Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

Bild:
<< vorherige Seite

Als die Sonne aufgeht, stehe ich noch am
Waldessaume. Unten rauscht das Wasser der Winkel
und aus dem Rauchfange des Hauses steigt ein
silberfärbig Schleierband auf und im Kirchenbaue
hämmern die Maurer.

Meine Hauswirthin hat es gleich wahrgenom-
men, daß ich des Morgens nicht in der Stube und
hat gezettert über meinen Leichtsinn. Und als sie
erst gar erfährt, daß ich in der kühlen Frühe auf
feuchtem Moosboden geruht, da fragt sie mich ganz
ernsthaft: ob es mir denn zu schlecht sei in ihrem
Hause, oder ob ich sonst was auf dem Herzen
hätte, daß ich mir so an's Leben wolle; ja, und
ob ich nicht wisse, daß Der, welcher sich so auf den
Thauboden des Frühjahres hinlege, dem Todten-
gräber das Maaß gebe! --



Sonnenwende 1817.

Das ist ein seltsamer Waldgang gewesen, und
ich ahne, er läßt sich nicht verantworten im Himmel
und auf Erden. Wo in den schattigen Felsschluchten
des Winkeleggerwaldes das Wässerlein rieselt, da
bleibe ich stehen. -- Hier auf diesen Wellen lasse
deine Gedanken schaukeln ohne Zweck und Ziel.
Du kennst die Mähr vom Lethestrom der Griechen.
Das ist ein eigen Wasser gewesen, wer davon

Als die Sonne aufgeht, ſtehe ich noch am
Waldesſaume. Unten rauſcht das Waſſer der Winkel
und aus dem Rauchfange des Hauſes ſteigt ein
ſilberfärbig Schleierband auf und im Kirchenbaue
hämmern die Maurer.

Meine Hauswirthin hat es gleich wahrgenom-
men, daß ich des Morgens nicht in der Stube und
hat gezettert über meinen Leichtſinn. Und als ſie
erſt gar erfährt, daß ich in der kühlen Frühe auf
feuchtem Moosboden geruht, da fragt ſie mich ganz
ernſthaft: ob es mir denn zu ſchlecht ſei in ihrem
Hauſe, oder ob ich ſonſt was auf dem Herzen
hätte, daß ich mir ſo an’s Leben wolle; ja, und
ob ich nicht wiſſe, daß Der, welcher ſich ſo auf den
Thauboden des Frühjahres hinlege, dem Todten-
gräber das Maaß gebe! —



Sonnenwende 1817.

Das iſt ein ſeltſamer Waldgang geweſen, und
ich ahne, er läßt ſich nicht verantworten im Himmel
und auf Erden. Wo in den ſchattigen Felsſchluchten
des Winkeleggerwaldes das Wäſſerlein rieſelt, da
bleibe ich ſtehen. — Hier auf dieſen Wellen laſſe
deine Gedanken ſchaukeln ohne Zweck und Ziel.
Du kennſt die Mähr vom Letheſtrom der Griechen.
Das iſt ein eigen Waſſer geweſen, wer davon

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0207" n="197"/>
        <p>Als die Sonne aufgeht, &#x017F;tehe ich noch am<lb/>
Waldes&#x017F;aume. Unten rau&#x017F;cht das Wa&#x017F;&#x017F;er der Winkel<lb/>
und aus dem Rauchfange des Hau&#x017F;es &#x017F;teigt ein<lb/>
&#x017F;ilberfärbig Schleierband auf und im Kirchenbaue<lb/>
hämmern die Maurer.</p><lb/>
        <p>Meine Hauswirthin hat es gleich wahrgenom-<lb/>
men, daß ich des Morgens nicht in der Stube und<lb/>
hat gezettert über meinen Leicht&#x017F;inn. Und als &#x017F;ie<lb/>
er&#x017F;t gar erfährt, daß ich in der kühlen Frühe auf<lb/>
feuchtem Moosboden geruht, da fragt &#x017F;ie mich ganz<lb/>
ern&#x017F;thaft: ob es mir denn zu &#x017F;chlecht &#x017F;ei in ihrem<lb/>
Hau&#x017F;e, oder ob ich &#x017F;on&#x017F;t was auf dem Herzen<lb/>
hätte, daß ich mir &#x017F;o an&#x2019;s Leben wolle; ja, und<lb/>
ob ich nicht wi&#x017F;&#x017F;e, daß Der, welcher &#x017F;ich &#x017F;o auf den<lb/>
Thauboden des Frühjahres hinlege, dem Todten-<lb/>
gräber das Maaß gebe! &#x2014;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>
          <date> <hi rendition="#et">Sonnenwende 1817.</hi> </date>
        </p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t ein &#x017F;elt&#x017F;amer Waldgang gewe&#x017F;en, und<lb/>
ich ahne, er läßt &#x017F;ich nicht verantworten im Himmel<lb/>
und auf Erden. Wo in den &#x017F;chattigen Fels&#x017F;chluchten<lb/>
des Winkeleggerwaldes das Wä&#x017F;&#x017F;erlein rie&#x017F;elt, da<lb/>
bleibe ich &#x017F;tehen. &#x2014; Hier auf die&#x017F;en Wellen la&#x017F;&#x017F;e<lb/>
deine Gedanken &#x017F;chaukeln ohne Zweck und Ziel.<lb/>
Du kenn&#x017F;t die Mähr vom Lethe&#x017F;trom der Griechen.<lb/>
Das i&#x017F;t ein eigen Wa&#x017F;&#x017F;er gewe&#x017F;en, wer davon<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0207] Als die Sonne aufgeht, ſtehe ich noch am Waldesſaume. Unten rauſcht das Waſſer der Winkel und aus dem Rauchfange des Hauſes ſteigt ein ſilberfärbig Schleierband auf und im Kirchenbaue hämmern die Maurer. Meine Hauswirthin hat es gleich wahrgenom- men, daß ich des Morgens nicht in der Stube und hat gezettert über meinen Leichtſinn. Und als ſie erſt gar erfährt, daß ich in der kühlen Frühe auf feuchtem Moosboden geruht, da fragt ſie mich ganz ernſthaft: ob es mir denn zu ſchlecht ſei in ihrem Hauſe, oder ob ich ſonſt was auf dem Herzen hätte, daß ich mir ſo an’s Leben wolle; ja, und ob ich nicht wiſſe, daß Der, welcher ſich ſo auf den Thauboden des Frühjahres hinlege, dem Todten- gräber das Maaß gebe! — Sonnenwende 1817. Das iſt ein ſeltſamer Waldgang geweſen, und ich ahne, er läßt ſich nicht verantworten im Himmel und auf Erden. Wo in den ſchattigen Felsſchluchten des Winkeleggerwaldes das Wäſſerlein rieſelt, da bleibe ich ſtehen. — Hier auf dieſen Wellen laſſe deine Gedanken ſchaukeln ohne Zweck und Ziel. Du kennſt die Mähr vom Letheſtrom der Griechen. Das iſt ein eigen Waſſer geweſen, wer davon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/207
Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/207>, abgerufen am 08.05.2024.