beziehung der Kindergeſchmack, die Chineſiſche Aeſthetik. Das Bizarre, Barocke und Groteske können ins Bur¬ leske übergehen. Burla heißt im Italieniſchen und Spani¬ ſchen Spott. Von Italien kam die burleske Manier nach Frankreich und wurde hier vorzüglich durch Scarron's Tra¬ veſtirung der Aeneide ſo verbreitet, daß die kurzen Verſe der¬ ſelben ſchlechthin als burleske Verſe in Umlauf kamen nnd ſogar die Geſchichte Chriſti ganz ernſthaft, aber, wie ſchon der Titel meldete (44), in burlesken Verſen bearbeitet ward. Das Burleske iſt die parodiſche Ueppigkeit der Willkür, die zur Ausführung heiterer Caricaturen außerordentlich geeignet iſt. Aus dieſem Grunde macht es die Seele des Italieniſchen Maskenſpiels und aller ihm ähnlichen Komik aus. Das ſtumme Spiel, was wir, aus dem corrumpirten aczioni, lazzi nennen, gehört dem Burlesken als ſeine eigentlich claſſiſche Darſtellung an. Der ſchöpferiſche Uebermuth muß mit ſeinem tollen Sprudelgeiſt dieſe unbeſchreiblichen Geſten, Beugungen, Sprünge, Faxen, Grimaſſen hervorbringen, die nur im Moment ihrer Bewegung und im Contraſt mit ihren Um¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/244>, abgerufen am 30.04.2024.