Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718.

Bild:
<< vorherige Seite



sich hat, die man in seiner Decision zur Richt-
schnur annehmen muß, und also wäre es wun-
derlich, sich zu den Observantien zu wenden.
Jn diesem Falle tauget die Observanz vollends
gantz und gar nichts, und ist nichts anders, denn
eine Unwissenheit und Ungerechtigkeit. Ha-
ben sich die Vorfahren geirret, und aus einem
Jrrthum eine unrechte Meynung ergriffen und
dieselbe vertheidiget, so ist es ja eine Verwe-
genheit, wenn die Nachkommen in diesem We-
ge fortgehen, und nicht klüger handeln wollen.
Wolte man etwan sagen, es wären doch die
Observantien gut zu gebrauchen bey ungewis-
sen Fragen, davon man pro und contra dispu-
ti
ren könte, und in den Gesetzen gantz und gar
nicht determinirt wären, so wolte dennoch da-
vor halten, daß man bey diesen Fällen eher der
Aehnlichkeit der übrigen Rechts-Gründe und
dem natürlichen Recht, denn denen Observan-
ti
en nachzugehen habe. Wird eine Meynung
mit guten rationibus unterstützet, so ist sie anzu-
nehmen, es mag die Observanz mit ihr über-
ein kommen oder nicht. Jst aber eine Mey-
nung, die von den Observantien begleitet wird,
nicht vernünfftig, so kan die blosse Observanz
nicht die geringste Autorität zuwege bringen.

§. 33. Es entstehen aus den Observantien
und sogenannten Praejudiciis der Rechts-Col-

legio-



ſich hat, die man in ſeiner Deciſion zur Richt-
ſchnur annehmen muß, und alſo waͤre es wun-
derlich, ſich zu den Obſervantien zu wenden.
Jn dieſem Falle tauget die Obſervanz vollends
gantz und gar nichts, und iſt nichts anders, denn
eine Unwiſſenheit und Ungerechtigkeit. Ha-
ben ſich die Vorfahren geirret, und aus einem
Jrrthum eine unrechte Meynung ergriffen und
dieſelbe vertheidiget, ſo iſt es ja eine Verwe-
genheit, wenn die Nachkommen in dieſem We-
ge fortgehen, und nicht kluͤger handeln wollen.
Wolte man etwan ſagen, es waͤren doch die
Obſervantien gut zu gebrauchen bey ungewiſ-
ſen Fragen, davon man pro und contra diſpu-
ti
ren koͤnte, und in den Geſetzen gantz und gar
nicht determinirt waͤren, ſo wolte dennoch da-
vor halten, daß man bey dieſen Faͤllen eher der
Aehnlichkeit der uͤbrigen Rechts-Gruͤnde und
dem natuͤrlichen Recht, denn denen Obſervan-
ti
en nachzugehen habe. Wird eine Meynung
mit guten rationibus unterſtuͤtzet, ſo iſt ſie anzu-
nehmen, es mag die Obſervanz mit ihr uͤber-
ein kommen oder nicht. Jſt aber eine Mey-
nung, die von den Obſervantien begleitet wird,
nicht vernuͤnfftig, ſo kan die bloſſe Obſervanz
nicht die geringſte Autoritaͤt zuwege bringen.

§. 33. Es entſtehen aus den Obſervantien
und ſogenannten Præjudiciis der Rechts-Col-

legio-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0721" n="701"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> &#x017F;ich hat, die man in &#x017F;einer <hi rendition="#aq">Deci&#x017F;ion</hi> zur Richt-<lb/>
&#x017F;chnur annehmen muß, und al&#x017F;o wa&#x0364;re es wun-<lb/>
derlich, &#x017F;ich zu den <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanti</hi>en zu wenden.<lb/>
Jn die&#x017F;em Falle tauget die <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanz</hi> vollends<lb/>
gantz und gar nichts, und i&#x017F;t nichts anders, denn<lb/>
eine Unwi&#x017F;&#x017F;enheit und Ungerechtigkeit. Ha-<lb/>
ben &#x017F;ich die Vorfahren geirret, und aus einem<lb/>
Jrrthum eine unrechte Meynung ergriffen und<lb/>
die&#x017F;elbe vertheidiget, &#x017F;o i&#x017F;t es ja eine Verwe-<lb/>
genheit, wenn die Nachkommen in die&#x017F;em We-<lb/>
ge fortgehen, und nicht klu&#x0364;ger handeln wollen.<lb/>
Wolte man etwan &#x017F;agen, es wa&#x0364;ren doch die<lb/><hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanti</hi>en gut zu gebrauchen bey ungewi&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Fragen, davon man <hi rendition="#aq">pro</hi> und <hi rendition="#aq">contra di&#x017F;pu-<lb/>
ti</hi>ren ko&#x0364;nte, und in den Ge&#x017F;etzen gantz und gar<lb/>
nicht <hi rendition="#aq">determini</hi>rt wa&#x0364;ren, &#x017F;o wolte dennoch da-<lb/>
vor halten, daß man bey die&#x017F;en Fa&#x0364;llen eher der<lb/>
Aehnlichkeit der u&#x0364;brigen Rechts-Gru&#x0364;nde und<lb/>
dem natu&#x0364;rlichen Recht, denn denen <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervan-<lb/>
ti</hi>en nachzugehen habe. Wird eine Meynung<lb/>
mit guten <hi rendition="#aq">rationibus</hi> unter&#x017F;tu&#x0364;tzet, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie anzu-<lb/>
nehmen, es mag die <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanz</hi> mit ihr u&#x0364;ber-<lb/>
ein kommen oder nicht. J&#x017F;t aber eine Mey-<lb/>
nung, die von den <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanti</hi>en begleitet wird,<lb/>
nicht vernu&#x0364;nfftig, &#x017F;o kan die blo&#x017F;&#x017F;e <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanz</hi><lb/>
nicht die gering&#x017F;te <hi rendition="#aq">Autori</hi>ta&#x0364;t zuwege bringen.</p><lb/>
        <p>§. 33. Es ent&#x017F;tehen aus den <hi rendition="#aq">Ob&#x017F;ervanti</hi>en<lb/>
und &#x017F;ogenannten <hi rendition="#aq">Præjudiciis</hi> der Rechts-<hi rendition="#aq">Col-</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">legio-</hi></fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[701/0721] ſich hat, die man in ſeiner Deciſion zur Richt- ſchnur annehmen muß, und alſo waͤre es wun- derlich, ſich zu den Obſervantien zu wenden. Jn dieſem Falle tauget die Obſervanz vollends gantz und gar nichts, und iſt nichts anders, denn eine Unwiſſenheit und Ungerechtigkeit. Ha- ben ſich die Vorfahren geirret, und aus einem Jrrthum eine unrechte Meynung ergriffen und dieſelbe vertheidiget, ſo iſt es ja eine Verwe- genheit, wenn die Nachkommen in dieſem We- ge fortgehen, und nicht kluͤger handeln wollen. Wolte man etwan ſagen, es waͤren doch die Obſervantien gut zu gebrauchen bey ungewiſ- ſen Fragen, davon man pro und contra diſpu- tiren koͤnte, und in den Geſetzen gantz und gar nicht determinirt waͤren, ſo wolte dennoch da- vor halten, daß man bey dieſen Faͤllen eher der Aehnlichkeit der uͤbrigen Rechts-Gruͤnde und dem natuͤrlichen Recht, denn denen Obſervan- tien nachzugehen habe. Wird eine Meynung mit guten rationibus unterſtuͤtzet, ſo iſt ſie anzu- nehmen, es mag die Obſervanz mit ihr uͤber- ein kommen oder nicht. Jſt aber eine Mey- nung, die von den Obſervantien begleitet wird, nicht vernuͤnfftig, ſo kan die bloſſe Obſervanz nicht die geringſte Autoritaͤt zuwege bringen. §. 33. Es entſtehen aus den Obſervantien und ſogenannten Præjudiciis der Rechts-Col- legio-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/721
Zitationshilfe: Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Staats-Klugheit. Leipzig, 1718, S. 701. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_julii_1718/721>, abgerufen am 01.07.2024.