"Ich bin kein Schelm," antwortet er, "und ihr seid auch roth; das ist von der Ampel." Da sehe ich ihn recht an. Wer wird es gewesen sein? Der Lazarus ist's gewesen, der verschollene Sohn der Adelheid.
Ich habe die Hände über den Kopf zusammen- geschlagen und ein Geschrei erhoben mitten in der Kirche.
"Junge, was ist das mit dir um Gottes- willen, wo bist du gewesen? wir haben dich gesucht, deine Mutter hat dich ausgraben wollen aus dem Gesteine der Alpen. Und wie bist du heute da, Lazarus! ja, das ist schon gar aus aller Weis'!"
Der Knabe ist dagestanden und hat auf meine Worte gar nichts geantwortet -- nicht ein Wörtlein.
Darauf habe ich geläutet. Lazarus ist neben mir gestanden; seine Bekleidung ist eine Wollen- decke, seine Haare gehen ihm über die Achseln hinab, sein Antlitz ist gar blaß. Er sieht mir zu, er hat noch keine Glocke läuten gesehen. Und was ich empfinde! jetzt hab ich eine hellklingende Zunge, jetzt kann ich das Ereigniß ja verkünden hin in die Berge.
Endlich kommt meine Haushälterin: was denn das Läuten bedeute, ein halbdutzendmal habe sie
„Was wirſt du roth, Schelm!“ rufe ich.
„Ich bin kein Schelm,“ antwortet er, „und ihr ſeid auch roth; das iſt von der Ampel.“ Da ſehe ich ihn recht an. Wer wird es geweſen ſein? Der Lazarus iſt’s geweſen, der verſchollene Sohn der Adelheid.
Ich habe die Hände über den Kopf zuſammen- geſchlagen und ein Geſchrei erhoben mitten in der Kirche.
„Junge, was iſt das mit dir um Gottes- willen, wo biſt du geweſen? wir haben dich geſucht, deine Mutter hat dich ausgraben wollen aus dem Geſteine der Alpen. Und wie biſt du heute da, Lazarus! ja, das iſt ſchon gar aus aller Weiſ’!“
Der Knabe iſt dageſtanden und hat auf meine Worte gar nichts geantwortet — nicht ein Wörtlein.
Darauf habe ich geläutet. Lazarus iſt neben mir geſtanden; ſeine Bekleidung iſt eine Wollen- decke, ſeine Haare gehen ihm über die Achſeln hinab, ſein Antlitz iſt gar blaß. Er ſieht mir zu, er hat noch keine Glocke läuten geſehen. Und was ich empfinde! jetzt hab ich eine hellklingende Zunge, jetzt kann ich das Ereigniß ja verkünden hin in die Berge.
Endlich kommt meine Haushälterin: was denn das Läuten bedeute, ein halbdutzendmal habe ſie
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„Was wirſt du roth, Schelm!“ rufe ich.
„Ich bin kein Schelm,“ antwortet er, „und
ihr ſeid auch roth; das iſt von der Ampel.“ Da
ſehe ich ihn recht an. Wer wird es geweſen ſein?
Der Lazarus iſt’s geweſen, der verſchollene Sohn
der Adelheid.
Ich habe die Hände über den Kopf zuſammen-
geſchlagen und ein Geſchrei erhoben mitten in der
Kirche.
„Junge, was iſt das mit dir um Gottes-
willen, wo biſt du geweſen? wir haben dich geſucht,
deine Mutter hat dich ausgraben wollen aus dem
Geſteine der Alpen. Und wie biſt du heute da,
Lazarus! ja, das iſt ſchon gar aus aller Weiſ’!“
Der Knabe iſt dageſtanden und hat auf
meine Worte gar nichts geantwortet — nicht ein
Wörtlein.
Darauf habe ich geläutet. Lazarus iſt neben
mir geſtanden; ſeine Bekleidung iſt eine Wollen-
decke, ſeine Haare gehen ihm über die Achſeln
hinab, ſein Antlitz iſt gar blaß. Er ſieht mir zu,
er hat noch keine Glocke läuten geſehen. Und was
ich empfinde! jetzt hab ich eine hellklingende Zunge,
jetzt kann ich das Ereigniß ja verkünden hin in
die Berge.
Endlich kommt meine Haushälterin: was denn
das Läuten bedeute, ein halbdutzendmal habe ſie
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/260>, abgerufen am 28.11.2024.
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