zustellen schien. In halb sagenhaften Berichten, in denen spätere Zeit die Erinnerung an jene, der philosophischen Naturergründung voranliegende Periode festgehalten hat, ist uns von grossen Meistern geheimnissvoller Weisheit Kunde erhalten, denen zwar mehr ein zauberhaftes Können als ein rein denkendes Erfassen des dunklen Naturgrundes zugeschrieben wird, denen aber doch, wie selbst die uns zugekommene dürftige Ueber- lieferung noch erkennen lässt, aus ihrem Werk und Wirken bereits Ansätze zu einer theoretisch rechtfertigenden Betrach- tung erwuchsen. Man kann sie nicht Philosophen nennen, auch nicht Vorläufer griechischer Philosophie, vielmehr geht ihr Blick nach einer Richtung von der sich kräftig abzuwen- den wichtigste und mit Bewusstsein, wenn auch nicht ohne Schwanken und Rückfälle durchgeführte Aufgabe der philo- sophischen Selbstbefreiung des Geistes wurde. Sie stellen sich zu den Zauberern und Geisterbannern, die in der Lichtdäm- merung der Geistesgeschichte der Culturvölker, als wunderliche erste Typen des forschenden Menschen, dem Philosophen vor- auszugehen pflegen. Alle gehören sie dem Kreise der eksta- tischen Seher und Reinigungspriester an.
Von den Hyperboreern, aus dem fernen Wunderlande, in das Apollo im Winter verschwindet, kam, der Sage nach, Abaris, vom Gotte gesandt, nach Griechenland; ein heiliger Mann, keiner menschlichen Nahrung bedürftig. Den goldenen Pfeil, das Wahrzeichen seiner apollinischen Art, in der Hand, zog er durch die Länder, Krankheiten abwendend durch Zauber- opfer, Erdbeben und andere Noth voraussagend. Man las noch in später Zeit Weissagungen und "Reinigungen" unter seinem Namen 1). -- Wie seiner, so des Aristeas hatte schon Pindar
1) Des Abaris hatte Pindar gedacht (Harpocr. s. Abaris), Herodot erwähnt ihn 4, 36. Dort ist von dem Pfeil die Rede, den er mit sich trug kata pasan ten gen, und von seiner gänzlichen Nahrungsenthaltung (s. Jamblich. V. Pyth. 141). Den Pfeil, ein sumbolon tou Apollonos (Ly- curg. bei Eudoc. p. 34, 10), trägt Abaris in der Hand (die Vermuthung Wesselings, neuerdings wieder vorgebracht, dass bei Herodot zu schreiben sei os ton oistos periephere ist als sprachlich unhaltbar schon von Struve,
zustellen schien. In halb sagenhaften Berichten, in denen spätere Zeit die Erinnerung an jene, der philosophischen Naturergründung voranliegende Periode festgehalten hat, ist uns von grossen Meistern geheimnissvoller Weisheit Kunde erhalten, denen zwar mehr ein zauberhaftes Können als ein rein denkendes Erfassen des dunklen Naturgrundes zugeschrieben wird, denen aber doch, wie selbst die uns zugekommene dürftige Ueber- lieferung noch erkennen lässt, aus ihrem Werk und Wirken bereits Ansätze zu einer theoretisch rechtfertigenden Betrach- tung erwuchsen. Man kann sie nicht Philosophen nennen, auch nicht Vorläufer griechischer Philosophie, vielmehr geht ihr Blick nach einer Richtung von der sich kräftig abzuwen- den wichtigste und mit Bewusstsein, wenn auch nicht ohne Schwanken und Rückfälle durchgeführte Aufgabe der philo- sophischen Selbstbefreiung des Geistes wurde. Sie stellen sich zu den Zauberern und Geisterbannern, die in der Lichtdäm- merung der Geistesgeschichte der Culturvölker, als wunderliche erste Typen des forschenden Menschen, dem Philosophen vor- auszugehen pflegen. Alle gehören sie dem Kreise der eksta- tischen Seher und Reinigungspriester an.
Von den Hyperboreern, aus dem fernen Wunderlande, in das Apollo im Winter verschwindet, kam, der Sage nach, Abaris, vom Gotte gesandt, nach Griechenland; ein heiliger Mann, keiner menschlichen Nahrung bedürftig. Den goldenen Pfeil, das Wahrzeichen seiner apollinischen Art, in der Hand, zog er durch die Länder, Krankheiten abwendend durch Zauber- opfer, Erdbeben und andere Noth voraussagend. Man las noch in später Zeit Weissagungen und „Reinigungen“ unter seinem Namen 1). — Wie seiner, so des Aristeas hatte schon Pindar
1) Des Abaris hatte Pindar gedacht (Harpocr. s. Ἄβαρις), Herodot erwähnt ihn 4, 36. Dort ist von dem Pfeil die Rede, den er mit sich trug κατὰ πᾶσαν τὴν γῆν, und von seiner gänzlichen Nahrungsenthaltung (s. Jamblich. V. Pyth. 141). Den Pfeil, ein σύμβολον τοῦ Ἀπόλλωνος (Ly- curg. bei Eudoc. p. 34, 10), trägt Abaris in der Hand (die Vermuthung Wesselings, neuerdings wieder vorgebracht, dass bei Herodot zu schreiben sei ὡς τὸν ὀϊστὸς περιέφερε ist als sprachlich unhaltbar schon von Struve,
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zustellen schien. In halb sagenhaften Berichten, in denen
spätere Zeit die Erinnerung an jene, der philosophischen
Naturergründung voranliegende Periode festgehalten hat, ist uns
von grossen Meistern geheimnissvoller Weisheit Kunde erhalten,
denen zwar mehr ein zauberhaftes Können als ein rein denkendes
Erfassen des dunklen Naturgrundes zugeschrieben wird, denen
aber doch, wie selbst die uns zugekommene dürftige Ueber-
lieferung noch erkennen lässt, aus ihrem Werk und Wirken
bereits Ansätze zu einer theoretisch rechtfertigenden Betrach-
tung erwuchsen. Man kann sie nicht Philosophen nennen,
auch nicht Vorläufer griechischer Philosophie, vielmehr geht
ihr Blick nach einer Richtung von der sich kräftig abzuwen-
den wichtigste und mit Bewusstsein, wenn auch nicht ohne
Schwanken und Rückfälle durchgeführte Aufgabe der philo-
sophischen Selbstbefreiung des Geistes wurde. Sie stellen sich
zu den Zauberern und Geisterbannern, die in der Lichtdäm-
merung der Geistesgeschichte der Culturvölker, als wunderliche
erste Typen des forschenden Menschen, dem Philosophen vor-
auszugehen pflegen. Alle gehören sie dem Kreise der eksta-
tischen Seher und Reinigungspriester an.
Von den Hyperboreern, aus dem fernen Wunderlande, in
das Apollo im Winter verschwindet, kam, der Sage nach,
Abaris, vom Gotte gesandt, nach Griechenland; ein heiliger
Mann, keiner menschlichen Nahrung bedürftig. Den goldenen
Pfeil, das Wahrzeichen seiner apollinischen Art, in der Hand,
zog er durch die Länder, Krankheiten abwendend durch Zauber-
opfer, Erdbeben und andere Noth voraussagend. Man las noch
in später Zeit Weissagungen und „Reinigungen“ unter seinem
Namen 1). — Wie seiner, so des Aristeas hatte schon Pindar
1) Des Abaris hatte Pindar gedacht (Harpocr. s. Ἄβαρις), Herodot
erwähnt ihn 4, 36. Dort ist von dem Pfeil die Rede, den er mit sich trug
κατὰ πᾶσαν τὴν γῆν, und von seiner gänzlichen Nahrungsenthaltung (s.
Jamblich. V. Pyth. 141). Den Pfeil, ein σύμβολον τοῦ Ἀπόλλωνος (Ly-
curg. bei Eudoc. p. 34, 10), trägt Abaris in der Hand (die Vermuthung
Wesselings, neuerdings wieder vorgebracht, dass bei Herodot zu schreiben
sei ὡς τὸν ὀϊστὸς περιέφερε ist als sprachlich unhaltbar schon von Struve,
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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/397>, abgerufen am 25.11.2024.
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