Schindeldach empor bis zur Spitze. Gelassen klettert der Träger an den Balken hinan. Zur Spitze an- gekommen steht er frei aufrecht und löst sich das Kreuz vom linken Arm. -- In der Menschenmasse ist es still, und ringsum kein Laut, als ob noch die Urwildniß wäre an den Ufern der Winkel. Jeder hält den Athem an, als wäre ein unbewachter Hauch im Stande, dem Manne auf schwindelnder Höhe das Gleichgewicht zu stören.
Paul hütet seinen Blick und seine Bewegungen sind langsam und regelmäßig. Ich vermeine schon ein Zucken und Wenden zu bemerken, das nicht zur Sache gehört, schon faßt mich der Schreck -- da senkt sich das Kreuz in seinen Grund und steht fest. In demselben Augenblicke strauchelt der Mann -- da schallt herunten in meiner Nähe ein Schrei. Aber Paul steht oben.
Der Schrei ist aus dem Munde der Anna Maria gekommen. Sie ist todtenblaß und ohne noch einen Laut zu thun, setzt sie sich auf einen Stein.
Und jetztund wird's erst lustig. Paul zieht ein Glas hervor, hebt es, leert es und schleudert es nieder auf den Boden. Es zerspringt in tausend Scherben und die Leute ringen untereinander um diese Scherben, um solche für ihre Enkel zu erhaschen und dereinst sagen zu können: Sehet das ist ein Theil
Schindeldach empor bis zur Spitze. Gelaſſen klettert der Träger an den Balken hinan. Zur Spitze an- gekommen ſteht er frei aufrecht und löſt ſich das Kreuz vom linken Arm. — In der Menſchenmaſſe iſt es ſtill, und ringsum kein Laut, als ob noch die Urwildniß wäre an den Ufern der Winkel. Jeder hält den Athem an, als wäre ein unbewachter Hauch im Stande, dem Manne auf ſchwindelnder Höhe das Gleichgewicht zu ſtören.
Paul hütet ſeinen Blick und ſeine Bewegungen ſind langſam und regelmäßig. Ich vermeine ſchon ein Zucken und Wenden zu bemerken, das nicht zur Sache gehört, ſchon faßt mich der Schreck — da ſenkt ſich das Kreuz in ſeinen Grund und ſteht feſt. In demſelben Augenblicke ſtrauchelt der Mann — da ſchallt herunten in meiner Nähe ein Schrei. Aber Paul ſteht oben.
Der Schrei iſt aus dem Munde der Anna Maria gekommen. Sie iſt todtenblaß und ohne noch einen Laut zu thun, ſetzt ſie ſich auf einen Stein.
Und jetztund wird’s erſt luſtig. Paul zieht ein Glas hervor, hebt es, leert es und ſchleudert es nieder auf den Boden. Es zerſpringt in tauſend Scherben und die Leute ringen untereinander um dieſe Scherben, um ſolche für ihre Enkel zu erhaſchen und dereinſt ſagen zu können: Sehet das iſt ein Theil
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Schindeldach empor bis zur Spitze. Gelaſſen klettert
der Träger an den Balken hinan. Zur Spitze an-
gekommen ſteht er frei aufrecht und löſt ſich das
Kreuz vom linken Arm. — In der Menſchenmaſſe
iſt es ſtill, und ringsum kein Laut, als ob noch
die Urwildniß wäre an den Ufern der Winkel.
Jeder hält den Athem an, als wäre ein unbewachter
Hauch im Stande, dem Manne auf ſchwindelnder
Höhe das Gleichgewicht zu ſtören.
Paul hütet ſeinen Blick und ſeine Bewegungen
ſind langſam und regelmäßig. Ich vermeine ſchon
ein Zucken und Wenden zu bemerken, das nicht zur
Sache gehört, ſchon faßt mich der Schreck — da
ſenkt ſich das Kreuz in ſeinen Grund und ſteht feſt.
In demſelben Augenblicke ſtrauchelt der Mann —
da ſchallt herunten in meiner Nähe ein Schrei.
Aber Paul ſteht oben.
Der Schrei iſt aus dem Munde der Anna
Maria gekommen. Sie iſt todtenblaß und ohne
noch einen Laut zu thun, ſetzt ſie ſich auf einen
Stein.
Und jetztund wird’s erſt luſtig. Paul zieht ein
Glas hervor, hebt es, leert es und ſchleudert es
nieder auf den Boden. Es zerſpringt in tauſend
Scherben und die Leute ringen untereinander um
dieſe Scherben, um ſolche für ihre Enkel zu erhaſchen
und dereinſt ſagen zu können: Sehet das iſt ein Theil
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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/227>, abgerufen am 08.05.2024.
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