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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Ich glaube, daß meine Darstellung auch in all¬
gemeineren Kreisen, nicht blos in dem der Schule, lesbar
ist. Allein durch die Natur des Stoffs wird diese
Lesbarkeit gewisse Grenzen haben. Ich habe scheußliche
Materien berühren und gewisse Dinge bei ihrem Namen
nennen müssen. Als Theoretiker habe ich mich von
dem Hinuntersteigen in manche Kloake zurückhalten und
mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich
bei den Sotadischen Erfindungen. Als Historiker hätt'
ich das nicht gedurft, als Philosoph stand es mir frei.
Und trotz meiner außerordentlichen Vorsicht wird Mancher
urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in solchem
Grade aufrichtig zu sein. Dann hätte aber, darf ich
versichern, die Untersuchung überhaupt nicht gemacht
werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es ist
traurig, daß bei uns auch für die Wissenschaft sich eine
gewisse Pruderie einschleicht, indem man namentlich
bei Gegenständen der thierischen Natur und der Kunst
die Decenz zum exclusiven Maaßstab macht. Und wie
erreicht man diese Decenz heut zu Tage am Besten?
Man spricht gar nicht von gewissen Phänomenen.
Man decretirt ihr Nichtdasein. Man secretirt sie ge¬
wissenlos, um salonfähig zu bleiben. Man gibt z. B.

Ich glaube, daß meine Darſtellung auch in all¬
gemeineren Kreiſen, nicht blos in dem der Schule, lesbar
iſt. Allein durch die Natur des Stoffs wird dieſe
Lesbarkeit gewiſſe Grenzen haben. Ich habe ſcheußliche
Materien berühren und gewiſſe Dinge bei ihrem Namen
nennen müſſen. Als Theoretiker habe ich mich von
dem Hinunterſteigen in manche Kloake zurückhalten und
mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich
bei den Sotadiſchen Erfindungen. Als Hiſtoriker hätt'
ich das nicht gedurft, als Philoſoph ſtand es mir frei.
Und trotz meiner außerordentlichen Vorſicht wird Mancher
urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in ſolchem
Grade aufrichtig zu ſein. Dann hätte aber, darf ich
verſichern, die Unterſuchung überhaupt nicht gemacht
werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es iſt
traurig, daß bei uns auch für die Wiſſenſchaft ſich eine
gewiſſe Pruderie einſchleicht, indem man namentlich
bei Gegenſtänden der thieriſchen Natur und der Kunſt
die Decenz zum excluſiven Maaßſtab macht. Und wie
erreicht man dieſe Decenz heut zu Tage am Beſten?
Man ſpricht gar nicht von gewiſſen Phänomenen.
Man decretirt ihr Nichtdaſein. Man ſecretirt ſie ge¬
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[X/0018] Ich glaube, daß meine Darſtellung auch in all¬ gemeineren Kreiſen, nicht blos in dem der Schule, lesbar iſt. Allein durch die Natur des Stoffs wird dieſe Lesbarkeit gewiſſe Grenzen haben. Ich habe ſcheußliche Materien berühren und gewiſſe Dinge bei ihrem Namen nennen müſſen. Als Theoretiker habe ich mich von dem Hinunterſteigen in manche Kloake zurückhalten und mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich bei den Sotadiſchen Erfindungen. Als Hiſtoriker hätt' ich das nicht gedurft, als Philoſoph ſtand es mir frei. Und trotz meiner außerordentlichen Vorſicht wird Mancher urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in ſolchem Grade aufrichtig zu ſein. Dann hätte aber, darf ich verſichern, die Unterſuchung überhaupt nicht gemacht werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es iſt traurig, daß bei uns auch für die Wiſſenſchaft ſich eine gewiſſe Pruderie einſchleicht, indem man namentlich bei Gegenſtänden der thieriſchen Natur und der Kunſt die Decenz zum excluſiven Maaßſtab macht. Und wie erreicht man dieſe Decenz heut zu Tage am Beſten? Man ſpricht gar nicht von gewiſſen Phänomenen. Man decretirt ihr Nichtdaſein. Man ſecretirt ſie ge¬ wiſſenlos, um ſalonfähig zu bleiben. Man gibt z. B.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/18>, abgerufen am 20.04.2024.