Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

nun das Holz, welches die Chinesen als das fünfte Element
nehmen, gegen die Witterung zu schützen, hat man es mit
Porzellanfliesen belegt und mit Firniß überstrichen und, um
die Monotonie zu brechen, sich an bunte, grelle Farben ge¬
wöhnt. Der Farbenglanz des Lacks, durch Vergoldung ge¬
steigert, ist national geworden und correct im Chinesischen
Sinn erscheint nunmehr nur dasjenige, was dieser hellen
Farbenmannigfaltigkeit entspricht. Oder man erinnere sich,
daß die Franzosen vermeintlich die abstracte Einheit des
Ortes, der Zeit und der Handlung beim Drama für Aristo¬
telisch hielten, daß sie diese Theorie zur absoluten Norm bei
sich erhoben, so wird man begreifen, daß ihnen ein Verstoß
gegen eine der drei Einheiten als incorrect erscheinen mußte.
Sie hatten sich so sehr in jene abstracte Einheit hineingedacht,
hineingelebt, daß eine Abweichung von derselben, und wäre
sie noch so poetisch gewesen, von ihnen als häßlich empfunden
wurde. Man vergegenwärtige sich nur eines der bekannten
Urtheile, welche Voltaire von seinem nationalen Gesichts¬
punct aus über die Englische Bühne als eine barbarische
fällte, weil bei dieser umgekehrt der Wechsel von Ort und
Zeit und der Uebergang der Haupthandlung in eine freie
Mannigfaltigkeit episodischer Nebenhandlungen, die von den
Franzosen nur dem Epos gestattet wurden, zum nationalen
Ideal sich entwickelt hatte. -- Verbindet sich die Bestimmt¬
heit des nationalen Styls mit religiösen Anschauungen, so
kann dieselbe, wenn sie im Sinn des absoluten Ideals
incorrect ist, die reine Gestaltung des Schönen oft lange
Zeit niederhalten. Die Kunst kann in ihrer Technik nicht
nur, sondern auf andern Gebieten, die mit dem religiösen
nicht direct zusammenhängen, auch in ihrem idealen Streben
schon höhere Stufen erreicht haben, sieht sich aber auf dem

nun das Holz, welches die Chineſen als das fünfte Element
nehmen, gegen die Witterung zu ſchützen, hat man es mit
Porzellanflieſen belegt und mit Firniß überſtrichen und, um
die Monotonie zu brechen, ſich an bunte, grelle Farben ge¬
wöhnt. Der Farbenglanz des Lacks, durch Vergoldung ge¬
ſteigert, iſt national geworden und correct im Chineſiſchen
Sinn erſcheint nunmehr nur dasjenige, was dieſer hellen
Farbenmannigfaltigkeit entſpricht. Oder man erinnere ſich,
daß die Franzoſen vermeintlich die abſtracte Einheit des
Ortes, der Zeit und der Handlung beim Drama für Ariſto¬
teliſch hielten, daß ſie dieſe Theorie zur abſoluten Norm bei
ſich erhoben, ſo wird man begreifen, daß ihnen ein Verſtoß
gegen eine der drei Einheiten als incorrect erſcheinen mußte.
Sie hatten ſich ſo ſehr in jene abſtracte Einheit hineingedacht,
hineingelebt, daß eine Abweichung von derſelben, und wäre
ſie noch ſo poetiſch geweſen, von ihnen als häßlich empfunden
wurde. Man vergegenwärtige ſich nur eines der bekannten
Urtheile, welche Voltaire von ſeinem nationalen Geſichts¬
punct aus über die Engliſche Bühne als eine barbariſche
fällte, weil bei dieſer umgekehrt der Wechſel von Ort und
Zeit und der Uebergang der Haupthandlung in eine freie
Mannigfaltigkeit epiſodiſcher Nebenhandlungen, die von den
Franzoſen nur dem Epos geſtattet wurden, zum nationalen
Ideal ſich entwickelt hatte. — Verbindet ſich die Beſtimmt¬
heit des nationalen Styls mit religiöſen Anſchauungen, ſo
kann dieſelbe, wenn ſie im Sinn des abſoluten Ideals
incorrect iſt, die reine Geſtaltung des Schönen oft lange
Zeit niederhalten. Die Kunſt kann in ihrer Technik nicht
nur, ſondern auf andern Gebieten, die mit dem religiöſen
nicht direct zuſammenhängen, auch in ihrem idealen Streben
ſchon höhere Stufen erreicht haben, ſieht ſich aber auf dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0165" n="143"/>
nun das Holz, welches die Chine&#x017F;en als das fünfte Element<lb/>
nehmen, gegen die Witterung zu &#x017F;chützen, hat man es mit<lb/>
Porzellanflie&#x017F;en belegt und mit Firniß über&#x017F;trichen und, um<lb/>
die Monotonie zu brechen, &#x017F;ich an bunte, grelle Farben ge¬<lb/>
wöhnt. Der Farbenglanz des Lacks, durch Vergoldung ge¬<lb/>
&#x017F;teigert, i&#x017F;t national geworden und correct im Chine&#x017F;i&#x017F;chen<lb/>
Sinn er&#x017F;cheint nunmehr nur dasjenige, was die&#x017F;er hellen<lb/>
Farbenmannigfaltigkeit ent&#x017F;pricht. Oder man erinnere &#x017F;ich,<lb/>
daß die <hi rendition="#g">Franzo&#x017F;en</hi> vermeintlich die ab&#x017F;tracte Einheit des<lb/>
Ortes, der Zeit und der Handlung beim Drama für Ari&#x017F;to¬<lb/>
teli&#x017F;ch hielten, daß &#x017F;ie die&#x017F;e Theorie zur ab&#x017F;oluten Norm bei<lb/>
&#x017F;ich erhoben, &#x017F;o wird man begreifen, daß ihnen ein Ver&#x017F;toß<lb/>
gegen eine der drei Einheiten als incorrect er&#x017F;cheinen mußte.<lb/>
Sie hatten &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ehr in jene ab&#x017F;tracte Einheit hineingedacht,<lb/>
hineingelebt, daß eine Abweichung von der&#x017F;elben, und wäre<lb/>
&#x017F;ie noch &#x017F;o poeti&#x017F;ch gewe&#x017F;en, von ihnen als häßlich empfunden<lb/>
wurde. Man vergegenwärtige &#x017F;ich nur eines der bekannten<lb/>
Urtheile, welche <hi rendition="#g">Voltaire</hi> von &#x017F;einem nationalen Ge&#x017F;ichts¬<lb/>
punct aus über die Engli&#x017F;che Bühne als eine barbari&#x017F;che<lb/>
fällte, weil bei die&#x017F;er umgekehrt der Wech&#x017F;el von Ort und<lb/>
Zeit und der Uebergang der Haupthandlung in eine freie<lb/>
Mannigfaltigkeit epi&#x017F;odi&#x017F;cher Nebenhandlungen, die von den<lb/>
Franzo&#x017F;en nur dem Epos ge&#x017F;tattet wurden, zum nationalen<lb/>
Ideal &#x017F;ich entwickelt hatte. &#x2014; Verbindet &#x017F;ich die Be&#x017F;timmt¬<lb/>
heit des nationalen Styls mit religiö&#x017F;en An&#x017F;chauungen, &#x017F;o<lb/>
kann die&#x017F;elbe, wenn &#x017F;ie im Sinn des ab&#x017F;oluten Ideals<lb/>
incorrect i&#x017F;t, die reine Ge&#x017F;taltung des Schönen oft lange<lb/>
Zeit niederhalten. Die Kun&#x017F;t kann in ihrer Technik nicht<lb/>
nur, &#x017F;ondern auf andern Gebieten, die mit dem religiö&#x017F;en<lb/>
nicht direct zu&#x017F;ammenhängen, auch in ihrem idealen Streben<lb/>
&#x017F;chon höhere Stufen erreicht haben, &#x017F;ieht &#x017F;ich aber auf dem<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0165] nun das Holz, welches die Chineſen als das fünfte Element nehmen, gegen die Witterung zu ſchützen, hat man es mit Porzellanflieſen belegt und mit Firniß überſtrichen und, um die Monotonie zu brechen, ſich an bunte, grelle Farben ge¬ wöhnt. Der Farbenglanz des Lacks, durch Vergoldung ge¬ ſteigert, iſt national geworden und correct im Chineſiſchen Sinn erſcheint nunmehr nur dasjenige, was dieſer hellen Farbenmannigfaltigkeit entſpricht. Oder man erinnere ſich, daß die Franzoſen vermeintlich die abſtracte Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung beim Drama für Ariſto¬ teliſch hielten, daß ſie dieſe Theorie zur abſoluten Norm bei ſich erhoben, ſo wird man begreifen, daß ihnen ein Verſtoß gegen eine der drei Einheiten als incorrect erſcheinen mußte. Sie hatten ſich ſo ſehr in jene abſtracte Einheit hineingedacht, hineingelebt, daß eine Abweichung von derſelben, und wäre ſie noch ſo poetiſch geweſen, von ihnen als häßlich empfunden wurde. Man vergegenwärtige ſich nur eines der bekannten Urtheile, welche Voltaire von ſeinem nationalen Geſichts¬ punct aus über die Engliſche Bühne als eine barbariſche fällte, weil bei dieſer umgekehrt der Wechſel von Ort und Zeit und der Uebergang der Haupthandlung in eine freie Mannigfaltigkeit epiſodiſcher Nebenhandlungen, die von den Franzoſen nur dem Epos geſtattet wurden, zum nationalen Ideal ſich entwickelt hatte. — Verbindet ſich die Beſtimmt¬ heit des nationalen Styls mit religiöſen Anſchauungen, ſo kann dieſelbe, wenn ſie im Sinn des abſoluten Ideals incorrect iſt, die reine Geſtaltung des Schönen oft lange Zeit niederhalten. Die Kunſt kann in ihrer Technik nicht nur, ſondern auf andern Gebieten, die mit dem religiöſen nicht direct zuſammenhängen, auch in ihrem idealen Streben ſchon höhere Stufen erreicht haben, ſieht ſich aber auf dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/165
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/165>, abgerufen am 02.05.2024.