Rest seines Lebens noch zu einer nützlichen, wo möglich noblen That verwerthen. Leider ist das Wie seinem geist¬ reichen Kopfe dunkel, aber die Vorsehung des Dramas sorgt auch für die Narren. Mit Ueberraschung hat er nämlich der originellen Mordscene beigewohnt, jagt im rechten Augen¬ blick mit einem kräftig ausgestoßenen "Bube" den ehrlichen Banditen Pietro in die Flucht, erfährt von Julia sofort den Thatbestand und ist entzückt, bei ihr eine schöne Gelegenheit gefunden zu haben, sein Nichts von Leben doch noch gut verwerthen zu können. Er entschließt sich nämlich, die schwangere Julia zu heirathen. Worüber Clara's früherer Geliebter in Hebbels Magdalena noch nicht hinfort kann, weil kein "Mann" darüber hinfort kann, das existirt für den ausgemergelten Grafen nicht mehr. Sein Standpunct ist höher, freier, denn er dürstet vor dem nahen Tode nach einer tugendhaften Handlung und einem gefallenen Mädchen recht pfiffig wieder zu ihrer Ehre zu helfen -- sollte das nicht außerordentlich tugendhaft sein? Unterdessen hat der alte Vater seine Tochter vermißt und täuscht die Stadt mit einem leeren Sarge, als ob sie gestorben wäre, bei welcher Posse der Hausarzt Alberto ihn unterstützt, der als Haus¬ freund erst Juliens Mutter, dann diese selber, immer in bescheidener Ferne, geliebt hat. Graf Bertram kommt mit Julia an und der Vater gibt, wohl oder übel, dem vor¬ nehmen Schwiegersohn seinen Segen. Aber der so schöne und durch die Liebe zum Philisterium bekehrte Räuber Antonio kommt auch an und ras't natürlich zuerst, bis ihm Ber¬ trams wunderbare, nicht sowohl keusche, als richtiger impo¬ tente Willensmeinungen klar gemacht werden. Auf einem Schloß des Grafen in Tyrol finden wir im letzten Act Julien mit ihrem Mann, ihrem Geliebten und dem Plato¬
Reſt ſeines Lebens noch zu einer nützlichen, wo möglich noblen That verwerthen. Leider iſt das Wie ſeinem geiſt¬ reichen Kopfe dunkel, aber die Vorſehung des Dramas ſorgt auch für die Narren. Mit Ueberraſchung hat er nämlich der originellen Mordſcene beigewohnt, jagt im rechten Augen¬ blick mit einem kräftig ausgeſtoßenen „Bube“ den ehrlichen Banditen Pietro in die Flucht, erfährt von Julia ſofort den Thatbeſtand und iſt entzückt, bei ihr eine ſchöne Gelegenheit gefunden zu haben, ſein Nichts von Leben doch noch gut verwerthen zu können. Er entſchließt ſich nämlich, die ſchwangere Julia zu heirathen. Worüber Clara's früherer Geliebter in Hebbels Magdalena noch nicht hinfort kann, weil kein „Mann“ darüber hinfort kann, das exiſtirt für den ausgemergelten Grafen nicht mehr. Sein Standpunct iſt höher, freier, denn er dürſtet vor dem nahen Tode nach einer tugendhaften Handlung und einem gefallenen Mädchen recht pfiffig wieder zu ihrer Ehre zu helfen — ſollte das nicht außerordentlich tugendhaft ſein? Unterdeſſen hat der alte Vater ſeine Tochter vermißt und täuſcht die Stadt mit einem leeren Sarge, als ob ſie geſtorben wäre, bei welcher Poſſe der Hausarzt Alberto ihn unterſtützt, der als Haus¬ freund erſt Juliens Mutter, dann dieſe ſelber, immer in beſcheidener Ferne, geliebt hat. Graf Bertram kommt mit Julia an und der Vater gibt, wohl oder übel, dem vor¬ nehmen Schwiegerſohn ſeinen Segen. Aber der ſo ſchöne und durch die Liebe zum Philiſterium bekehrte Räuber Antonio kommt auch an und raſ't natürlich zuerſt, bis ihm Ber¬ trams wunderbare, nicht ſowohl keuſche, als richtiger impo¬ tente Willensmeinungen klar gemacht werden. Auf einem Schloß des Grafen in Tyrol finden wir im letzten Act Julien mit ihrem Mann, ihrem Geliebten und dem Plato¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0133"n="111"/>
Reſt ſeines Lebens noch zu einer nützlichen, wo möglich<lb/>
noblen That verwerthen. Leider iſt das Wie ſeinem geiſt¬<lb/>
reichen Kopfe dunkel, aber die Vorſehung des Dramas ſorgt<lb/>
auch für die Narren. Mit Ueberraſchung hat er nämlich<lb/>
der originellen Mordſcene beigewohnt, jagt im rechten Augen¬<lb/>
blick mit einem kräftig ausgeſtoßenen „Bube“ den ehrlichen<lb/>
Banditen Pietro in die Flucht, erfährt von Julia ſofort den<lb/>
Thatbeſtand und iſt entzückt, bei ihr eine ſchöne Gelegenheit<lb/>
gefunden zu haben, ſein Nichts von Leben doch noch gut<lb/>
verwerthen zu können. Er entſchließt ſich nämlich, die<lb/>ſchwangere Julia zu heirathen. Worüber Clara's früherer<lb/>
Geliebter in Hebbels Magdalena noch nicht hinfort kann,<lb/>
weil kein „Mann“ darüber hinfort kann, das exiſtirt für<lb/>
den ausgemergelten Grafen nicht mehr. Sein Standpunct<lb/>
iſt höher, freier, denn er dürſtet vor dem nahen Tode nach<lb/>
einer tugendhaften Handlung und einem gefallenen Mädchen<lb/>
recht pfiffig wieder zu ihrer Ehre zu helfen —ſollte das<lb/>
nicht außerordentlich tugendhaft ſein? Unterdeſſen hat der<lb/>
alte Vater ſeine Tochter vermißt und täuſcht die Stadt mit<lb/>
einem leeren Sarge, als ob ſie geſtorben wäre, bei welcher<lb/>
Poſſe der Hausarzt Alberto ihn unterſtützt, der als Haus¬<lb/>
freund erſt Juliens Mutter, dann dieſe ſelber, immer in<lb/>
beſcheidener Ferne, geliebt hat. Graf Bertram kommt mit<lb/>
Julia an und der Vater gibt, wohl oder übel, dem vor¬<lb/>
nehmen Schwiegerſohn ſeinen Segen. Aber der ſo ſchöne<lb/>
und durch die Liebe zum Philiſterium bekehrte Räuber Antonio<lb/>
kommt auch an und raſ't natürlich zuerſt, bis ihm Ber¬<lb/>
trams wunderbare, nicht ſowohl keuſche, als richtiger impo¬<lb/>
tente Willensmeinungen klar gemacht werden. Auf einem<lb/>
Schloß des Grafen in Tyrol finden wir im letzten Act<lb/>
Julien mit ihrem Mann, ihrem Geliebten und dem Plato¬<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[111/0133]
Reſt ſeines Lebens noch zu einer nützlichen, wo möglich
noblen That verwerthen. Leider iſt das Wie ſeinem geiſt¬
reichen Kopfe dunkel, aber die Vorſehung des Dramas ſorgt
auch für die Narren. Mit Ueberraſchung hat er nämlich
der originellen Mordſcene beigewohnt, jagt im rechten Augen¬
blick mit einem kräftig ausgeſtoßenen „Bube“ den ehrlichen
Banditen Pietro in die Flucht, erfährt von Julia ſofort den
Thatbeſtand und iſt entzückt, bei ihr eine ſchöne Gelegenheit
gefunden zu haben, ſein Nichts von Leben doch noch gut
verwerthen zu können. Er entſchließt ſich nämlich, die
ſchwangere Julia zu heirathen. Worüber Clara's früherer
Geliebter in Hebbels Magdalena noch nicht hinfort kann,
weil kein „Mann“ darüber hinfort kann, das exiſtirt für
den ausgemergelten Grafen nicht mehr. Sein Standpunct
iſt höher, freier, denn er dürſtet vor dem nahen Tode nach
einer tugendhaften Handlung und einem gefallenen Mädchen
recht pfiffig wieder zu ihrer Ehre zu helfen — ſollte das
nicht außerordentlich tugendhaft ſein? Unterdeſſen hat der
alte Vater ſeine Tochter vermißt und täuſcht die Stadt mit
einem leeren Sarge, als ob ſie geſtorben wäre, bei welcher
Poſſe der Hausarzt Alberto ihn unterſtützt, der als Haus¬
freund erſt Juliens Mutter, dann dieſe ſelber, immer in
beſcheidener Ferne, geliebt hat. Graf Bertram kommt mit
Julia an und der Vater gibt, wohl oder übel, dem vor¬
nehmen Schwiegerſohn ſeinen Segen. Aber der ſo ſchöne
und durch die Liebe zum Philiſterium bekehrte Räuber Antonio
kommt auch an und raſ't natürlich zuerſt, bis ihm Ber¬
trams wunderbare, nicht ſowohl keuſche, als richtiger impo¬
tente Willensmeinungen klar gemacht werden. Auf einem
Schloß des Grafen in Tyrol finden wir im letzten Act
Julien mit ihrem Mann, ihrem Geliebten und dem Plato¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/133>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.