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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Caricatur. Caricare heißt im Italienischen überladen und
wir definiren daher die Caricatur gewöhnlich als die Ueber¬
treibung des Charakterischen. Im Allgemeinen ist diese De¬
finition richtig; im Besondern aber muß sie durch den Zu¬
sammenhang, in welchem eine Erscheinung steht, genauer be¬
stimmt werden. Das Charakterische ist das Element der In¬
dividualisirung. Uebertreibt dieselbe das Individuelle, so ver¬
schwindet das Allgemeine dagegen, indem das Inviduelle, so
zu sagen, sich zur Gattung aufspreizt. Eben hierdurch aber
erzeugt sich die Aufforderung, den Contrast der Hyperindivi¬
dualisirung mit dem Maaße der nothwendigen Allgemeinheit
zu vergleichen und eben in dieser Reflexion liegt das Wesen
der Caricatur. Das absolut Schöne gleicht die Extreme des
Erhabenen und Gefälligen positiv in sich aus, die Caricatur
hingegen treibt die Extreme des Gemeinen und Widrigen hervor,
indem sie aber zugleich das Erhabene und Gefällige durch¬
blicken läßt und das Erhabene als das Gefällige, das Ge¬
fällige als das Erhabene, das Gemeine als das Erhabene,
das Widrige als das Gefällige und die Nullität der charakter¬
losen Leerheit als das Absolutschöne setzt.

Hieraus wird die große Vielseitigkeit des Begriffs der
Caricatur, ja die Möglichkeit seiner Ausdehnung auf den Be¬
griff des Häßlichen überhaupt erhellen. Das nur Formlose
oder Incorrecte sowohl, als das nur Gemeine oder Widrige
ist deshalb noch keine Caricatur. Das Unsymmetrische z. B.
ist noch keine Caricatur; es ist die einfache Negation der
Symmetrie. Allein eine Uebertreibung der Symmetrie, wo
sie schon gar nicht mehr hingehört, wird als Verzerrung der¬
selben zu einer Carikirung, zu einem Hinausgehen über das
dem Begriff der Sache nach erforderliche Maaß des Symme¬
trischen. Oder daß Jemand Sprichwörter in seine Rede ein¬

Caricatur. Caricare heißt im Italieniſchen überladen und
wir definiren daher die Caricatur gewöhnlich als die Ueber¬
treibung des Charakteriſchen. Im Allgemeinen iſt dieſe De¬
finition richtig; im Beſondern aber muß ſie durch den Zu¬
ſammenhang, in welchem eine Erſcheinung ſteht, genauer be¬
ſtimmt werden. Das Charakteriſche iſt das Element der In¬
dividualiſirung. Uebertreibt dieſelbe das Individuelle, ſo ver¬
ſchwindet das Allgemeine dagegen, indem das Inviduelle, ſo
zu ſagen, ſich zur Gattung aufſpreizt. Eben hierdurch aber
erzeugt ſich die Aufforderung, den Contraſt der Hyperindivi¬
dualiſirung mit dem Maaße der nothwendigen Allgemeinheit
zu vergleichen und eben in dieſer Reflexion liegt das Weſen
der Caricatur. Das abſolut Schöne gleicht die Extreme des
Erhabenen und Gefälligen poſitiv in ſich aus, die Caricatur
hingegen treibt die Extreme des Gemeinen und Widrigen hervor,
indem ſie aber zugleich das Erhabene und Gefällige durch¬
blicken läßt und das Erhabene als das Gefällige, das Ge¬
fällige als das Erhabene, das Gemeine als das Erhabene,
das Widrige als das Gefällige und die Nullität der charakter¬
loſen Leerheit als das Abſolutſchöne ſetzt.

Hieraus wird die große Vielſeitigkeit des Begriffs der
Caricatur, ja die Möglichkeit ſeiner Ausdehnung auf den Be¬
griff des Häßlichen überhaupt erhellen. Das nur Formloſe
oder Incorrecte ſowohl, als das nur Gemeine oder Widrige
iſt deshalb noch keine Caricatur. Das Unſymmetriſche z. B.
iſt noch keine Caricatur; es iſt die einfache Negation der
Symmetrie. Allein eine Uebertreibung der Symmetrie, wo
ſie ſchon gar nicht mehr hingehört, wird als Verzerrung der¬
ſelben zu einer Carikirung, zu einem Hinausgehen über das
dem Begriff der Sache nach erforderliche Maaß des Symme¬
triſchen. Oder daß Jemand Sprichwörter in ſeine Rede ein¬

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[171/0193] Caricatur. Caricare heißt im Italieniſchen überladen und wir definiren daher die Caricatur gewöhnlich als die Ueber¬ treibung des Charakteriſchen. Im Allgemeinen iſt dieſe De¬ finition richtig; im Beſondern aber muß ſie durch den Zu¬ ſammenhang, in welchem eine Erſcheinung ſteht, genauer be¬ ſtimmt werden. Das Charakteriſche iſt das Element der In¬ dividualiſirung. Uebertreibt dieſelbe das Individuelle, ſo ver¬ ſchwindet das Allgemeine dagegen, indem das Inviduelle, ſo zu ſagen, ſich zur Gattung aufſpreizt. Eben hierdurch aber erzeugt ſich die Aufforderung, den Contraſt der Hyperindivi¬ dualiſirung mit dem Maaße der nothwendigen Allgemeinheit zu vergleichen und eben in dieſer Reflexion liegt das Weſen der Caricatur. Das abſolut Schöne gleicht die Extreme des Erhabenen und Gefälligen poſitiv in ſich aus, die Caricatur hingegen treibt die Extreme des Gemeinen und Widrigen hervor, indem ſie aber zugleich das Erhabene und Gefällige durch¬ blicken läßt und das Erhabene als das Gefällige, das Ge¬ fällige als das Erhabene, das Gemeine als das Erhabene, das Widrige als das Gefällige und die Nullität der charakter¬ loſen Leerheit als das Abſolutſchöne ſetzt. Hieraus wird die große Vielſeitigkeit des Begriffs der Caricatur, ja die Möglichkeit ſeiner Ausdehnung auf den Be¬ griff des Häßlichen überhaupt erhellen. Das nur Formloſe oder Incorrecte ſowohl, als das nur Gemeine oder Widrige iſt deshalb noch keine Caricatur. Das Unſymmetriſche z. B. iſt noch keine Caricatur; es iſt die einfache Negation der Symmetrie. Allein eine Uebertreibung der Symmetrie, wo ſie ſchon gar nicht mehr hingehört, wird als Verzerrung der¬ ſelben zu einer Carikirung, zu einem Hinausgehen über das dem Begriff der Sache nach erforderliche Maaß des Symme¬ triſchen. Oder daß Jemand Sprichwörter in ſeine Rede ein¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/193>, abgerufen am 24.11.2024.