hat; sie verliebt sich in den hübschen jungen Mann; er schändet sie, dem Vater zum Hohn. Mehr als Italienisch teuflisch! Im Act der Schändung aber schlägt sein Haß zur Liebe um und in Folge dieser Liebe ändert sich seine ganze Gesinnung. Er verschwindet, sich von seiner Räuber¬ bande loszumachen, ein ordentliches Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft zu werden und mit seiner Julia nach Amerika auszuwandern -- durchaus unitalienisch. Allein er ist so unverständig, dem Mädchen von all dieser Zukunft kein Wort zu sagen, obwohl er noch das Malheur hat, längere Zeit in einem Versteck krank zu liegen. Die Zeit verstreicht. Julia fühlt sich schwanger, soll aber, als die keuscheste Jungfrau ihrer Stadt, am Fest der heiligen Rosalia die Königin der Jungfrauen darstellen. Diesen Widerspruch er¬ trägt sie nicht; sie fliehet, irrt im Lande umher, hofft irgendwo zu sterben. Statt ins Wasser zu springen, wie doch noch die Hebbelsche Clara in der Maria Magdalena thut; statt sich einen Dolch ins Herz zu stoßen, wie Lucretia; statt sich vom Vater tödten zu lassen, wie Virginia; statt wenigstens einen Schlaftrunk zu nehmen, wie Shakespeare's Julie; lockt sie einen Banditen in einen Wald -- mutter¬ seelenallein -- hält ihm eine Börse vor und redet seltsamlich, bis der Bandit erahnt, daß es ihr angenehm sein dürfte, nicht länger zu leben. Aber in diesem Augenblick hebt die unerhörte Katastrophe an. In dem Walddickicht kauert nämlich ein reicher, Deutscher, junger, äußerst blasirter Graf von ausgezeichneter Liebe zum Menschengeschlecht im Allge¬ meinen; so gründlich hat er sich ruinirt, daß er mit mathe¬ matischer Gewißheit nicht lange mehr leben kann. Da er jedoch eigentlich ein sehr guter Mensch ist, wie ihm auch sein alter Diener Christoph bezeugt, so möchte er gern den
hat; ſie verliebt ſich in den hübſchen jungen Mann; er ſchändet ſie, dem Vater zum Hohn. Mehr als Italieniſch teufliſch! Im Act der Schändung aber ſchlägt ſein Haß zur Liebe um und in Folge dieſer Liebe ändert ſich ſeine ganze Geſinnung. Er verſchwindet, ſich von ſeiner Räuber¬ bande loszumachen, ein ordentliches Mitglied der bürgerlichen Geſellſchaft zu werden und mit ſeiner Julia nach Amerika auszuwandern — durchaus unitalieniſch. Allein er iſt ſo unverſtändig, dem Mädchen von all dieſer Zukunft kein Wort zu ſagen, obwohl er noch das Malheur hat, längere Zeit in einem Verſteck krank zu liegen. Die Zeit verſtreicht. Julia fühlt ſich ſchwanger, ſoll aber, als die keuſcheſte Jungfrau ihrer Stadt, am Feſt der heiligen Roſalia die Königin der Jungfrauen darſtellen. Dieſen Widerſpruch er¬ trägt ſie nicht; ſie fliehet, irrt im Lande umher, hofft irgendwo zu ſterben. Statt ins Waſſer zu ſpringen, wie doch noch die Hebbelſche Clara in der Maria Magdalena thut; ſtatt ſich einen Dolch ins Herz zu ſtoßen, wie Lucretia; ſtatt ſich vom Vater tödten zu laſſen, wie Virginia; ſtatt wenigſtens einen Schlaftrunk zu nehmen, wie Shakeſpeare's Julie; lockt ſie einen Banditen in einen Wald — mutter¬ ſeelenallein — hält ihm eine Börſe vor und redet ſeltſamlich, bis der Bandit erahnt, daß es ihr angenehm ſein dürfte, nicht länger zu leben. Aber in dieſem Augenblick hebt die unerhörte Kataſtrophe an. In dem Walddickicht kauert nämlich ein reicher, Deutſcher, junger, äußerſt blaſirter Graf von ausgezeichneter Liebe zum Menſchengeſchlecht im Allge¬ meinen; ſo gründlich hat er ſich ruinirt, daß er mit mathe¬ matiſcher Gewißheit nicht lange mehr leben kann. Da er jedoch eigentlich ein ſehr guter Menſch iſt, wie ihm auch ſein alter Diener Chriſtoph bezeugt, ſo möchte er gern den
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hat; ſie verliebt ſich in den hübſchen jungen Mann; er
ſchändet ſie, dem Vater zum Hohn. Mehr als Italieniſch
teufliſch! Im Act der Schändung aber ſchlägt ſein Haß
zur Liebe um und in Folge dieſer Liebe ändert ſich ſeine
ganze Geſinnung. Er verſchwindet, ſich von ſeiner Räuber¬
bande loszumachen, ein ordentliches Mitglied der bürgerlichen
Geſellſchaft zu werden und mit ſeiner Julia nach Amerika
auszuwandern — durchaus unitalieniſch. Allein er iſt ſo
unverſtändig, dem Mädchen von all dieſer Zukunft kein
Wort zu ſagen, obwohl er noch das Malheur hat, längere
Zeit in einem Verſteck krank zu liegen. Die Zeit verſtreicht.
Julia fühlt ſich ſchwanger, ſoll aber, als die keuſcheſte
Jungfrau ihrer Stadt, am Feſt der heiligen Roſalia die
Königin der Jungfrauen darſtellen. Dieſen Widerſpruch er¬
trägt ſie nicht; ſie fliehet, irrt im Lande umher, hofft
irgendwo zu ſterben. Statt ins Waſſer zu ſpringen, wie
doch noch die Hebbelſche Clara in der Maria Magdalena thut;
ſtatt ſich einen Dolch ins Herz zu ſtoßen, wie Lucretia;
ſtatt ſich vom Vater tödten zu laſſen, wie Virginia; ſtatt
wenigſtens einen Schlaftrunk zu nehmen, wie Shakeſpeare's
Julie; lockt ſie einen Banditen in einen Wald — mutter¬
ſeelenallein — hält ihm eine Börſe vor und redet ſeltſamlich,
bis der Bandit erahnt, daß es ihr angenehm ſein dürfte,
nicht länger zu leben. Aber in dieſem Augenblick hebt die
unerhörte Kataſtrophe an. In dem Walddickicht kauert
nämlich ein reicher, Deutſcher, junger, äußerſt blaſirter Graf
von ausgezeichneter Liebe zum Menſchengeſchlecht im Allge¬
meinen; ſo gründlich hat er ſich ruinirt, daß er mit mathe¬
matiſcher Gewißheit nicht lange mehr leben kann. Da er
jedoch eigentlich ein ſehr guter Menſch iſt, wie ihm auch
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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/132>, abgerufen am 23.11.2024.
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