nur verstehn als eine Verwirklichung des Lebens dieses ganz bestimmten leiblichen Organismus, diesem untrennbar verbun- den, wie Zweck und Gestalt dem bestimmten Werkzeug; alle Lebenskräfte, auch Begierde, Wahrnehmung, Gedächtniss, reflek- tirendes Denken schienen ihm nur Wirkungsweisen des beseel- ten, von seiner "Seele" nicht getrennt denkbaren Leibes. Aber es blieb ihm doch ein Rest der alten dualistischen Entgegen- setzung des Leibes und der, als besondere Substanz gedachten Seele, derselbe im Grunde, an dem in der späteren Zeit seines Denkerlebens Plato allein festhielt: der betrachtende, in in- tellectueller Anschauung die obersten Wahrheiten ergreifende "Geist", den er nicht in die "Seele" hineinziehen, sondern als ein eigenes, aus göttlicher Höhe herabgestiegenes Wesen von ihr trennen, und ihr nur äusserlich und für eine engbegrenzte Lebenszeit anfügen wollte. Der Ursprung dieser Vorstellung einer Seelenverdoppelung aus Platonischen Erinnerungen, und weiterhin aus theologischen Lehren, die zuletzt nur eine ver- geistigende Umdeutung altvolksthümlicher Phantasien von dem Dasein der Psyche im belebten Leibe darboten, ist deutlich. Aber der Sinn, in dem die Theologie diese Lehre ausgeführt, die Folgerungen und Mahnungen, zu denen sie von ihr aus gelangt war, sind nicht mit übernommen. Von einer "Reini- gung" des göttlichen Geistes im Menschen ist nicht mehr die Rede. Er trägt nichts Unreines und Böses in sich, auch von aussen kann kein verunreinigender Hauch ihn treffen. Der Drang ins reine Jenseits hinüber, die Verleugnung und Ver- werfung des irdischen Genossen, des belebten Leibes, ist dem "Geiste" des Aristoteles fremd 1); er hat keinen Trieb zur
Sonderwesen mit beliebigen Qualitäten in einem beliebigen Gefäss von vielleicht zu ihm gar nicht stimmenden Qualitäten (wie nach dem Putha- goreios muthos die psukhe im soma), aber doch in einem beseelten Individuum von ganz bestimmten Qualitäten als ein Fremdes ohne alle bestimmte Eigenart, also doch auch nicht von einer mit jenem zusammenstimmenden Eigenart. Es verräth sich hier trotz allem die Herkunft des Aristote- lischen muthos vom nous aus alttheologischen muthoi.
1) Nur als argumentum ad hominem wird einmal verwendet die Vor-
nur verstehn als eine Verwirklichung des Lebens dieses ganz bestimmten leiblichen Organismus, diesem untrennbar verbun- den, wie Zweck und Gestalt dem bestimmten Werkzeug; alle Lebenskräfte, auch Begierde, Wahrnehmung, Gedächtniss, reflek- tirendes Denken schienen ihm nur Wirkungsweisen des beseel- ten, von seiner „Seele“ nicht getrennt denkbaren Leibes. Aber es blieb ihm doch ein Rest der alten dualistischen Entgegen- setzung des Leibes und der, als besondere Substanz gedachten Seele, derselbe im Grunde, an dem in der späteren Zeit seines Denkerlebens Plato allein festhielt: der betrachtende, in in- tellectueller Anschauung die obersten Wahrheiten ergreifende „Geist“, den er nicht in die „Seele“ hineinziehen, sondern als ein eigenes, aus göttlicher Höhe herabgestiegenes Wesen von ihr trennen, und ihr nur äusserlich und für eine engbegrenzte Lebenszeit anfügen wollte. Der Ursprung dieser Vorstellung einer Seelenverdoppelung aus Platonischen Erinnerungen, und weiterhin aus theologischen Lehren, die zuletzt nur eine ver- geistigende Umdeutung altvolksthümlicher Phantasien von dem Dasein der Psyche im belebten Leibe darboten, ist deutlich. Aber der Sinn, in dem die Theologie diese Lehre ausgeführt, die Folgerungen und Mahnungen, zu denen sie von ihr aus gelangt war, sind nicht mit übernommen. Von einer „Reini- gung“ des göttlichen Geistes im Menschen ist nicht mehr die Rede. Er trägt nichts Unreines und Böses in sich, auch von aussen kann kein verunreinigender Hauch ihn treffen. Der Drang ins reine Jenseits hinüber, die Verleugnung und Ver- werfung des irdischen Genossen, des belebten Leibes, ist dem „Geiste“ des Aristoteles fremd 1); er hat keinen Trieb zur
Sonderwesen mit beliebigen Qualitäten in einem beliebigen Gefäss von vielleicht zu ihm gar nicht stimmenden Qualitäten (wie nach dem Πυϑα- γόρειος μῦϑος die ψυχή im σῶμα), aber doch in einem beseelten Individuum von ganz bestimmten Qualitäten als ein Fremdes ohne alle bestimmte Eigenart, also doch auch nicht von einer mit jenem zusammenstimmenden Eigenart. Es verräth sich hier trotz allem die Herkunft des Aristote- lischen μῦϑος vom νοῦς aus alttheologischen μῦϑοι.
1) Nur als argumentum ad hominem wird einmal verwendet die Vor-
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nur verstehn als eine Verwirklichung des Lebens dieses ganz
bestimmten leiblichen Organismus, diesem untrennbar verbun-
den, wie Zweck und Gestalt dem bestimmten Werkzeug; alle
Lebenskräfte, auch Begierde, Wahrnehmung, Gedächtniss, reflek-
tirendes Denken schienen ihm nur Wirkungsweisen des beseel-
ten, von seiner „Seele“ nicht getrennt denkbaren Leibes. Aber
es blieb ihm doch ein Rest der alten dualistischen Entgegen-
setzung des Leibes und der, als besondere Substanz gedachten
Seele, derselbe im Grunde, an dem in der späteren Zeit seines
Denkerlebens Plato allein festhielt: der betrachtende, in in-
tellectueller Anschauung die obersten Wahrheiten ergreifende
„Geist“, den er nicht in die „Seele“ hineinziehen, sondern als
ein eigenes, aus göttlicher Höhe herabgestiegenes Wesen von
ihr trennen, und ihr nur äusserlich und für eine engbegrenzte
Lebenszeit anfügen wollte. Der Ursprung dieser Vorstellung
einer Seelenverdoppelung aus Platonischen Erinnerungen, und
weiterhin aus theologischen Lehren, die zuletzt nur eine ver-
geistigende Umdeutung altvolksthümlicher Phantasien von dem
Dasein der Psyche im belebten Leibe darboten, ist deutlich.
Aber der Sinn, in dem die Theologie diese Lehre ausgeführt,
die Folgerungen und Mahnungen, zu denen sie von ihr aus
gelangt war, sind nicht mit übernommen. Von einer „Reini-
gung“ des göttlichen Geistes im Menschen ist nicht mehr die
Rede. Er trägt nichts Unreines und Böses in sich, auch von
aussen kann kein verunreinigender Hauch ihn treffen. Der
Drang ins reine Jenseits hinüber, die Verleugnung und Ver-
werfung des irdischen Genossen, des belebten Leibes, ist dem
„Geiste“ des Aristoteles fremd 1); er hat keinen Trieb zur
4)
1) Nur als argumentum ad hominem wird einmal verwendet die Vor-
4) Sonderwesen mit beliebigen Qualitäten in einem beliebigen Gefäss von
vielleicht zu ihm gar nicht stimmenden Qualitäten (wie nach dem Πυϑα-
γόρειος μῦϑος die ψυχή im σῶμα), aber doch in einem beseelten Individuum
von ganz bestimmten Qualitäten als ein Fremdes ohne alle bestimmte
Eigenart, also doch auch nicht von einer mit jenem zusammenstimmenden
Eigenart. Es verräth sich hier trotz allem die Herkunft des Aristote-
lischen μῦϑος vom νοῦς aus alttheologischen μῦϑοι.
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/613>, abgerufen am 22.11.2024.
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