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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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bizarre Launen und barocke Wendungen sehr charakteristisch
gezeichnet. Die Willkür dieser satanischen Person äußert sich
nämlich auch in der Schöpfung von Worten, die nur in
ihrem Lexikon zu finden sind, wie z. B. wenn sie, etwas
sehr bemerkenswerth zu finden, sagt: c'est pharamineux!

Dem Barocken, wie dem Bizarren verwandt, und
doch von ihnen durch eine individuelle Paradoxie verschieden
ist das Groteske. Seinen Namen hat es -- nachdem es
längst in aller Komik existirte -- in Italien zur Zeit Cel¬
linis von einer besondern Art der Gold- und Silberarbeit
erhalten, worin verschiedene Stoffe in seltsamer Mischung
zusammengewürfelt wurden; dann wurde das Wort auf die
buntscheckige Manier übertragen, mit welcher Grotten und
Gartenhallen, Wasserbecken u. dgl. mittelst farbigter Steine,
Korallen, Muscheln, Erzstufen, Moos ausgelegt wurden.
Von diesem Buntgemisch ging der Name auf alle Formen
über, in denen ein sonderbares Durcheinander unberechen¬
barer Schnörkel und unerwarteter Sprünge unsere Aufmerk¬
samkeit eben so sehr fesselt als zerstreuet. Nun wurden auch
die Tänzer, die in Verrenkungen wunderlichster Art uns
vergessen machen, daß sie, wie wir, Knochen haben, Gro¬
tesktänzer genannt. Ihr Beinausspreizen, ihr Wippen,
Wiegen, Drehen, Froschhüpfen, Bauchkriechen, ist wahr¬
lich nichts weniger, als schön; es ist auch nicht komisch;
aber es ist als eine Willkür, die aller Gesetze zu spotten
scheint, grotesk. Flögel hat als Fortsetzung seiner Geschichte
der komischen Literatur Collectaneen hinterlassen, die man
unter dem Titel einer Geschichte des Groteskkomischen 1788
herausgegeben hat. In dieser Geschichte beschäftigt er sich
vom Satyrspiel der Griechen an vorzugsweise mit dem Hans¬
wurst, den Marionetten, den Narrenfesten und Geckenge¬

bizarre Launen und barocke Wendungen ſehr charakteriſtiſch
gezeichnet. Die Willkür dieſer ſataniſchen Perſon äußert ſich
nämlich auch in der Schöpfung von Worten, die nur in
ihrem Lexikon zu finden ſind, wie z. B. wenn ſie, etwas
ſehr bemerkenswerth zu finden, ſagt: c'est pharamineux!

Dem Barocken, wie dem Bizarren verwandt, und
doch von ihnen durch eine individuelle Paradoxie verſchieden
iſt das Groteske. Seinen Namen hat es — nachdem es
längſt in aller Komik exiſtirte — in Italien zur Zeit Cel¬
linis von einer beſondern Art der Gold- und Silberarbeit
erhalten, worin verſchiedene Stoffe in ſeltſamer Miſchung
zuſammengewürfelt wurden; dann wurde das Wort auf die
buntſcheckige Manier übertragen, mit welcher Grotten und
Gartenhallen, Waſſerbecken u. dgl. mittelſt farbigter Steine,
Korallen, Muſcheln, Erzſtufen, Moos ausgelegt wurden.
Von dieſem Buntgemiſch ging der Name auf alle Formen
über, in denen ein ſonderbares Durcheinander unberechen¬
barer Schnörkel und unerwarteter Sprünge unſere Aufmerk¬
ſamkeit eben ſo ſehr feſſelt als zerſtreuet. Nun wurden auch
die Tänzer, die in Verrenkungen wunderlichſter Art uns
vergeſſen machen, daß ſie, wie wir, Knochen haben, Gro¬
tesktänzer genannt. Ihr Beinausſpreizen, ihr Wippen,
Wiegen, Drehen, Froſchhüpfen, Bauchkriechen, iſt wahr¬
lich nichts weniger, als ſchön; es iſt auch nicht komiſch;
aber es iſt als eine Willkür, die aller Geſetze zu ſpotten
ſcheint, grotesk. Flögel hat als Fortſetzung ſeiner Geſchichte
der komiſchen Literatur Collectaneen hinterlaſſen, die man
unter dem Titel einer Geſchichte des Groteskkomiſchen 1788
herausgegeben hat. In dieſer Geſchichte beſchäftigt er ſich
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wurſt, den Marionetten, den Narrenfeſten und Geckenge¬

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[221/0243] bizarre Launen und barocke Wendungen ſehr charakteriſtiſch gezeichnet. Die Willkür dieſer ſataniſchen Perſon äußert ſich nämlich auch in der Schöpfung von Worten, die nur in ihrem Lexikon zu finden ſind, wie z. B. wenn ſie, etwas ſehr bemerkenswerth zu finden, ſagt: c'est pharamineux! Dem Barocken, wie dem Bizarren verwandt, und doch von ihnen durch eine individuelle Paradoxie verſchieden iſt das Groteske. Seinen Namen hat es — nachdem es längſt in aller Komik exiſtirte — in Italien zur Zeit Cel¬ linis von einer beſondern Art der Gold- und Silberarbeit erhalten, worin verſchiedene Stoffe in ſeltſamer Miſchung zuſammengewürfelt wurden; dann wurde das Wort auf die buntſcheckige Manier übertragen, mit welcher Grotten und Gartenhallen, Waſſerbecken u. dgl. mittelſt farbigter Steine, Korallen, Muſcheln, Erzſtufen, Moos ausgelegt wurden. Von dieſem Buntgemiſch ging der Name auf alle Formen über, in denen ein ſonderbares Durcheinander unberechen¬ barer Schnörkel und unerwarteter Sprünge unſere Aufmerk¬ ſamkeit eben ſo ſehr feſſelt als zerſtreuet. Nun wurden auch die Tänzer, die in Verrenkungen wunderlichſter Art uns vergeſſen machen, daß ſie, wie wir, Knochen haben, Gro¬ tesktänzer genannt. Ihr Beinausſpreizen, ihr Wippen, Wiegen, Drehen, Froſchhüpfen, Bauchkriechen, iſt wahr¬ lich nichts weniger, als ſchön; es iſt auch nicht komiſch; aber es iſt als eine Willkür, die aller Geſetze zu ſpotten ſcheint, grotesk. Flögel hat als Fortſetzung ſeiner Geſchichte der komiſchen Literatur Collectaneen hinterlaſſen, die man unter dem Titel einer Geſchichte des Groteskkomiſchen 1788 herausgegeben hat. In dieſer Geſchichte beſchäftigt er ſich vom Satyrſpiel der Griechen an vorzugsweiſe mit dem Hans¬ wurſt, den Marionetten, den Narrenfeſten und Geckenge¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/243>, abgerufen am 30.04.2024.