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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Freiheit als seine eigene Nothwendigkeit festhält, auch dann
noch, wenn er der Gewalt unterliegt. An die absolute Macht
der Freiheit reicht die Natur auch mit ihren furchtbarsten
Schrecken nicht heran. Der Mensch kann von der Natur
überwältigt, aber, wenn er im Untergang seine Würde be¬
wahrt, nicht besiegt werden. Er erhält sich gegen sie in sich
frei; worin die Erhabenheit des stoischen Weisen liegt, den
die Trümmer des zusammenbrechenden Universums unerschrocken
begraben würden. Man braucht sich die Freiheit nicht als
abstracte Fühllosigkeit vorzustellen; die Schranke des Lebens,
die Herbheit des Schmerzes kann gefühlt und die Freiheit
dennoch erhalten werden. Das Opfer wird erhabener, je
härter die Nothwendigkeit ist, deren Gewalt es durch seine
Freiheit überwindet und je tiefer die Empfindung des Gegen¬
satzes gefühlt wird. Ein Curtius, der in den Schlund der
Erde hinabsprengte, am lichten Tag, in voller Rüstung, von
seinen Mitbürgern umringt, konnte den ganzen Werth des
Lebens innigst fühlen -- und doch stürzte er, die Natur zu
bezwingen, in die finstere Tiefe mit freiem Muth hinab. --
Im Conflict der Freiheit mit der Freiheit wird die Erhaben¬
heit der Gesinnung auch hauptsächlich durch die Erhebung
über den unvermeidlichen Schmerz des Gemüths erscheinen --
Nun werden wir in der relativen Schwäche kleiner Thiere,
des Weibes, des Kranken, des Kindes, des Unerfahrenen
und Ungeübten, da sie eine ganz natürliche ist, noch nichts
Häßliches finden. Hört aber diese Unbefangenheit auf, macht
eine Existenz Anspruch auf Kraft und genügt ihm nicht, so
geht die Schwäche in eine Schwächlichkeit über, die häßlich
wird, weil sie einen Widerspruch enthält. Hier zeigt sich
also eine wohl zu beachtende Grenzlinie. Tritt das Erhabene
mit seiner absoluten Gewalt auf, so kann gegen dieselbe auch

Freiheit als ſeine eigene Nothwendigkeit feſthält, auch dann
noch, wenn er der Gewalt unterliegt. An die abſolute Macht
der Freiheit reicht die Natur auch mit ihren furchtbarſten
Schrecken nicht heran. Der Menſch kann von der Natur
überwältigt, aber, wenn er im Untergang ſeine Würde be¬
wahrt, nicht beſiegt werden. Er erhält ſich gegen ſie in ſich
frei; worin die Erhabenheit des ſtoiſchen Weiſen liegt, den
die Trümmer des zuſammenbrechenden Univerſums unerſchrocken
begraben würden. Man braucht ſich die Freiheit nicht als
abſtracte Fühlloſigkeit vorzuſtellen; die Schranke des Lebens,
die Herbheit des Schmerzes kann gefühlt und die Freiheit
dennoch erhalten werden. Das Opfer wird erhabener, je
härter die Nothwendigkeit iſt, deren Gewalt es durch ſeine
Freiheit überwindet und je tiefer die Empfindung des Gegen¬
ſatzes gefühlt wird. Ein Curtius, der in den Schlund der
Erde hinabſprengte, am lichten Tag, in voller Rüſtung, von
ſeinen Mitbürgern umringt, konnte den ganzen Werth des
Lebens innigſt fühlen — und doch ſtürzte er, die Natur zu
bezwingen, in die finſtere Tiefe mit freiem Muth hinab. —
Im Conflict der Freiheit mit der Freiheit wird die Erhaben¬
heit der Geſinnung auch hauptſächlich durch die Erhebung
über den unvermeidlichen Schmerz des Gemüths erſcheinen —
Nun werden wir in der relativen Schwäche kleiner Thiere,
des Weibes, des Kranken, des Kindes, des Unerfahrenen
und Ungeübten, da ſie eine ganz natürliche iſt, noch nichts
Häßliches finden. Hört aber dieſe Unbefangenheit auf, macht
eine Exiſtenz Anſpruch auf Kraft und genügt ihm nicht, ſo
geht die Schwäche in eine Schwächlichkeit über, die häßlich
wird, weil ſie einen Widerſpruch enthält. Hier zeigt ſich
alſo eine wohl zu beachtende Grenzlinie. Tritt das Erhabene
mit ſeiner abſoluten Gewalt auf, ſo kann gegen dieſelbe auch

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[189/0211] Freiheit als ſeine eigene Nothwendigkeit feſthält, auch dann noch, wenn er der Gewalt unterliegt. An die abſolute Macht der Freiheit reicht die Natur auch mit ihren furchtbarſten Schrecken nicht heran. Der Menſch kann von der Natur überwältigt, aber, wenn er im Untergang ſeine Würde be¬ wahrt, nicht beſiegt werden. Er erhält ſich gegen ſie in ſich frei; worin die Erhabenheit des ſtoiſchen Weiſen liegt, den die Trümmer des zuſammenbrechenden Univerſums unerſchrocken begraben würden. Man braucht ſich die Freiheit nicht als abſtracte Fühlloſigkeit vorzuſtellen; die Schranke des Lebens, die Herbheit des Schmerzes kann gefühlt und die Freiheit dennoch erhalten werden. Das Opfer wird erhabener, je härter die Nothwendigkeit iſt, deren Gewalt es durch ſeine Freiheit überwindet und je tiefer die Empfindung des Gegen¬ ſatzes gefühlt wird. Ein Curtius, der in den Schlund der Erde hinabſprengte, am lichten Tag, in voller Rüſtung, von ſeinen Mitbürgern umringt, konnte den ganzen Werth des Lebens innigſt fühlen — und doch ſtürzte er, die Natur zu bezwingen, in die finſtere Tiefe mit freiem Muth hinab. — Im Conflict der Freiheit mit der Freiheit wird die Erhaben¬ heit der Geſinnung auch hauptſächlich durch die Erhebung über den unvermeidlichen Schmerz des Gemüths erſcheinen — Nun werden wir in der relativen Schwäche kleiner Thiere, des Weibes, des Kranken, des Kindes, des Unerfahrenen und Ungeübten, da ſie eine ganz natürliche iſt, noch nichts Häßliches finden. Hört aber dieſe Unbefangenheit auf, macht eine Exiſtenz Anſpruch auf Kraft und genügt ihm nicht, ſo geht die Schwäche in eine Schwächlichkeit über, die häßlich wird, weil ſie einen Widerſpruch enthält. Hier zeigt ſich alſo eine wohl zu beachtende Grenzlinie. Tritt das Erhabene mit ſeiner abſoluten Gewalt auf, ſo kann gegen dieſelbe auch

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/211>, abgerufen am 01.05.2024.