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Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875.

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einen Rasen oder auf einen Stein und lese in dem
Büchelchen. Dabei bin ich schon mehrmalen aus
dem Hinterhalte beobachtet worden. Und da schleicht
im Walde das Gerücht herum, ich sei ein Zau-
berer und hätte ein Büchlein mit lauter Zauber-
sprüchen.

Ich habe nachgedacht, ob mir dieser seltsame
Nimbus für meine Pläne Anfangs nicht einigen
Vortheil brächte. Gewiß wären die Eltern leicht zu
bewegen, ihre Kinder von mir das Lesen lehren zu
lassen, wenn ich ihnen sagte: Versteht Einer nur
erst die Zaubersprüche in dem Büchlein, so kann er
teufelbeschwören, schatzgraben, wettermachen, oder je
nach Bedarf die Wettermacher unschädlich halten
nach Belieben. Ich denke, daß selbst Erwachsene
und gar Grauköpfe ihre Arbeitswerkzeuge fallen
lassen und zu mir in die Schule gehen würden. --
Von mir aber wäre es schändlich und ich thäte
dadurch nur das Verkehrte erreichen von dem, was
ich will. Nicht, daß die Leute lesen und schreiben
lernen ist die Hauptsache, sondern, daß sie von den
schädlichen Vorurtheilen befreit werden und ein
reines Herz haben. Freilich könnte ich ihnen später
Bücher der Sittenlehre unterschieben und sagen:
Da drin stehen die echten Zaubersprüche; aber die
Getäuschten hätten kein Vertrauen mehr zu mir,
und das Uebel wäre größer, anstatt kleiner.


einen Raſen oder auf einen Stein und leſe in dem
Büchelchen. Dabei bin ich ſchon mehrmalen aus
dem Hinterhalte beobachtet worden. Und da ſchleicht
im Walde das Gerücht herum, ich ſei ein Zau-
berer und hätte ein Büchlein mit lauter Zauber-
ſprüchen.

Ich habe nachgedacht, ob mir dieſer ſeltſame
Nimbus für meine Pläne Anfangs nicht einigen
Vortheil brächte. Gewiß wären die Eltern leicht zu
bewegen, ihre Kinder von mir das Leſen lehren zu
laſſen, wenn ich ihnen ſagte: Verſteht Einer nur
erſt die Zauberſprüche in dem Büchlein, ſo kann er
teufelbeſchwören, ſchatzgraben, wettermachen, oder je
nach Bedarf die Wettermacher unſchädlich halten
nach Belieben. Ich denke, daß ſelbſt Erwachſene
und gar Grauköpfe ihre Arbeitswerkzeuge fallen
laſſen und zu mir in die Schule gehen würden. —
Von mir aber wäre es ſchändlich und ich thäte
dadurch nur das Verkehrte erreichen von dem, was
ich will. Nicht, daß die Leute leſen und ſchreiben
lernen iſt die Hauptſache, ſondern, daß ſie von den
ſchädlichen Vorurtheilen befreit werden und ein
reines Herz haben. Freilich könnte ich ihnen ſpäter
Bücher der Sittenlehre unterſchieben und ſagen:
Da drin ſtehen die echten Zauberſprüche; aber die
Getäuſchten hätten kein Vertrauen mehr zu mir,
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[144/0154] einen Raſen oder auf einen Stein und leſe in dem Büchelchen. Dabei bin ich ſchon mehrmalen aus dem Hinterhalte beobachtet worden. Und da ſchleicht im Walde das Gerücht herum, ich ſei ein Zau- berer und hätte ein Büchlein mit lauter Zauber- ſprüchen. Ich habe nachgedacht, ob mir dieſer ſeltſame Nimbus für meine Pläne Anfangs nicht einigen Vortheil brächte. Gewiß wären die Eltern leicht zu bewegen, ihre Kinder von mir das Leſen lehren zu laſſen, wenn ich ihnen ſagte: Verſteht Einer nur erſt die Zauberſprüche in dem Büchlein, ſo kann er teufelbeſchwören, ſchatzgraben, wettermachen, oder je nach Bedarf die Wettermacher unſchädlich halten nach Belieben. Ich denke, daß ſelbſt Erwachſene und gar Grauköpfe ihre Arbeitswerkzeuge fallen laſſen und zu mir in die Schule gehen würden. — Von mir aber wäre es ſchändlich und ich thäte dadurch nur das Verkehrte erreichen von dem, was ich will. Nicht, daß die Leute leſen und ſchreiben lernen iſt die Hauptſache, ſondern, daß ſie von den ſchädlichen Vorurtheilen befreit werden und ein reines Herz haben. Freilich könnte ich ihnen ſpäter Bücher der Sittenlehre unterſchieben und ſagen: Da drin ſtehen die echten Zauberſprüche; aber die Getäuſchten hätten kein Vertrauen mehr zu mir, und das Uebel wäre größer, anſtatt kleiner.

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Zitationshilfe: Rosegger, Peter: Die Schriften des Waldschulmeisters. Pest, 1875, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosegger_waldschulmeister_1875/154>, abgerufen am 24.11.2024.