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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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religiösen gezwungen, die typische Gestalt, wiewohl sie sogar
häßlich sein kann, noch immerfort zu reproduciren; wie
Gutzkow in seinem humoristischen Roman Mahaguru
veranschaulicht hat, worin die Gebrüder Hali-Yong in
Tübet einem Ketzerproceß unterworfen werden, weil sie ge¬
wagt haben, das Bild des Gottes zu verschönen und in
ihrer Götterfabrik an der Statue des Dalai Lama den
Zwischenraum zwischen Mund und Nase in einer ästhetischeren
Dimension darzustellen, als die geheiligten Traditionen es
gestatteten. So finden wir im Kreise des Islam die Plastik
und Malerei durch das Verbot des Koran gehemmt, eine
beseelte Gestalt zu bilden; sie bleibt also auf das Feld der
Ornamentik beschränkt und hat die plastische Productionskraft
in den überschwänglichen Reichthum derselben ergießen müssen.

Wir besitzen in den verschiedenen Nationalstylen zugleich
verschiedene objective Formen des ästhetischen Ideals. Sie
sind insofern das adäquate Mittel, gewisse Zustände, Em¬
pfindungen, Stimmungen auszudrücken. Es wird deshalb
zur Correctheit gehören, den einer besondern Aufgabe ent¬
sprechenden Styl zu finden und ihn consequent, nach den
ihm inhärirenden Eigenheiten, durchzuführen. Es kann z. B.
der ästhetischen Wahrheit gemäß sein, einen Gegenstand im
Chinesischen oder Griechischen oder Maurischen Styl u. s. w.
darzustellen. In solchem Fall würde man incorrect werden,
nicht auch die richtigen Formen des betreffenden National¬
styls zu verwenden. Man erinnere sich an Montesquieu's
Briefwechsel zwischen Usbeck und Rica, der das Persische
Costum angelegt hat; an Voltaire's Zadig; an Lessing's
Nathan; an Göthe's Westöstlichen Divan; an Rückert's
Oestliche Rosen u. s. w., in welchen Dichtungen überall der
Muhammedanisch Orientalische Styl herrscht.

religiöſen gezwungen, die typiſche Geſtalt, wiewohl ſie ſogar
häßlich ſein kann, noch immerfort zu reproduciren; wie
Gutzkow in ſeinem humoriſtiſchen Roman Mahaguru
veranſchaulicht hat, worin die Gebrüder Hali-Yong in
Tübet einem Ketzerproceß unterworfen werden, weil ſie ge¬
wagt haben, das Bild des Gottes zu verſchönen und in
ihrer Götterfabrik an der Statue des Dalai Lama den
Zwiſchenraum zwiſchen Mund und Naſe in einer äſthetiſcheren
Dimenſion darzuſtellen, als die geheiligten Traditionen es
geſtatteten. So finden wir im Kreiſe des Islam die Plaſtik
und Malerei durch das Verbot des Koran gehemmt, eine
beſeelte Geſtalt zu bilden; ſie bleibt alſo auf das Feld der
Ornamentik beſchränkt und hat die plaſtiſche Productionskraft
in den überſchwänglichen Reichthum derſelben ergießen müſſen.

Wir beſitzen in den verſchiedenen Nationalſtylen zugleich
verſchiedene objective Formen des äſthetiſchen Ideals. Sie
ſind inſofern das adäquate Mittel, gewiſſe Zuſtände, Em¬
pfindungen, Stimmungen auszudrücken. Es wird deshalb
zur Correctheit gehören, den einer beſondern Aufgabe ent¬
ſprechenden Styl zu finden und ihn conſequent, nach den
ihm inhärirenden Eigenheiten, durchzuführen. Es kann z. B.
der äſthetiſchen Wahrheit gemäß ſein, einen Gegenſtand im
Chineſiſchen oder Griechiſchen oder Mauriſchen Styl u. ſ. w.
darzuſtellen. In ſolchem Fall würde man incorrect werden,
nicht auch die richtigen Formen des betreffenden National¬
ſtyls zu verwenden. Man erinnere ſich an Montesquieu's
Briefwechſel zwiſchen Usbeck und Rica, der das Perſiſche
Coſtum angelegt hat; an Voltaire's Zadig; an Leſſing's
Nathan; an Göthe's Weſtöſtlichen Divan; an Rückert's
Oeſtliche Roſen u. ſ. w., in welchen Dichtungen überall der
Muhammedaniſch Orientaliſche Styl herrſcht.

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[144/0166] religiöſen gezwungen, die typiſche Geſtalt, wiewohl ſie ſogar häßlich ſein kann, noch immerfort zu reproduciren; wie Gutzkow in ſeinem humoriſtiſchen Roman Mahaguru veranſchaulicht hat, worin die Gebrüder Hali-Yong in Tübet einem Ketzerproceß unterworfen werden, weil ſie ge¬ wagt haben, das Bild des Gottes zu verſchönen und in ihrer Götterfabrik an der Statue des Dalai Lama den Zwiſchenraum zwiſchen Mund und Naſe in einer äſthetiſcheren Dimenſion darzuſtellen, als die geheiligten Traditionen es geſtatteten. So finden wir im Kreiſe des Islam die Plaſtik und Malerei durch das Verbot des Koran gehemmt, eine beſeelte Geſtalt zu bilden; ſie bleibt alſo auf das Feld der Ornamentik beſchränkt und hat die plaſtiſche Productionskraft in den überſchwänglichen Reichthum derſelben ergießen müſſen. Wir beſitzen in den verſchiedenen Nationalſtylen zugleich verſchiedene objective Formen des äſthetiſchen Ideals. Sie ſind inſofern das adäquate Mittel, gewiſſe Zuſtände, Em¬ pfindungen, Stimmungen auszudrücken. Es wird deshalb zur Correctheit gehören, den einer beſondern Aufgabe ent¬ ſprechenden Styl zu finden und ihn conſequent, nach den ihm inhärirenden Eigenheiten, durchzuführen. Es kann z. B. der äſthetiſchen Wahrheit gemäß ſein, einen Gegenſtand im Chineſiſchen oder Griechiſchen oder Mauriſchen Styl u. ſ. w. darzuſtellen. In ſolchem Fall würde man incorrect werden, nicht auch die richtigen Formen des betreffenden National¬ ſtyls zu verwenden. Man erinnere ſich an Montesquieu's Briefwechſel zwiſchen Usbeck und Rica, der das Perſiſche Coſtum angelegt hat; an Voltaire's Zadig; an Leſſing's Nathan; an Göthe's Weſtöſtlichen Divan; an Rückert's Oeſtliche Roſen u. ſ. w., in welchen Dichtungen überall der Muhammedaniſch Orientaliſche Styl herrſcht.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/166>, abgerufen am 02.05.2024.