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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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lebendig gefangene troische Jünglinge; Alles wird mit dem
Leichnam verbrannt; die ganze Nacht hindurch giesst Achill
dunklen Wein auf die Erde, die Psyche des Patroklos herbei-
rufend. Erst am Morgen löscht man mit Wein das Feuer,
die Gebeine des Patroklos werden gesammelt, in einen goldenen
Krug gelegt und im Hügel beigesetzt.

Hier hat man die Schilderung einer Fürstenbestattung vor
sich, die schon durch die Feierlichkeit und Umständlichkeit
ihrer mannichfachen Begehungen gegen die bei Homer sonst
hervortretenden Vorstellungen von der Nichtigkeit der aus dem
Leibe geschiedenen Seele seltsam absticht. Hier werden einer
solchen Seele volle und reiche Opfer dargebracht. Unverständ-
lich sind diese Darbringungen, wenn die Seele, nach ihrer Tren-
nung vom Leibe, alsbald bewusstlos, kraftlos und ohnmächtig
davon flattert, also auch keinen Genuss vom Opfer haben kann.
Und so ist es ja begreiflich, dass eine den Homer möglichst
isolirende und in dem deutlich bestimmten Kreise seiner Vor-
stellungen festhaltende Betrachtungsweise sich zu sträuben pflegt,
den Opfercharakter der hier dargebrachten Gaben anzuerkennen 1).
Man fragt aber vergebens, was denn anders als ein Opfer, d. h.
eine beabsichtigte Labung des Gefeierten, hier der Psyche, sein
könne das Umrieseln der Leiche mit Blut, das Abschlachten
und Verbrennen der Rinder und Schafe, Pferde und Hunde
und zuletzt der zwölf troischen Gefangenen an und auf dem
Scheiterhaufen? Von der Erweisung reiner Pietätspflichten,
wie man sonst wohl bei Erörterung mancher Gräuelbilder
griechischen Opferrituals zu thun liebt, wird man uns hier ja
nicht reden wollen. Homer kennt allerdings manche Begehungen
reiner Pietät an der Leiche, aber die zeigen ein ganz andres
Gesicht. Und nicht etwa zur Stillung der Rachbegier des
Achill werden hier, das Grausigste, Menschen geschlachtet:
zweimal ruft Achill der Seele des Patroklos zu, ihr bringe
er dar, was er vordem ihr gelobt habe. (Il. 23, 20 ff. 180 ff.) 2).

1) S. Anhang 1.
2) Dass die Weinspende, die Achill in der Nacht ausgiesst und zu

lebendig gefangene troische Jünglinge; Alles wird mit dem
Leichnam verbrannt; die ganze Nacht hindurch giesst Achill
dunklen Wein auf die Erde, die Psyche des Patroklos herbei-
rufend. Erst am Morgen löscht man mit Wein das Feuer,
die Gebeine des Patroklos werden gesammelt, in einen goldenen
Krug gelegt und im Hügel beigesetzt.

Hier hat man die Schilderung einer Fürstenbestattung vor
sich, die schon durch die Feierlichkeit und Umständlichkeit
ihrer mannichfachen Begehungen gegen die bei Homer sonst
hervortretenden Vorstellungen von der Nichtigkeit der aus dem
Leibe geschiedenen Seele seltsam absticht. Hier werden einer
solchen Seele volle und reiche Opfer dargebracht. Unverständ-
lich sind diese Darbringungen, wenn die Seele, nach ihrer Tren-
nung vom Leibe, alsbald bewusstlos, kraftlos und ohnmächtig
davon flattert, also auch keinen Genuss vom Opfer haben kann.
Und so ist es ja begreiflich, dass eine den Homer möglichst
isolirende und in dem deutlich bestimmten Kreise seiner Vor-
stellungen festhaltende Betrachtungsweise sich zu sträuben pflegt,
den Opfercharakter der hier dargebrachten Gaben anzuerkennen 1).
Man fragt aber vergebens, was denn anders als ein Opfer, d. h.
eine beabsichtigte Labung des Gefeierten, hier der Psyche, sein
könne das Umrieseln der Leiche mit Blut, das Abschlachten
und Verbrennen der Rinder und Schafe, Pferde und Hunde
und zuletzt der zwölf troischen Gefangenen an und auf dem
Scheiterhaufen? Von der Erweisung reiner Pietätspflichten,
wie man sonst wohl bei Erörterung mancher Gräuelbilder
griechischen Opferrituals zu thun liebt, wird man uns hier ja
nicht reden wollen. Homer kennt allerdings manche Begehungen
reiner Pietät an der Leiche, aber die zeigen ein ganz andres
Gesicht. Und nicht etwa zur Stillung der Rachbegier des
Achill werden hier, das Grausigste, Menschen geschlachtet:
zweimal ruft Achill der Seele des Patroklos zu, ihr bringe
er dar, was er vordem ihr gelobt habe. (Il. 23, 20 ff. 180 ff.) 2).

1) S. Anhang 1.
2) Dass die Weinspende, die Achill in der Nacht ausgiesst und zu
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[15/0031] lebendig gefangene troische Jünglinge; Alles wird mit dem Leichnam verbrannt; die ganze Nacht hindurch giesst Achill dunklen Wein auf die Erde, die Psyche des Patroklos herbei- rufend. Erst am Morgen löscht man mit Wein das Feuer, die Gebeine des Patroklos werden gesammelt, in einen goldenen Krug gelegt und im Hügel beigesetzt. Hier hat man die Schilderung einer Fürstenbestattung vor sich, die schon durch die Feierlichkeit und Umständlichkeit ihrer mannichfachen Begehungen gegen die bei Homer sonst hervortretenden Vorstellungen von der Nichtigkeit der aus dem Leibe geschiedenen Seele seltsam absticht. Hier werden einer solchen Seele volle und reiche Opfer dargebracht. Unverständ- lich sind diese Darbringungen, wenn die Seele, nach ihrer Tren- nung vom Leibe, alsbald bewusstlos, kraftlos und ohnmächtig davon flattert, also auch keinen Genuss vom Opfer haben kann. Und so ist es ja begreiflich, dass eine den Homer möglichst isolirende und in dem deutlich bestimmten Kreise seiner Vor- stellungen festhaltende Betrachtungsweise sich zu sträuben pflegt, den Opfercharakter der hier dargebrachten Gaben anzuerkennen 1). Man fragt aber vergebens, was denn anders als ein Opfer, d. h. eine beabsichtigte Labung des Gefeierten, hier der Psyche, sein könne das Umrieseln der Leiche mit Blut, das Abschlachten und Verbrennen der Rinder und Schafe, Pferde und Hunde und zuletzt der zwölf troischen Gefangenen an und auf dem Scheiterhaufen? Von der Erweisung reiner Pietätspflichten, wie man sonst wohl bei Erörterung mancher Gräuelbilder griechischen Opferrituals zu thun liebt, wird man uns hier ja nicht reden wollen. Homer kennt allerdings manche Begehungen reiner Pietät an der Leiche, aber die zeigen ein ganz andres Gesicht. Und nicht etwa zur Stillung der Rachbegier des Achill werden hier, das Grausigste, Menschen geschlachtet: zweimal ruft Achill der Seele des Patroklos zu, ihr bringe er dar, was er vordem ihr gelobt habe. (Il. 23, 20 ff. 180 ff.) 2). 1) S. Anhang 1. 2) Dass die Weinspende, die Achill in der Nacht ausgiesst und zu

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/31>, abgerufen am 19.04.2024.