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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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uns aber, je mehr sie unser Inneres ausdrückt, aus ihrer
mystischen Tiefe zur Poesie, um in der Bestimmtheit der
Vorstellung und des Wortes zur Klarheit zu gelangen. Jene
schwesterliche Hülfe, welche sich die Künste unter einander
gewähren, und dieser innere Uebergang derselben von der
Architektur bis zur Poesie, ist etwas ganz Anderes, als das
falsche Uebergreifen der Künste in einander, denn dies besteht
nicht in einer natürlichen Steigerung, sondern darin, daß
eine Kunst durch Usurpation oder Degradation Wir¬
kungen hervorzwingen soll, die ihr vermöge der Qualität ihres
Elementes unzugänglich sind oder doch bleiben sollten. Greift
eine Kunst unberechtigt vor, so usurpirt sie; stellt sie sich
niedriger, als sie ihrem Begriff nach steht, so degradirt sie
sich; Usurpation aber und Degradation haben, wie die Wissen¬
schaft der Idee als ein allgemeines Gesetz zeigt, die Mon¬
strosität in ihrem Gefolge. Nur einige Beispiele zur Er¬
läuterung seien gestattet. Für die Architektur ist ein Zurück¬
greifen in eine andere Kunst nicht möglich; nach vorwärts
hin soll sie ihre großen Verhältnisse nicht durch die Sculptur
oder Malerei abschwächen. Die Sculptur soll nicht rückwärts
die Rolle der Säule für die Architektur übernehmen. Atlanten
von herkulischem Bau sind zwar geeigneter als zierliche Frucht¬
korbträgerinnen, zu Karyatiden zu dienen und Gebälk und
Decken zu stützen; niemals aber werden solche Träger ent¬
scheidende architektonische Glieder, immer aber eine Degradation
der menschlichen Gestalt sein, die zu edel ist, nur zum Tragen
eines Balkens zu dienen. Wie der riesige Atlas die ganze
Erde zu tragen, hat einen poetischen Sinn, weil es eine
schlechthin unendliche Kraft voraussetzt; aber zu vollbringen,
was eine Säule eben so gut oder vielmehr besser thun würde,
ist gegen die Würde der Menschengestalt. Umgekehrt, wenn

uns aber, je mehr ſie unſer Inneres ausdrückt, aus ihrer
myſtiſchen Tiefe zur Poeſie, um in der Beſtimmtheit der
Vorſtellung und des Wortes zur Klarheit zu gelangen. Jene
ſchweſterliche Hülfe, welche ſich die Künſte unter einander
gewähren, und dieſer innere Uebergang derſelben von der
Architektur bis zur Poeſie, iſt etwas ganz Anderes, als das
falſche Uebergreifen der Künſte in einander, denn dies beſteht
nicht in einer natürlichen Steigerung, ſondern darin, daß
eine Kunſt durch Uſurpation oder Degradation Wir¬
kungen hervorzwingen ſoll, die ihr vermöge der Qualität ihres
Elementes unzugänglich ſind oder doch bleiben ſollten. Greift
eine Kunſt unberechtigt vor, ſo uſurpirt ſie; ſtellt ſie ſich
niedriger, als ſie ihrem Begriff nach ſteht, ſo degradirt ſie
ſich; Uſurpation aber und Degradation haben, wie die Wiſſen¬
ſchaft der Idee als ein allgemeines Geſetz zeigt, die Mon¬
ſtroſität in ihrem Gefolge. Nur einige Beiſpiele zur Er¬
läuterung ſeien geſtattet. Für die Architektur iſt ein Zurück¬
greifen in eine andere Kunſt nicht möglich; nach vorwärts
hin ſoll ſie ihre großen Verhältniſſe nicht durch die Sculptur
oder Malerei abſchwächen. Die Sculptur ſoll nicht rückwärts
die Rolle der Säule für die Architektur übernehmen. Atlanten
von herkuliſchem Bau ſind zwar geeigneter als zierliche Frucht¬
korbträgerinnen, zu Karyatiden zu dienen und Gebälk und
Decken zu ſtützen; niemals aber werden ſolche Träger ent¬
ſcheidende architektoniſche Glieder, immer aber eine Degradation
der menſchlichen Geſtalt ſein, die zu edel iſt, nur zum Tragen
eines Balkens zu dienen. Wie der rieſige Atlas die ganze
Erde zu tragen, hat einen poetiſchen Sinn, weil es eine
ſchlechthin unendliche Kraft vorausſetzt; aber zu vollbringen,
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[158/0180] uns aber, je mehr ſie unſer Inneres ausdrückt, aus ihrer myſtiſchen Tiefe zur Poeſie, um in der Beſtimmtheit der Vorſtellung und des Wortes zur Klarheit zu gelangen. Jene ſchweſterliche Hülfe, welche ſich die Künſte unter einander gewähren, und dieſer innere Uebergang derſelben von der Architektur bis zur Poeſie, iſt etwas ganz Anderes, als das falſche Uebergreifen der Künſte in einander, denn dies beſteht nicht in einer natürlichen Steigerung, ſondern darin, daß eine Kunſt durch Uſurpation oder Degradation Wir¬ kungen hervorzwingen ſoll, die ihr vermöge der Qualität ihres Elementes unzugänglich ſind oder doch bleiben ſollten. Greift eine Kunſt unberechtigt vor, ſo uſurpirt ſie; ſtellt ſie ſich niedriger, als ſie ihrem Begriff nach ſteht, ſo degradirt ſie ſich; Uſurpation aber und Degradation haben, wie die Wiſſen¬ ſchaft der Idee als ein allgemeines Geſetz zeigt, die Mon¬ ſtroſität in ihrem Gefolge. Nur einige Beiſpiele zur Er¬ läuterung ſeien geſtattet. Für die Architektur iſt ein Zurück¬ greifen in eine andere Kunſt nicht möglich; nach vorwärts hin ſoll ſie ihre großen Verhältniſſe nicht durch die Sculptur oder Malerei abſchwächen. Die Sculptur ſoll nicht rückwärts die Rolle der Säule für die Architektur übernehmen. Atlanten von herkuliſchem Bau ſind zwar geeigneter als zierliche Frucht¬ korbträgerinnen, zu Karyatiden zu dienen und Gebälk und Decken zu ſtützen; niemals aber werden ſolche Träger ent¬ ſcheidende architektoniſche Glieder, immer aber eine Degradation der menſchlichen Geſtalt ſein, die zu edel iſt, nur zum Tragen eines Balkens zu dienen. Wie der rieſige Atlas die ganze Erde zu tragen, hat einen poetiſchen Sinn, weil es eine ſchlechthin unendliche Kraft vorausſetzt; aber zu vollbringen, was eine Säule eben ſo gut oder vielmehr beſſer thun würde, iſt gegen die Würde der Menſchengeſtalt. Umgekehrt, wenn

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/180>, abgerufen am 28.11.2024.