Ich glaube, daß meine Darstellung auch in all¬ gemeineren Kreisen, nicht blos in dem der Schule, lesbar ist. Allein durch die Natur des Stoffs wird diese Lesbarkeit gewisse Grenzen haben. Ich habe scheußliche Materien berühren und gewisse Dinge bei ihrem Namen nennen müssen. Als Theoretiker habe ich mich von dem Hinuntersteigen in manche Kloake zurückhalten und mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich bei den Sotadischen Erfindungen. Als Historiker hätt' ich das nicht gedurft, als Philosoph stand es mir frei. Und trotz meiner außerordentlichen Vorsicht wird Mancher urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in solchem Grade aufrichtig zu sein. Dann hätte aber, darf ich versichern, die Untersuchung überhaupt nicht gemacht werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es ist traurig, daß bei uns auch für die Wissenschaft sich eine gewisse Pruderie einschleicht, indem man namentlich bei Gegenständen der thierischen Natur und der Kunst die Decenz zum exclusiven Maaßstab macht. Und wie erreicht man diese Decenz heut zu Tage am Besten? Man spricht gar nicht von gewissen Phänomenen. Man decretirt ihr Nichtdasein. Man secretirt sie ge¬ wissenlos, um salonfähig zu bleiben. Man gibt z. B.
Ich glaube, daß meine Darſtellung auch in all¬ gemeineren Kreiſen, nicht blos in dem der Schule, lesbar iſt. Allein durch die Natur des Stoffs wird dieſe Lesbarkeit gewiſſe Grenzen haben. Ich habe ſcheußliche Materien berühren und gewiſſe Dinge bei ihrem Namen nennen müſſen. Als Theoretiker habe ich mich von dem Hinunterſteigen in manche Kloake zurückhalten und mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich bei den Sotadiſchen Erfindungen. Als Hiſtoriker hätt' ich das nicht gedurft, als Philoſoph ſtand es mir frei. Und trotz meiner außerordentlichen Vorſicht wird Mancher urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in ſolchem Grade aufrichtig zu ſein. Dann hätte aber, darf ich verſichern, die Unterſuchung überhaupt nicht gemacht werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es iſt traurig, daß bei uns auch für die Wiſſenſchaft ſich eine gewiſſe Pruderie einſchleicht, indem man namentlich bei Gegenſtänden der thieriſchen Natur und der Kunſt die Decenz zum excluſiven Maaßſtab macht. Und wie erreicht man dieſe Decenz heut zu Tage am Beſten? Man ſpricht gar nicht von gewiſſen Phänomenen. Man decretirt ihr Nichtdaſein. Man ſecretirt ſie ge¬ wiſſenlos, um ſalonfähig zu bleiben. Man gibt z. B.
<TEI><text><body><divtype="preface"n="1"><pbfacs="#f0018"n="X"/><p>Ich glaube, daß meine Darſtellung auch in all¬<lb/>
gemeineren Kreiſen, nicht blos in dem der Schule, lesbar<lb/>
iſt. Allein durch die Natur des Stoffs wird dieſe<lb/>
Lesbarkeit gewiſſe Grenzen haben. Ich habe ſcheußliche<lb/>
Materien berühren und gewiſſe Dinge bei ihrem Namen<lb/>
nennen müſſen. Als Theoretiker habe ich mich von<lb/>
dem Hinunterſteigen in manche Kloake zurückhalten und<lb/>
mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich<lb/>
bei den Sotadiſchen Erfindungen. Als Hiſtoriker hätt'<lb/>
ich das nicht gedurft, als Philoſoph ſtand es mir frei.<lb/>
Und trotz meiner außerordentlichen Vorſicht wird Mancher<lb/>
urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in ſolchem<lb/>
Grade aufrichtig zu ſein. Dann hätte aber, darf ich<lb/>
verſichern, die Unterſuchung überhaupt nicht gemacht<lb/>
werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es iſt<lb/>
traurig, daß bei uns auch für die Wiſſenſchaft ſich eine<lb/>
gewiſſe Pruderie einſchleicht, indem man namentlich<lb/>
bei Gegenſtänden der thieriſchen Natur und der Kunſt<lb/>
die Decenz zum excluſiven Maaßſtab macht. Und wie<lb/>
erreicht man dieſe Decenz heut zu Tage am Beſten?<lb/>
Man ſpricht gar nicht von gewiſſen Phänomenen.<lb/>
Man decretirt ihr Nichtdaſein. Man ſecretirt ſie ge¬<lb/>
wiſſenlos, um ſalonfähig zu bleiben. Man gibt z. B.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[X/0018]
Ich glaube, daß meine Darſtellung auch in all¬
gemeineren Kreiſen, nicht blos in dem der Schule, lesbar
iſt. Allein durch die Natur des Stoffs wird dieſe
Lesbarkeit gewiſſe Grenzen haben. Ich habe ſcheußliche
Materien berühren und gewiſſe Dinge bei ihrem Namen
nennen müſſen. Als Theoretiker habe ich mich von
dem Hinunterſteigen in manche Kloake zurückhalten und
mit der Andeutung begnügen können, wie namentlich
bei den Sotadiſchen Erfindungen. Als Hiſtoriker hätt'
ich das nicht gedurft, als Philoſoph ſtand es mir frei.
Und trotz meiner außerordentlichen Vorſicht wird Mancher
urtheilen, ich hätte wohl nicht nöthig gehabt, in ſolchem
Grade aufrichtig zu ſein. Dann hätte aber, darf ich
verſichern, die Unterſuchung überhaupt nicht gemacht
werden dürfen, nicht gemacht werden können. Es iſt
traurig, daß bei uns auch für die Wiſſenſchaft ſich eine
gewiſſe Pruderie einſchleicht, indem man namentlich
bei Gegenſtänden der thieriſchen Natur und der Kunſt
die Decenz zum excluſiven Maaßſtab macht. Und wie
erreicht man dieſe Decenz heut zu Tage am Beſten?
Man ſpricht gar nicht von gewiſſen Phänomenen.
Man decretirt ihr Nichtdaſein. Man ſecretirt ſie ge¬
wiſſenlos, um ſalonfähig zu bleiben. Man gibt z. B.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/18>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.