Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Bilder heroischen Seelencultes. Sie müssen ihm dienen, um
jene Reihe von Scenen wild aufgestachelter Leidenschaft, die
mit dem tragischen Tode des Patroklos begann, mit dem Fall
und der Schleifung des troischen Vorkämpfers endigte, in einem
letzten Fortissimo zum Schluss zu bringen. Nach so heftiger
Erregung aller Empfindungen sollten die überspannten Kräfte
nicht auf einmal zusammensinken; noch ein letzter Rest des
übermenschlichen Pathos, mit dem Achill unter den Feinden
gewüthet hat, lebt sich in der Ausrichtung dieses gräuelvollen
Opfermahles für die Seele des Freundes aus. Es ist als ob
uralte, längst gebändigte Rohheit ein letztes Mal hervorbräche.
Nun erst, nachdem Alles vollendet ist, sinkt Achills Seele zu
wehmüthiger Ergebung herab; in gleichmüthigerer Stimmung
heisst er nun die Achäer "in weitem Ringe" niedersitzen; es
folgen jene herrlichen Wettkämpfe, deren belebte Schilderung
das Entzücken jedes erfahrenen Agonisten -- und wer war
das unter Griechen nicht? -- erregen musste. Gewiss stehen
in dem homerischen Gedichte diese Wettkämpfe wesentlich um
des zugleich künstlerischen und stofflichen Interesses, das ihre
Darstellung gewährte; dass als Abschluss der Bestattungsfeier
solche Kampfspiele vorgenommen werden, ist gleichwohl nur
verständlich als Rudiment eines alten lebhafteren Seelencultes.
Solche Wettspiele zu Ehren jüngst verstorbener Fürsten wer-
den bei Homer noch mehrmals erwähnt 1), ja Homer kennt als
Gelegenheiten zu wetteifernder Bemühung um ausgesetzte
Preise nur Leichenspiele 2). Die Sitte ist nie völlig abgekom-

stens bei der Bestattung von Fürsten ähnlicher Brauch bis in die Zeit
des Dichters erhalten? Besonders feierlich blieb z. B. die Bestattung der
spartanischen Könige, wie es scheint auch der kretischen Könige (so
lange es solche gab): vgl. Aristot. fr. 476, p. 1556 a, 37 ff.
1) Leichenspiele für Amarynkeus: Il. 23, 630 ff., für Achill: Od. 24,
85 ff. Als ganz gewöhnliche Sitte werden solche Spiele bezeichnet Od. 24,
87 f. Die spätere Dichtung ist reich an Schilderungen solcher agones
epitaphioi der Heroenzeit.
2) Nach Aristarchs Beobachtung. S. Rhein. Mus. 36, 544 f. --
Anderer Art sind die jedenfalls sehr alten Brautwettkämpfe (Sagen von
Pelops, Danaos, Ikarios u. a.).

Bilder heroischen Seelencultes. Sie müssen ihm dienen, um
jene Reihe von Scenen wild aufgestachelter Leidenschaft, die
mit dem tragischen Tode des Patroklos begann, mit dem Fall
und der Schleifung des troischen Vorkämpfers endigte, in einem
letzten Fortissimo zum Schluss zu bringen. Nach so heftiger
Erregung aller Empfindungen sollten die überspannten Kräfte
nicht auf einmal zusammensinken; noch ein letzter Rest des
übermenschlichen Pathos, mit dem Achill unter den Feinden
gewüthet hat, lebt sich in der Ausrichtung dieses gräuelvollen
Opfermahles für die Seele des Freundes aus. Es ist als ob
uralte, längst gebändigte Rohheit ein letztes Mal hervorbräche.
Nun erst, nachdem Alles vollendet ist, sinkt Achills Seele zu
wehmüthiger Ergebung herab; in gleichmüthigerer Stimmung
heisst er nun die Achäer „in weitem Ringe“ niedersitzen; es
folgen jene herrlichen Wettkämpfe, deren belebte Schilderung
das Entzücken jedes erfahrenen Agonisten — und wer war
das unter Griechen nicht? — erregen musste. Gewiss stehen
in dem homerischen Gedichte diese Wettkämpfe wesentlich um
des zugleich künstlerischen und stofflichen Interesses, das ihre
Darstellung gewährte; dass als Abschluss der Bestattungsfeier
solche Kampfspiele vorgenommen werden, ist gleichwohl nur
verständlich als Rudiment eines alten lebhafteren Seelencultes.
Solche Wettspiele zu Ehren jüngst verstorbener Fürsten wer-
den bei Homer noch mehrmals erwähnt 1), ja Homer kennt als
Gelegenheiten zu wetteifernder Bemühung um ausgesetzte
Preise nur Leichenspiele 2). Die Sitte ist nie völlig abgekom-

stens bei der Bestattung von Fürsten ähnlicher Brauch bis in die Zeit
des Dichters erhalten? Besonders feierlich blieb z. B. die Bestattung der
spartanischen Könige, wie es scheint auch der kretischen Könige (so
lange es solche gab): vgl. Aristot. fr. 476, p. 1556 a, 37 ff.
1) Leichenspiele für Amarynkeus: Il. 23, 630 ff., für Achill: Od. 24,
85 ff. Als ganz gewöhnliche Sitte werden solche Spiele bezeichnet Od. 24,
87 f. Die spätere Dichtung ist reich an Schilderungen solcher ἀγῶνες
ὲπιτάφιοι der Heroenzeit.
2) Nach Aristarchs Beobachtung. S. Rhein. Mus. 36, 544 f. —
Anderer Art sind die jedenfalls sehr alten Brautwettkämpfe (Sagen von
Pelops, Danaos, Ikarios u. a.).
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0034" n="18"/>
Bilder heroischen Seelencultes. Sie müssen ihm dienen, um<lb/>
jene Reihe von Scenen wild aufgestachelter Leidenschaft, die<lb/>
mit dem tragischen Tode des Patroklos begann, mit dem Fall<lb/>
und der Schleifung des troischen Vorkämpfers endigte, in einem<lb/>
letzten Fortissimo zum Schluss zu bringen. Nach so heftiger<lb/>
Erregung aller Empfindungen sollten die überspannten Kräfte<lb/>
nicht auf einmal zusammensinken; noch ein letzter Rest des<lb/>
übermenschlichen Pathos, mit dem Achill unter den Feinden<lb/>
gewüthet hat, lebt sich in der Ausrichtung dieses gräuelvollen<lb/>
Opfermahles für die Seele des Freundes aus. Es ist als ob<lb/>
uralte, längst gebändigte Rohheit ein letztes Mal hervorbräche.<lb/>
Nun erst, nachdem Alles vollendet ist, sinkt Achills Seele zu<lb/>
wehmüthiger Ergebung herab; in gleichmüthigerer Stimmung<lb/>
heisst er nun die Achäer &#x201E;in weitem Ringe&#x201C; niedersitzen; es<lb/>
folgen jene herrlichen Wettkämpfe, deren belebte Schilderung<lb/>
das Entzücken jedes erfahrenen Agonisten &#x2014; und wer war<lb/>
das unter Griechen nicht? &#x2014; erregen musste. Gewiss stehen<lb/>
in dem homerischen Gedichte diese Wettkämpfe wesentlich um<lb/>
des zugleich künstlerischen und stofflichen Interesses, das ihre<lb/>
Darstellung gewährte; dass als Abschluss der Bestattungsfeier<lb/>
solche Kampfspiele vorgenommen werden, ist gleichwohl nur<lb/>
verständlich als Rudiment eines alten lebhafteren Seelencultes.<lb/>
Solche Wettspiele zu Ehren jüngst verstorbener Fürsten wer-<lb/>
den bei Homer noch mehrmals erwähnt <note place="foot" n="1)">Leichenspiele für Amarynkeus: Il. 23, 630 ff., für Achill: Od. 24,<lb/>
85 ff. Als ganz gewöhnliche Sitte werden solche Spiele bezeichnet Od. 24,<lb/>
87 f. Die spätere Dichtung ist reich an Schilderungen solcher &#x1F00;&#x03B3;&#x1FF6;&#x03BD;&#x03B5;&#x03C2;<lb/>
&#x1F72;&#x03C0;&#x03B9;&#x03C4;&#x03AC;&#x03C6;&#x03B9;&#x03BF;&#x03B9; der Heroenzeit.</note>, ja Homer kennt als<lb/>
Gelegenheiten zu wetteifernder Bemühung um ausgesetzte<lb/>
Preise <hi rendition="#g">nur</hi> Leichenspiele <note place="foot" n="2)">Nach Aristarchs Beobachtung. S. <hi rendition="#i">Rhein. Mus.</hi> 36, 544 f. &#x2014;<lb/>
Anderer Art sind die jedenfalls sehr alten Brautwettkämpfe (Sagen von<lb/>
Pelops, Danaos, Ikarios u. a.).</note>. Die Sitte ist nie völlig abgekom-<lb/><note xml:id="seg2pn_4_2" prev="#seg2pn_4_1" place="foot" n="3)">stens bei der Bestattung von Fürsten ähnlicher Brauch bis in die Zeit<lb/>
des Dichters erhalten? Besonders feierlich blieb z. B. die Bestattung der<lb/>
spartanischen Könige, wie es scheint auch der kretischen Könige (so<lb/>
lange es solche gab): vgl. Aristot. fr. 476, p. 1556 a, 37 ff.</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0034] Bilder heroischen Seelencultes. Sie müssen ihm dienen, um jene Reihe von Scenen wild aufgestachelter Leidenschaft, die mit dem tragischen Tode des Patroklos begann, mit dem Fall und der Schleifung des troischen Vorkämpfers endigte, in einem letzten Fortissimo zum Schluss zu bringen. Nach so heftiger Erregung aller Empfindungen sollten die überspannten Kräfte nicht auf einmal zusammensinken; noch ein letzter Rest des übermenschlichen Pathos, mit dem Achill unter den Feinden gewüthet hat, lebt sich in der Ausrichtung dieses gräuelvollen Opfermahles für die Seele des Freundes aus. Es ist als ob uralte, längst gebändigte Rohheit ein letztes Mal hervorbräche. Nun erst, nachdem Alles vollendet ist, sinkt Achills Seele zu wehmüthiger Ergebung herab; in gleichmüthigerer Stimmung heisst er nun die Achäer „in weitem Ringe“ niedersitzen; es folgen jene herrlichen Wettkämpfe, deren belebte Schilderung das Entzücken jedes erfahrenen Agonisten — und wer war das unter Griechen nicht? — erregen musste. Gewiss stehen in dem homerischen Gedichte diese Wettkämpfe wesentlich um des zugleich künstlerischen und stofflichen Interesses, das ihre Darstellung gewährte; dass als Abschluss der Bestattungsfeier solche Kampfspiele vorgenommen werden, ist gleichwohl nur verständlich als Rudiment eines alten lebhafteren Seelencultes. Solche Wettspiele zu Ehren jüngst verstorbener Fürsten wer- den bei Homer noch mehrmals erwähnt 1), ja Homer kennt als Gelegenheiten zu wetteifernder Bemühung um ausgesetzte Preise nur Leichenspiele 2). Die Sitte ist nie völlig abgekom- 3) 1) Leichenspiele für Amarynkeus: Il. 23, 630 ff., für Achill: Od. 24, 85 ff. Als ganz gewöhnliche Sitte werden solche Spiele bezeichnet Od. 24, 87 f. Die spätere Dichtung ist reich an Schilderungen solcher ἀγῶνες ὲπιτάφιοι der Heroenzeit. 2) Nach Aristarchs Beobachtung. S. Rhein. Mus. 36, 544 f. — Anderer Art sind die jedenfalls sehr alten Brautwettkämpfe (Sagen von Pelops, Danaos, Ikarios u. a.). 3) stens bei der Bestattung von Fürsten ähnlicher Brauch bis in die Zeit des Dichters erhalten? Besonders feierlich blieb z. B. die Bestattung der spartanischen Könige, wie es scheint auch der kretischen Könige (so lange es solche gab): vgl. Aristot. fr. 476, p. 1556 a, 37 ff.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/34
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/34>, abgerufen am 24.11.2024.