Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

Bild:
<< vorherige Seite

Die ganze Reihe dieser Opfer ist völlig von der Art, die man
für die älteste Art der Opferung halten darf, und die uns
später in griechischem Ritual vielfach im Cult der Unterirdischen
begegnet. Nur dem Dämon, nicht der Gemeinde, gleich an-
deren Opfern, zum Genuss, wird das Opferthier völlig verbrannt.
Sieht man in solchen Holokausten für die chthonischen und
manche olympische Gottheiten Opfergaben, so hat man kein Recht,
den Begehungen am Scheiterhaufen des Patroklos einen anderen
Sinn unterzuschieben. Die Darbringungen von Wein, Oel und
Honig sind ebenfalls späterem Opferritus geläufig. Selbst das
abgeschnittene Haar, dem Todten auf den Leib gestreut, in
die starre Hand gelegt, ist eine Opfergabe, hier so gut wie in
späterem griechischen Cultus und in dem Cultus vieler Völker 1).
Ja ganz besonders diese Gabe, als symbolische Vertretung
werthvollen Opfers durch einen an sich nutzlosen Gegenstand
(bei dessen Darbringung einzig der gute Wille geschätzt sein
will) lässt, wie alle solche symbolische Opfergaben, auf eine
lange Dauer und Entwicklung des Cultes, dem sie eingefügt ist,
hier also des Seelencultes in vorhomerischer Zeit schliessen.

Der ganzen Erzählung liegt die Vorstellung zu Grunde,

der er die Psyche des Patroklos ausdrücklich herbeiruft (Il. 23, 218--222),
ein Opfer ist, so gut wie alle ähnlichen khoai, ist ja unleugbar. Der
Wein, mit welchem (v. 257) der Brand des Scheiterhaufens gelöscht wird
(vgl. 24, 791), mag nur zu diesem Zweck dienen sollen, als Opfer nicht
zu gelten haben. Aber die Krüge mit Honig und Oel, die Achill auf den
Scheiterhaufen stellen lässt (v. 170; vgl. Od. 24, 67. 68), können nicht
wohl anders denn als ein Opfer betrachtet werden (mit Bergk, Opusc. II,
675); nach Stengel, Jahrb. f. Philol, 1887, p. 649, dienen sie nur, die
Flamme anzufachen: aber Honig wenigstens wäre dafür ein seltsames
Mittel. Für Opferspenden am rogus oder am Grabe sind ja Oel und
Honig stets verwendet worden (s. Stengel selbst, a. a. O. und Philol. 39,
378 ff.).
1) Ueber griechische Haaropfer s. Wieseler, Philol. 9, 711 ff., der
diese Opfer sicherlich mit Recht als stellvertretende Gaben statt alter
Menschenopfer auffasst. Ebenso erklären sich Haaropfer bei anderen
Völkern: vgl. Tylor, Primitive cult. 2, 364. -- Karischer Sitte ent-
sprungen sind wohl die eigenthümlichen Haaropfer für Zeus Panemerios,
von denen Inss. und Ueberreste aus Stratonikea in Karien Kunde geben.
S. Bull. de corresp. hellen. 1887 p. 390 f.; 1888 p. 487 ff.

Die ganze Reihe dieser Opfer ist völlig von der Art, die man
für die älteste Art der Opferung halten darf, und die uns
später in griechischem Ritual vielfach im Cult der Unterirdischen
begegnet. Nur dem Dämon, nicht der Gemeinde, gleich an-
deren Opfern, zum Genuss, wird das Opferthier völlig verbrannt.
Sieht man in solchen Holokausten für die chthonischen und
manche olympische Gottheiten Opfergaben, so hat man kein Recht,
den Begehungen am Scheiterhaufen des Patroklos einen anderen
Sinn unterzuschieben. Die Darbringungen von Wein, Oel und
Honig sind ebenfalls späterem Opferritus geläufig. Selbst das
abgeschnittene Haar, dem Todten auf den Leib gestreut, in
die starre Hand gelegt, ist eine Opfergabe, hier so gut wie in
späterem griechischen Cultus und in dem Cultus vieler Völker 1).
Ja ganz besonders diese Gabe, als symbolische Vertretung
werthvollen Opfers durch einen an sich nutzlosen Gegenstand
(bei dessen Darbringung einzig der gute Wille geschätzt sein
will) lässt, wie alle solche symbolische Opfergaben, auf eine
lange Dauer und Entwicklung des Cultes, dem sie eingefügt ist,
hier also des Seelencultes in vorhomerischer Zeit schliessen.

Der ganzen Erzählung liegt die Vorstellung zu Grunde,

der er die Psyche des Patroklos ausdrücklich herbeiruft (Il. 23, 218—222),
ein Opfer ist, so gut wie alle ähnlichen χοαί, ist ja unleugbar. Der
Wein, mit welchem (v. 257) der Brand des Scheiterhaufens gelöscht wird
(vgl. 24, 791), mag nur zu diesem Zweck dienen sollen, als Opfer nicht
zu gelten haben. Aber die Krüge mit Honig und Oel, die Achill auf den
Scheiterhaufen stellen lässt (v. 170; vgl. Od. 24, 67. 68), können nicht
wohl anders denn als ein Opfer betrachtet werden (mit Bergk, Opusc. II,
675); nach Stengel, Jahrb. f. Philol, 1887, p. 649, dienen sie nur, die
Flamme anzufachen: aber Honig wenigstens wäre dafür ein seltsames
Mittel. Für Opferspenden am rogus oder am Grabe sind ja Oel und
Honig stets verwendet worden (s. Stengel selbst, a. a. O. und Philol. 39,
378 ff.).
1) Ueber griechische Haaropfer s. Wieseler, Philol. 9, 711 ff., der
diese Opfer sicherlich mit Recht als stellvertretende Gaben statt alter
Menschenopfer auffasst. Ebenso erklären sich Haaropfer bei anderen
Völkern: vgl. Tylor, Primitive cult. 2, 364. — Karischer Sitte ent-
sprungen sind wohl die eigenthümlichen Haaropfer für Zeus Panemerios,
von denen Inss. und Ueberreste aus Stratonikea in Karien Kunde geben.
S. Bull. de corresp. hellén. 1887 p. 390 f.; 1888 p. 487 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0032" n="16"/>
Die ganze Reihe dieser Opfer ist völlig von der Art, die man<lb/>
für die älteste Art der Opferung halten darf, und die uns<lb/>
später in griechischem Ritual vielfach im Cult der Unterirdischen<lb/>
begegnet. Nur dem Dämon, nicht der Gemeinde, gleich an-<lb/>
deren Opfern, zum Genuss, wird das Opferthier völlig verbrannt.<lb/>
Sieht man in solchen Holokausten für die chthonischen und<lb/>
manche olympische Gottheiten Opfergaben, so hat man kein Recht,<lb/>
den Begehungen am Scheiterhaufen des Patroklos einen anderen<lb/>
Sinn unterzuschieben. Die Darbringungen von Wein, Oel und<lb/>
Honig sind ebenfalls späterem Opferritus geläufig. Selbst das<lb/>
abgeschnittene Haar, dem Todten auf den Leib gestreut, in<lb/>
die starre Hand gelegt, ist eine Opfergabe, hier so gut wie in<lb/>
späterem griechischen Cultus und in dem Cultus vieler Völker <note place="foot" n="1)">Ueber griechische Haaropfer s. Wieseler, <hi rendition="#i">Philol.</hi> 9, 711 ff., der<lb/>
diese Opfer sicherlich mit Recht als stellvertretende Gaben statt alter<lb/>
Menschenopfer auffasst. Ebenso erklären sich Haaropfer bei anderen<lb/>
Völkern: vgl. Tylor, <hi rendition="#i">Primitive cult.</hi> 2, 364. &#x2014; Karischer Sitte ent-<lb/>
sprungen sind wohl die eigenthümlichen Haaropfer für Zeus Panemerios,<lb/>
von denen Inss. und Ueberreste aus Stratonikea in Karien Kunde geben.<lb/>
S. <hi rendition="#i">Bull. de corresp. hellén.</hi> 1887 p. 390 f.; 1888 p. 487 ff.</note>.<lb/>
Ja ganz besonders diese Gabe, als symbolische Vertretung<lb/>
werthvollen Opfers durch einen an sich nutzlosen Gegenstand<lb/>
(bei dessen Darbringung einzig der gute Wille geschätzt sein<lb/>
will) lässt, wie alle solche symbolische Opfergaben, auf eine<lb/>
lange Dauer und Entwicklung des Cultes, dem sie eingefügt ist,<lb/>
hier also des Seelencultes in vorhomerischer Zeit schliessen.</p><lb/>
            <p>Der ganzen Erzählung liegt die Vorstellung zu Grunde,<lb/><note xml:id="seg2pn_3_2" prev="#seg2pn_3_1" place="foot" n="2)">der er die Psyche des Patroklos ausdrücklich herbeiruft (Il. 23, 218&#x2014;222),<lb/>
ein <hi rendition="#g">Opfer</hi> ist, so gut wie alle ähnlichen &#x03C7;&#x03BF;&#x03B1;&#x03AF;, ist ja unleugbar. Der<lb/>
Wein, mit welchem (v. 257) der Brand des Scheiterhaufens gelöscht wird<lb/>
(vgl. 24, 791), mag nur zu diesem Zweck dienen sollen, als Opfer nicht<lb/>
zu gelten haben. Aber die Krüge mit Honig und Oel, die Achill auf den<lb/>
Scheiterhaufen stellen lässt (v. 170; vgl. Od. 24, 67. 68), können nicht<lb/>
wohl anders denn als ein <hi rendition="#g">Opfer</hi> betrachtet werden (mit Bergk, <hi rendition="#i">Opusc.</hi> II,<lb/>
675); nach Stengel, <hi rendition="#i">Jahrb. f. Philol</hi>, 1887, p. 649, dienen sie nur, die<lb/>
Flamme anzufachen: aber Honig wenigstens wäre dafür ein seltsames<lb/>
Mittel. Für Opferspenden am rogus oder am Grabe sind ja Oel und<lb/>
Honig stets verwendet worden (s. Stengel selbst, a. a. O. und <hi rendition="#i">Philol.</hi> 39,<lb/>
378 ff.).</note><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0032] Die ganze Reihe dieser Opfer ist völlig von der Art, die man für die älteste Art der Opferung halten darf, und die uns später in griechischem Ritual vielfach im Cult der Unterirdischen begegnet. Nur dem Dämon, nicht der Gemeinde, gleich an- deren Opfern, zum Genuss, wird das Opferthier völlig verbrannt. Sieht man in solchen Holokausten für die chthonischen und manche olympische Gottheiten Opfergaben, so hat man kein Recht, den Begehungen am Scheiterhaufen des Patroklos einen anderen Sinn unterzuschieben. Die Darbringungen von Wein, Oel und Honig sind ebenfalls späterem Opferritus geläufig. Selbst das abgeschnittene Haar, dem Todten auf den Leib gestreut, in die starre Hand gelegt, ist eine Opfergabe, hier so gut wie in späterem griechischen Cultus und in dem Cultus vieler Völker 1). Ja ganz besonders diese Gabe, als symbolische Vertretung werthvollen Opfers durch einen an sich nutzlosen Gegenstand (bei dessen Darbringung einzig der gute Wille geschätzt sein will) lässt, wie alle solche symbolische Opfergaben, auf eine lange Dauer und Entwicklung des Cultes, dem sie eingefügt ist, hier also des Seelencultes in vorhomerischer Zeit schliessen. Der ganzen Erzählung liegt die Vorstellung zu Grunde, 2) 1) Ueber griechische Haaropfer s. Wieseler, Philol. 9, 711 ff., der diese Opfer sicherlich mit Recht als stellvertretende Gaben statt alter Menschenopfer auffasst. Ebenso erklären sich Haaropfer bei anderen Völkern: vgl. Tylor, Primitive cult. 2, 364. — Karischer Sitte ent- sprungen sind wohl die eigenthümlichen Haaropfer für Zeus Panemerios, von denen Inss. und Ueberreste aus Stratonikea in Karien Kunde geben. S. Bull. de corresp. hellén. 1887 p. 390 f.; 1888 p. 487 ff. 2) der er die Psyche des Patroklos ausdrücklich herbeiruft (Il. 23, 218—222), ein Opfer ist, so gut wie alle ähnlichen χοαί, ist ja unleugbar. Der Wein, mit welchem (v. 257) der Brand des Scheiterhaufens gelöscht wird (vgl. 24, 791), mag nur zu diesem Zweck dienen sollen, als Opfer nicht zu gelten haben. Aber die Krüge mit Honig und Oel, die Achill auf den Scheiterhaufen stellen lässt (v. 170; vgl. Od. 24, 67. 68), können nicht wohl anders denn als ein Opfer betrachtet werden (mit Bergk, Opusc. II, 675); nach Stengel, Jahrb. f. Philol, 1887, p. 649, dienen sie nur, die Flamme anzufachen: aber Honig wenigstens wäre dafür ein seltsames Mittel. Für Opferspenden am rogus oder am Grabe sind ja Oel und Honig stets verwendet worden (s. Stengel selbst, a. a. O. und Philol. 39, 378 ff.).

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/32
Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/32>, abgerufen am 24.11.2024.