Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ich habe Ihnen noch zu danken, Marie, begann ich. Sie ahnten vielleicht, welche Freude Sie mir durch das Zurückbringen des kleinen Buches machten. Und da Sie mir eine Ueberraschung bereiten wollten, legten Sie es heimlich in das Fenster -- nicht wahr? Was Sie hinein geschrieben, soll mir ein werthes Andenken sein. Marie läugnete nicht, sie ging mit niedergeschlagenen Augen neben mir her. -- Und was denken Sie von mir? fragte sie gedrückt. -- Ich denke viel Gutes von Ihnen, Marie. Nur glaub' ich, daß Sie ein wenig zu schnell Ihren augenblicklichen Eingebungen folgen. Sie wagen zu viel für ein Mädchen -- Das können Sie sagen? unterbrach sie mich in vorwurfsvollem Tone, ohne die Augen aufzuschlagen. -- Ja, ich, Marie! Sie sind mir werth, darum muß ich aufrichtig gegen Sie sein. Sie sind ungerecht gegen Alles, was Ihre Umgebungen Ihnen bieten, und schätzen es nur, insofern es Ihnen zu leichtem Genuß oder zum Gegenstände Ihres jugendlichen Uebermuthes dient. Nur das Fremde hat wahren Reiz für Sie, und dadurch wird Ihnen noch manche Gefahr bereitet sein. Ich weiß nur Eine Gefahr, sagte sie aufgeregt: Daß Sie mich hassen. -- Das wird nie geschehen, Marie! Ich nehme den herzlichsten Antheil an Ihnen und wünsche Ihnen jedes Glück. -- Sie schüttelte den Kopf. -- Mißtrauen Sie mir? fuhr ich fort. -- Nein! Ich habe Ihnen noch zu danken, Marie, begann ich. Sie ahnten vielleicht, welche Freude Sie mir durch das Zurückbringen des kleinen Buches machten. Und da Sie mir eine Ueberraschung bereiten wollten, legten Sie es heimlich in das Fenster — nicht wahr? Was Sie hinein geschrieben, soll mir ein werthes Andenken sein. Marie läugnete nicht, sie ging mit niedergeschlagenen Augen neben mir her. — Und was denken Sie von mir? fragte sie gedrückt. — Ich denke viel Gutes von Ihnen, Marie. Nur glaub' ich, daß Sie ein wenig zu schnell Ihren augenblicklichen Eingebungen folgen. Sie wagen zu viel für ein Mädchen — Das können Sie sagen? unterbrach sie mich in vorwurfsvollem Tone, ohne die Augen aufzuschlagen. — Ja, ich, Marie! Sie sind mir werth, darum muß ich aufrichtig gegen Sie sein. Sie sind ungerecht gegen Alles, was Ihre Umgebungen Ihnen bieten, und schätzen es nur, insofern es Ihnen zu leichtem Genuß oder zum Gegenstände Ihres jugendlichen Uebermuthes dient. Nur das Fremde hat wahren Reiz für Sie, und dadurch wird Ihnen noch manche Gefahr bereitet sein. Ich weiß nur Eine Gefahr, sagte sie aufgeregt: Daß Sie mich hassen. — Das wird nie geschehen, Marie! Ich nehme den herzlichsten Antheil an Ihnen und wünsche Ihnen jedes Glück. — Sie schüttelte den Kopf. — Mißtrauen Sie mir? fuhr ich fort. — Nein! <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="9"> <pb facs="#f0101"/> <p>Ich habe Ihnen noch zu danken, Marie, begann ich. Sie ahnten vielleicht, welche Freude Sie mir durch das Zurückbringen des kleinen Buches machten. Und da Sie mir eine Ueberraschung bereiten wollten, legten Sie es heimlich in das Fenster — nicht wahr? Was Sie hinein geschrieben, soll mir ein werthes Andenken sein.</p><lb/> <p>Marie läugnete nicht, sie ging mit niedergeschlagenen Augen neben mir her. — Und was denken Sie von mir? fragte sie gedrückt. — Ich denke viel Gutes von Ihnen, Marie. Nur glaub' ich, daß Sie ein wenig zu schnell Ihren augenblicklichen Eingebungen folgen. Sie wagen zu viel für ein Mädchen —</p><lb/> <p>Das können Sie sagen? unterbrach sie mich in vorwurfsvollem Tone, ohne die Augen aufzuschlagen. — Ja, ich, Marie! Sie sind mir werth, darum muß ich aufrichtig gegen Sie sein. Sie sind ungerecht gegen Alles, was Ihre Umgebungen Ihnen bieten, und schätzen es nur, insofern es Ihnen zu leichtem Genuß oder zum Gegenstände Ihres jugendlichen Uebermuthes dient. Nur das Fremde hat wahren Reiz für Sie, und dadurch wird Ihnen noch manche Gefahr bereitet sein.</p><lb/> <p>Ich weiß nur Eine Gefahr, sagte sie aufgeregt: Daß Sie mich hassen. — Das wird nie geschehen, Marie! Ich nehme den herzlichsten Antheil an Ihnen und wünsche Ihnen jedes Glück. — Sie schüttelte den Kopf. — Mißtrauen Sie mir? fuhr ich fort. — Nein!<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0101]
Ich habe Ihnen noch zu danken, Marie, begann ich. Sie ahnten vielleicht, welche Freude Sie mir durch das Zurückbringen des kleinen Buches machten. Und da Sie mir eine Ueberraschung bereiten wollten, legten Sie es heimlich in das Fenster — nicht wahr? Was Sie hinein geschrieben, soll mir ein werthes Andenken sein.
Marie läugnete nicht, sie ging mit niedergeschlagenen Augen neben mir her. — Und was denken Sie von mir? fragte sie gedrückt. — Ich denke viel Gutes von Ihnen, Marie. Nur glaub' ich, daß Sie ein wenig zu schnell Ihren augenblicklichen Eingebungen folgen. Sie wagen zu viel für ein Mädchen —
Das können Sie sagen? unterbrach sie mich in vorwurfsvollem Tone, ohne die Augen aufzuschlagen. — Ja, ich, Marie! Sie sind mir werth, darum muß ich aufrichtig gegen Sie sein. Sie sind ungerecht gegen Alles, was Ihre Umgebungen Ihnen bieten, und schätzen es nur, insofern es Ihnen zu leichtem Genuß oder zum Gegenstände Ihres jugendlichen Uebermuthes dient. Nur das Fremde hat wahren Reiz für Sie, und dadurch wird Ihnen noch manche Gefahr bereitet sein.
Ich weiß nur Eine Gefahr, sagte sie aufgeregt: Daß Sie mich hassen. — Das wird nie geschehen, Marie! Ich nehme den herzlichsten Antheil an Ihnen und wünsche Ihnen jedes Glück. — Sie schüttelte den Kopf. — Mißtrauen Sie mir? fuhr ich fort. — Nein!
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Zitationshilfe: | Roquette, Otto: Die Schlangenkönigin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 16. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 221–335. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roquette_schlangenkoenigin_1910/101>, abgerufen am 16.02.2025. |