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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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mit Holzschnitten -- denn ohne holzschnittliche Illu¬
strationen ist eigentlich auch schon moderne Wissenschaft¬
lichkeit nicht mehr möglich --, mit mikroskopischen
Enthüllungen, eine Physiologie heraus, eine Lehre vom
Leben, Vorlesungen, gehalten vor einem Kreise von
Damen und Herrn in einer Hauptstadt, und sagt vom
ganzen Generationsapparat und von allen sexuellen
Functionen kein Wort. Gewiß recht decent. Unsere
Deutsche Literaturgeschichte ist durch das Zurechtmachen
derselben für Mädchenpensionate und höhere Töchter¬
schulen schon ganz castrirt worden, um nur immer
das Edle, Reine, Schöne, Erhebende, Erquickende,
Gemüthliche, Liebliche, Veredelnde und wie die Stich¬
worte weiter lauten, für die zarten Jungfrauen- und
Frauenseelen herauszustellen. Es ist dadurch eine un¬
glaubliche Falschmünzerei der Geschichte der Literatur in
Gang gekommen, die auch schon über die pädagogischen
Rücksichten hinaus die Auffassung entstellt und durch höchst
einseitig ausgewählte traditionelle Blumenlesen unterstützt.
Ein Glück, daß jetzt ein Werk, wie das von Kurz,
erscheint, was durch seine Selbstständigkeit die Fabrik¬
arbeiter nöthigen wird, doch einmal auch wieder andere
Objecte und in anderer Ordnung und mit anderm

mit Holzſchnitten — denn ohne holzſchnittliche Illu¬
ſtrationen iſt eigentlich auch ſchon moderne Wiſſenſchaft¬
lichkeit nicht mehr möglich —, mit mikroskopiſchen
Enthüllungen, eine Phyſiologie heraus, eine Lehre vom
Leben, Vorleſungen, gehalten vor einem Kreiſe von
Damen und Herrn in einer Hauptſtadt, und ſagt vom
ganzen Generationsapparat und von allen ſexuellen
Functionen kein Wort. Gewiß recht decent. Unſere
Deutſche Literaturgeſchichte iſt durch das Zurechtmachen
derſelben für Mädchenpenſionate und höhere Töchter¬
ſchulen ſchon ganz caſtrirt worden, um nur immer
das Edle, Reine, Schöne, Erhebende, Erquickende,
Gemüthliche, Liebliche, Veredelnde und wie die Stich¬
worte weiter lauten, für die zarten Jungfrauen- und
Frauenſeelen herauszuſtellen. Es iſt dadurch eine un¬
glaubliche Falſchmünzerei der Geſchichte der Literatur in
Gang gekommen, die auch ſchon über die pädagogiſchen
Rückſichten hinaus die Auffaſſung entſtellt und durch höchſt
einſeitig ausgewählte traditionelle Blumenleſen unterſtützt.
Ein Glück, daß jetzt ein Werk, wie das von Kurz,
erſcheint, was durch ſeine Selbſtſtändigkeit die Fabrik¬
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[XI/0019] mit Holzſchnitten — denn ohne holzſchnittliche Illu¬ ſtrationen iſt eigentlich auch ſchon moderne Wiſſenſchaft¬ lichkeit nicht mehr möglich —, mit mikroskopiſchen Enthüllungen, eine Phyſiologie heraus, eine Lehre vom Leben, Vorleſungen, gehalten vor einem Kreiſe von Damen und Herrn in einer Hauptſtadt, und ſagt vom ganzen Generationsapparat und von allen ſexuellen Functionen kein Wort. Gewiß recht decent. Unſere Deutſche Literaturgeſchichte iſt durch das Zurechtmachen derſelben für Mädchenpenſionate und höhere Töchter¬ ſchulen ſchon ganz caſtrirt worden, um nur immer das Edle, Reine, Schöne, Erhebende, Erquickende, Gemüthliche, Liebliche, Veredelnde und wie die Stich¬ worte weiter lauten, für die zarten Jungfrauen- und Frauenſeelen herauszuſtellen. Es iſt dadurch eine un¬ glaubliche Falſchmünzerei der Geſchichte der Literatur in Gang gekommen, die auch ſchon über die pädagogiſchen Rückſichten hinaus die Auffaſſung entſtellt und durch höchſt einſeitig ausgewählte traditionelle Blumenleſen unterſtützt. Ein Glück, daß jetzt ein Werk, wie das von Kurz, erſcheint, was durch ſeine Selbſtſtändigkeit die Fabrik¬ arbeiter nöthigen wird, doch einmal auch wieder andere Objecte und in anderer Ordnung und mit anderm

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/19>, abgerufen am 19.04.2024.