nen unbekandten Speisen herzuholen. Die Geil- heit hat mancherley Moden ersonnen, auf was vor Art, theils durch die Kleidung, theils durch andere Wege, die Fleisches-Lüste zu erwecken und zu stär- cken. Der Hochmuth und Ehrgeitz hat bey dem Titul- und Rang-Wesen, bey dem Point d'hon- neur viel seltzame, theils auch wohl thörichte Ge- bräuche ausstudiret. Der entflammten Rach- Begierde hat man zuzuschreiben, daß man einander nach dem Ceremoniel die Glieder verletzen, und er- morden, und diese Boßheit gar zu einer Wissen- schafft, die von den Jtaliänern Ia Sciente Cavalle- resche genannt wird, machen will, u. s. w.
§. 8. So heßlich als nun der Grund ist, auf dem viele von unsern Moden beruhen, so ist es hingegen auch gewiß, daß manche aus der Vernunfft und Tugend entspringen; Und wie kan es auch anders seyn, denn ein Tag lehret ja den andern; die Wer- cke der Kunst und mancherley moralische Hand- lungen der Menschen, erreichen so wenig, als die Wercke der Natur, ihre Vollkommenheit auf ein- mahl, sondern nach und nach. Unsere Vorfahren haben nicht alles gute und nützliche auf einmahl se- hen und erfinden können, und unsern Zeiten daher noch manches überlassen müssen. Mit uns hat es eine gleiche Bewandniß, das gegenwärtige Secu- lum sey so scharffsinnig als es wolle, so wird es doch nicht ein solch Ziel erreichen, das unsere Nachkom- men nicht in vielen Stücken überschreiten werden. Es ist demnach klar, daß manche gute und vernünff-
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Von der Mode.
nen unbekandten Speiſen herzuholen. Die Geil- heit hat mancherley Moden erſonnen, auf was vor Art, theils durch die Kleidung, theils durch andere Wege, die Fleiſches-Luͤſte zu erwecken und zu ſtaͤr- cken. Der Hochmuth und Ehrgeitz hat bey dem Titul- und Rang-Weſen, bey dem Point d’hon- neur viel ſeltzame, theils auch wohl thoͤrichte Ge- braͤuche ausſtudiret. Der entflammten Rach- Begierde hat man zuzuſchreiben, daß man einander nach dem Ceremoniel die Glieder verletzen, und er- morden, und dieſe Boßheit gar zu einer Wiſſen- ſchafft, die von den Jtaliaͤnern Ia Sciente Cavalle- reſche genannt wird, machen will, u. ſ. w.
§. 8. So heßlich als nun der Grund iſt, auf dem viele von unſern Moden beruhen, ſo iſt es hingegen auch gewiß, daß manche aus der Vernunfft und Tugend entſpringen; Und wie kan es auch anders ſeyn, denn ein Tag lehret ja den andern; die Wer- cke der Kunſt und mancherley moraliſche Hand- lungen der Menſchen, erreichen ſo wenig, als die Wercke der Natur, ihre Vollkommenheit auf ein- mahl, ſondern nach und nach. Unſere Vorfahren haben nicht alles gute und nuͤtzliche auf einmahl ſe- hen und erfinden koͤnnen, und unſern Zeiten daher noch manches uͤberlaſſen muͤſſen. Mit uns hat es eine gleiche Bewandniß, das gegenwaͤrtige Secu- lum ſey ſo ſcharffſinnig als es wolle, ſo wird es doch nicht ein ſolch Ziel erreichen, das unſere Nachkom- men nicht in vielen Stuͤcken uͤberſchreiten werden. Es iſt demnach klar, daß manche gute und vernuͤnff-
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Von der Mode.
nen unbekandten Speiſen herzuholen. Die Geil-
heit hat mancherley Moden erſonnen, auf was vor
Art, theils durch die Kleidung, theils durch andere
Wege, die Fleiſches-Luͤſte zu erwecken und zu ſtaͤr-
cken. Der Hochmuth und Ehrgeitz hat bey dem
Titul- und Rang-Weſen, bey dem Point d’hon-
neur viel ſeltzame, theils auch wohl thoͤrichte Ge-
braͤuche ausſtudiret. Der entflammten Rach-
Begierde hat man zuzuſchreiben, daß man einander
nach dem Ceremoniel die Glieder verletzen, und er-
morden, und dieſe Boßheit gar zu einer Wiſſen-
ſchafft, die von den Jtaliaͤnern Ia Sciente Cavalle-
reſche genannt wird, machen will, u. ſ. w.
§. 8. So heßlich als nun der Grund iſt, auf dem
viele von unſern Moden beruhen, ſo iſt es hingegen
auch gewiß, daß manche aus der Vernunfft und
Tugend entſpringen; Und wie kan es auch anders
ſeyn, denn ein Tag lehret ja den andern; die Wer-
cke der Kunſt und mancherley moraliſche Hand-
lungen der Menſchen, erreichen ſo wenig, als die
Wercke der Natur, ihre Vollkommenheit auf ein-
mahl, ſondern nach und nach. Unſere Vorfahren
haben nicht alles gute und nuͤtzliche auf einmahl ſe-
hen und erfinden koͤnnen, und unſern Zeiten daher
noch manches uͤberlaſſen muͤſſen. Mit uns hat es
eine gleiche Bewandniß, das gegenwaͤrtige Secu-
lum ſey ſo ſcharffſinnig als es wolle, ſo wird es doch
nicht ein ſolch Ziel erreichen, das unſere Nachkom-
men nicht in vielen Stuͤcken uͤberſchreiten werden.
Es iſt demnach klar, daß manche gute und vernuͤnff-
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Rohr, Julius Bernhard von: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der Privat-Personen. Berlin, 1728, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohr_einleitung_1728/59>, abgerufen am 24.11.2024.
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