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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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Man kann nicht daran zweifeln, dass schon Pythagoras
den Grund auch zu der pythagoreischen Wissenschaft gelegt,
die Lehre vom Bau des Weltalls, auch wohl die Erklärung
alles Seins und Werdens in der Welt aus den Zahlen und
ihren Verhältnissen, als dem wesenhaften Untergrund der Dinge,
mindestens in den ersten Zügen seinen Anhängern vorgezeichnet
habe. Dann bewegte sich das lange nur in loser Fühlung
neben einander, die Lebensleitung nach mystisch-religiöser
Weisheit, die freilich ein weiteres Wachsthum kaum erfahren
konnte, und die Wissenschaft, die sich zu einem ansehnlichen
System auswuchs, je mehr, nach dem Zusammenbruch des
pythagoreischen Bundes und seiner Verzweigungen am Anfang
des fünften Jahrhunderts, die verstreuten Mitglieder des Ver-
eins, mit den wissenschaftlichen Bestrebungen anderer Kreise
in Berührung gebracht, von der, nur auf dem Boden der Ge-
meinde auszuübenden Verwirklichung des praktischen Ideals
pythagoreischen Lebens zu einsamer wissenschaftlicher Betrach-
tung abgedrängt wurden. Die pythagoreische Wissenschaft, ein
Bild der ganzen Welt aufbauend, zog, nicht anders als die
ionische Physiologie, die Seele aus der Vereinzelung, ja
gegensätzlichen Stellung gegenüber der Natur, in der sie pytha-
goreische Theologie festgehalten hatte. Mit einer, der mathema-
tisch-musikalischen Theorie entsprechenden Auffassung nannte
Philolaos die Seele die Harmonie der zum Körper vereinig-
ten entgegengesetzten Bestandtheile 1). Aber, wenn die Seele

Schol. Apoll. der Bericht hierüber zuertheilt sein), rechten Sinn hatte
dieses Privilegium auch erst in der Erzählung des Heraklides. Vermuth-
lich hat erst Her. diesen Zug der Sage angedichtet. Apollonius (1, 643 ff.)
folgt ihm darin, nicht aber, wenigstens nicht ganz deutlich (s. V. 646 ff.)
in dem was Her. von den Metempsychosen des Aeth. gefabelt hatte.
1) Macrob. Somn. Scip. 1, 14, 19 giebt diese Ansicht dem Pythagoras
und Philolaos, letzterem wohl mit Recht, da diese Meinung, dass die
Seele krasis kai armonia sei des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuch-
ten, woraus der Körper bestehe, Simmias bei Plato Phaed. cap. 36
nicht als selbsterrungene, sondern als ihm überlieferte Meinung vorbringt,
und von wem anders als seinem Lehrer Philolaos (Phaed. 61 D) in The-
ben überliefert? (Darum Armonias tes Thebaikes, 95 A). Claud. Mamert.

Man kann nicht daran zweifeln, dass schon Pythagoras
den Grund auch zu der pythagoreischen Wissenschaft gelegt,
die Lehre vom Bau des Weltalls, auch wohl die Erklärung
alles Seins und Werdens in der Welt aus den Zahlen und
ihren Verhältnissen, als dem wesenhaften Untergrund der Dinge,
mindestens in den ersten Zügen seinen Anhängern vorgezeichnet
habe. Dann bewegte sich das lange nur in loser Fühlung
neben einander, die Lebensleitung nach mystisch-religiöser
Weisheit, die freilich ein weiteres Wachsthum kaum erfahren
konnte, und die Wissenschaft, die sich zu einem ansehnlichen
System auswuchs, je mehr, nach dem Zusammenbruch des
pythagoreischen Bundes und seiner Verzweigungen am Anfang
des fünften Jahrhunderts, die verstreuten Mitglieder des Ver-
eins, mit den wissenschaftlichen Bestrebungen anderer Kreise
in Berührung gebracht, von der, nur auf dem Boden der Ge-
meinde auszuübenden Verwirklichung des praktischen Ideals
pythagoreischen Lebens zu einsamer wissenschaftlicher Betrach-
tung abgedrängt wurden. Die pythagoreische Wissenschaft, ein
Bild der ganzen Welt aufbauend, zog, nicht anders als die
ionische Physiologie, die Seele aus der Vereinzelung, ja
gegensätzlichen Stellung gegenüber der Natur, in der sie pytha-
goreische Theologie festgehalten hatte. Mit einer, der mathema-
tisch-musikalischen Theorie entsprechenden Auffassung nannte
Philolaos die Seele die Harmonie der zum Körper vereinig-
ten entgegengesetzten Bestandtheile 1). Aber, wenn die Seele

Schol. Apoll. der Bericht hierüber zuertheilt sein), rechten Sinn hatte
dieses Privilegium auch erst in der Erzählung des Heraklides. Vermuth-
lich hat erst Her. diesen Zug der Sage angedichtet. Apollonius (1, 643 ff.)
folgt ihm darin, nicht aber, wenigstens nicht ganz deutlich (s. V. 646 ff.)
in dem was Her. von den Metempsychosen des Aeth. gefabelt hatte.
1) Macrob. Somn. Scip. 1, 14, 19 giebt diese Ansicht dem Pythagoras
und Philolaos, letzterem wohl mit Recht, da diese Meinung, dass die
Seele κρᾶσις καὶ ἁρμονία sei des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuch-
ten, woraus der Körper bestehe, Simmias bei Plato Phaed. cap. 36
nicht als selbsterrungene, sondern als ihm überlieferte Meinung vorbringt,
und von wem anders als seinem Lehrer Philolaos (Phaed. 61 D) in The-
ben überliefert? (Darum Ἁρμονίας τῆς Θηβαϊκῆς, 95 A). Claud. Mamert.
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[462/0478] Man kann nicht daran zweifeln, dass schon Pythagoras den Grund auch zu der pythagoreischen Wissenschaft gelegt, die Lehre vom Bau des Weltalls, auch wohl die Erklärung alles Seins und Werdens in der Welt aus den Zahlen und ihren Verhältnissen, als dem wesenhaften Untergrund der Dinge, mindestens in den ersten Zügen seinen Anhängern vorgezeichnet habe. Dann bewegte sich das lange nur in loser Fühlung neben einander, die Lebensleitung nach mystisch-religiöser Weisheit, die freilich ein weiteres Wachsthum kaum erfahren konnte, und die Wissenschaft, die sich zu einem ansehnlichen System auswuchs, je mehr, nach dem Zusammenbruch des pythagoreischen Bundes und seiner Verzweigungen am Anfang des fünften Jahrhunderts, die verstreuten Mitglieder des Ver- eins, mit den wissenschaftlichen Bestrebungen anderer Kreise in Berührung gebracht, von der, nur auf dem Boden der Ge- meinde auszuübenden Verwirklichung des praktischen Ideals pythagoreischen Lebens zu einsamer wissenschaftlicher Betrach- tung abgedrängt wurden. Die pythagoreische Wissenschaft, ein Bild der ganzen Welt aufbauend, zog, nicht anders als die ionische Physiologie, die Seele aus der Vereinzelung, ja gegensätzlichen Stellung gegenüber der Natur, in der sie pytha- goreische Theologie festgehalten hatte. Mit einer, der mathema- tisch-musikalischen Theorie entsprechenden Auffassung nannte Philolaos die Seele die Harmonie der zum Körper vereinig- ten entgegengesetzten Bestandtheile 1). Aber, wenn die Seele 1) 1) Macrob. Somn. Scip. 1, 14, 19 giebt diese Ansicht dem Pythagoras und Philolaos, letzterem wohl mit Recht, da diese Meinung, dass die Seele κρᾶσις καὶ ἁρμονία sei des Warmen und Kalten, Trocknen und Feuch- ten, woraus der Körper bestehe, Simmias bei Plato Phaed. cap. 36 nicht als selbsterrungene, sondern als ihm überlieferte Meinung vorbringt, und von wem anders als seinem Lehrer Philolaos (Phaed. 61 D) in The- ben überliefert? (Darum Ἁρμονίας τῆς Θηβαϊκῆς, 95 A). Claud. Mamert. 1) Schol. Apoll. der Bericht hierüber zuertheilt sein), rechten Sinn hatte dieses Privilegium auch erst in der Erzählung des Heraklides. Vermuth- lich hat erst Her. diesen Zug der Sage angedichtet. Apollonius (1, 643 ff.) folgt ihm darin, nicht aber, wenigstens nicht ganz deutlich (s. V. 646 ff.) in dem was Her. von den Metempsychosen des Aeth. gefabelt hatte.

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 462. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/478>, abgerufen am 22.11.2024.