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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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wirkliche Säulen, wie viele Aegyptische, statt des Capitäls
einen Kopf haben, wenn es auch der Kopf der Isis selber
ist, so ist das von Seiten der Säulenformation eine Usur¬
pation, d. h. eine ästhetisch ungerechtfertigte Anticipation der
Statue. Versucht die Musik, zu malen, was nur gesehen
werden könnte, so strengt sie ihre Mittel vergeblich an. Die
berühmte Passage in Haydn's Schöpfung, es werde Licht
und es ward Licht! kann niemals das Licht als Licht schildern,
sondern immer nur die ungeheure Bewegung, die seine Er¬
scheinung im Universum hervorbrachte. In den Jahres¬
zeiten
kommen Haydn die selbst tönenden Verschiedenheiten
der Naturereignisse und der Beschäftigungen der Menschen
zu Hülfe, im Klang malerisch zu werden; den Jäger charak¬
terisirt der Ruf des Horns, den Hirten der Lockton der Schal¬
mei, den Ackerer der Tanzschritt der Flöte. Das Rauschen
des Wasserfalls, das Brausen des Sturms, das Grollen des
Donners kann die Musik nachahmen; Gefühle aber vermögen
nur einen symbolischen Ausdruck zu gewinnen. Wenn man
für die musikalische Malerei öfter aus Figaro's Hochzeit
von Mozart die Stelle anführt, wo die "kleine, unglück¬
selige Nadel" gesucht wird, so ist zu erwägen, daß ohne
dieses Wort und ohne die mimische Darstellung schwerlich
irgend Jemand aus der Musik die Vorstellung: hier wird
zum Schein eine verlorene Nadel gesucht, würde heraus¬
nehmen können. Umgekehrt kann die Malerei nicht dasjenige
darstellen, was nur musikalisch oder nur poetisch, wohl gar
nur ganz prosaisch, ausgedrückt werden kann. Die Poesie
freilich kann durch das Medium des Wortes Alles darstellen;
ihrer descriptiven Kraft kann sich nichts entziehen; die Malerei
hingegen kann nur dasjenige darstellen, was in das Bereich
der Sichtbarkeit zu treten vermag. Es ist sehr schwer,

wirkliche Säulen, wie viele Aegyptiſche, ſtatt des Capitäls
einen Kopf haben, wenn es auch der Kopf der Iſis ſelber
iſt, ſo iſt das von Seiten der Säulenformation eine Uſur¬
pation, d. h. eine äſthetiſch ungerechtfertigte Anticipation der
Statue. Verſucht die Muſik, zu malen, was nur geſehen
werden könnte, ſo ſtrengt ſie ihre Mittel vergeblich an. Die
berühmte Paſſage in Haydn's Schöpfung, es werde Licht
und es ward Licht! kann niemals das Licht als Licht ſchildern,
ſondern immer nur die ungeheure Bewegung, die ſeine Er¬
ſcheinung im Univerſum hervorbrachte. In den Jahres¬
zeiten
kommen Haydn die ſelbſt tönenden Verſchiedenheiten
der Naturereigniſſe und der Beſchäftigungen der Menſchen
zu Hülfe, im Klang maleriſch zu werden; den Jäger charak¬
teriſirt der Ruf des Horns, den Hirten der Lockton der Schal¬
mei, den Ackerer der Tanzſchritt der Flöte. Das Rauſchen
des Waſſerfalls, das Brauſen des Sturms, das Grollen des
Donners kann die Muſik nachahmen; Gefühle aber vermögen
nur einen ſymboliſchen Ausdruck zu gewinnen. Wenn man
für die muſikaliſche Malerei öfter aus Figaro's Hochzeit
von Mozart die Stelle anführt, wo die „kleine, unglück¬
ſelige Nadel“ geſucht wird, ſo iſt zu erwägen, daß ohne
dieſes Wort und ohne die mimiſche Darſtellung ſchwerlich
irgend Jemand aus der Muſik die Vorſtellung: hier wird
zum Schein eine verlorene Nadel geſucht, würde heraus¬
nehmen können. Umgekehrt kann die Malerei nicht dasjenige
darſtellen, was nur muſikaliſch oder nur poetiſch, wohl gar
nur ganz proſaiſch, ausgedrückt werden kann. Die Poeſie
freilich kann durch das Medium des Wortes Alles darſtellen;
ihrer descriptiven Kraft kann ſich nichts entziehen; die Malerei
hingegen kann nur dasjenige darſtellen, was in das Bereich
der Sichtbarkeit zu treten vermag. Es iſt ſehr ſchwer,

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[159/0181] wirkliche Säulen, wie viele Aegyptiſche, ſtatt des Capitäls einen Kopf haben, wenn es auch der Kopf der Iſis ſelber iſt, ſo iſt das von Seiten der Säulenformation eine Uſur¬ pation, d. h. eine äſthetiſch ungerechtfertigte Anticipation der Statue. Verſucht die Muſik, zu malen, was nur geſehen werden könnte, ſo ſtrengt ſie ihre Mittel vergeblich an. Die berühmte Paſſage in Haydn's Schöpfung, es werde Licht und es ward Licht! kann niemals das Licht als Licht ſchildern, ſondern immer nur die ungeheure Bewegung, die ſeine Er¬ ſcheinung im Univerſum hervorbrachte. In den Jahres¬ zeiten kommen Haydn die ſelbſt tönenden Verſchiedenheiten der Naturereigniſſe und der Beſchäftigungen der Menſchen zu Hülfe, im Klang maleriſch zu werden; den Jäger charak¬ teriſirt der Ruf des Horns, den Hirten der Lockton der Schal¬ mei, den Ackerer der Tanzſchritt der Flöte. Das Rauſchen des Waſſerfalls, das Brauſen des Sturms, das Grollen des Donners kann die Muſik nachahmen; Gefühle aber vermögen nur einen ſymboliſchen Ausdruck zu gewinnen. Wenn man für die muſikaliſche Malerei öfter aus Figaro's Hochzeit von Mozart die Stelle anführt, wo die „kleine, unglück¬ ſelige Nadel“ geſucht wird, ſo iſt zu erwägen, daß ohne dieſes Wort und ohne die mimiſche Darſtellung ſchwerlich irgend Jemand aus der Muſik die Vorſtellung: hier wird zum Schein eine verlorene Nadel geſucht, würde heraus¬ nehmen können. Umgekehrt kann die Malerei nicht dasjenige darſtellen, was nur muſikaliſch oder nur poetiſch, wohl gar nur ganz proſaiſch, ausgedrückt werden kann. Die Poeſie freilich kann durch das Medium des Wortes Alles darſtellen; ihrer descriptiven Kraft kann ſich nichts entziehen; die Malerei hingegen kann nur dasjenige darſtellen, was in das Bereich der Sichtbarkeit zu treten vermag. Es iſt ſehr ſchwer,

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/181>, abgerufen am 24.11.2024.