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Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894.

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gut wie bei so vielen "Naturvölkern", bei denen sie sich in
voller Gewaltsamkeit austobt, nicht schlichter Pietät und
einfach menschlicher, zu Lärm und Ungestüm nie sonderlich
aufgelegter Trauer entsprang, sondern dem alten Glauben, dass
der unsichtbar anwesenden Seele des Geschiedenen die heftigsten
Aeusserungen des Schmerzes um seinen Verlust die liebsten
seien1). Die heftige Klage gehört bereits zum Cult der ab-
geschiedenen Seele. Die Einschränkung des herkömmlichen
Jammergeschreies mag sich ihrerseits -- wenigstens soweit sie
wirksam wurde -- auch nicht allein auf rationelle Erwägungen
(die in solchen Angelegenheiten wenig fruchten), sondern eben-
falls auf superstitiös-religiöse Gründe gestützt haben2).

Die Ausstellung der Leiche scheint durchweg nur einen
Tag gedauert zu haben3). Am frühen Morgen des dritten

Einschränkung der Trauerfeierlichkeiten in Sparta: Plut. Lyc. 27 (daraus
Instit. Lacon. 238 D), in Syrakus durch Gelon: Diodor. 11, 38, 12; vgl.
"Charondas", Stob. Flor. 44, 40 (II p. 183, 13 ff. Mein.).
1) Ganz naiv äussert sich die solchen gewaltsamen Klagen, Selbst-
verletzungen und anderen heftigen Schmerzensäusserungen an der Leiche
zu Grunde liegende Vorstellung, wenn z. B. auf Tahiti die, welche sich
bei der Trauer selbst verwundeten, dabei "die Seele des Verstorbenen
anriefen, damit sie ihre Anhänglichkeit sehe" (Ratzel, Völkerkunde 2, 337 f).
-- Vgl. Waitz-Gerland, Anthropol. 6, 402.
2) Es ist eine sehr alte, bei vielen Völkern verbreitete Vorstellung,
dass allzu heftige Klage um einen Todten dessen Ruhe störe, so dass er
wiederkehrt. S. Mannhardt, German. Mythen (1858) p. 290 (für Deutsch-
land im besondern vgl. Wuttke, Deutsch. Volksabergl.2, § 728, p. 431;
Rochholz, D. Glaube u. Brauch 1, 207). Aehnlicher griechischer Volks-
glaube wird angedeutet bei Lucian, de luctu 24 (wobei die späte Zeit des
Zeugen nicht gegen das Alter des Glaubens spricht). Zu den allzu lange
klagenden Hinterbliebenen wird gesagt: mekhri tinos odurometha; eason ana-
pausasthai tous tou makariou daimonas. -- Bei Plato, Menex. 248 E sagen
die Todten: deometha pateron kai meteron eidenai oti ou threnountes oude
olophuromenoi emas emin malista khariountai (also dem Todten wollte man,
nach gewöhnlicher Ansicht auch in Griechenland, mit der heftigen Klage
eine Liebe thun: s. d. vorhergehende Anmerkung), alla -- -- outos
akharistoi eien an malista. Denn, nach "Charondas", Stob. flor. 44, 40
(p. 183, 15) akharistia esti pros daimonas khthonious lupe uper to
metron gignomene.
3) ekpherein ton apothanonta te usteraia e an prothontai, prin elion

gut wie bei so vielen „Naturvölkern“, bei denen sie sich in
voller Gewaltsamkeit austobt, nicht schlichter Pietät und
einfach menschlicher, zu Lärm und Ungestüm nie sonderlich
aufgelegter Trauer entsprang, sondern dem alten Glauben, dass
der unsichtbar anwesenden Seele des Geschiedenen die heftigsten
Aeusserungen des Schmerzes um seinen Verlust die liebsten
seien1). Die heftige Klage gehört bereits zum Cult der ab-
geschiedenen Seele. Die Einschränkung des herkömmlichen
Jammergeschreies mag sich ihrerseits — wenigstens soweit sie
wirksam wurde — auch nicht allein auf rationelle Erwägungen
(die in solchen Angelegenheiten wenig fruchten), sondern eben-
falls auf superstitiös-religiöse Gründe gestützt haben2).

Die Ausstellung der Leiche scheint durchweg nur einen
Tag gedauert zu haben3). Am frühen Morgen des dritten

Einschränkung der Trauerfeierlichkeiten in Sparta: Plut. Lyc. 27 (daraus
Instit. Lacon. 238 D), in Syrakus durch Gelon: Diodor. 11, 38, 12; vgl.
„Charondas“, Stob. Flor. 44, 40 (II p. 183, 13 ff. Mein.).
1) Ganz naiv äussert sich die solchen gewaltsamen Klagen, Selbst-
verletzungen und anderen heftigen Schmerzensäusserungen an der Leiche
zu Grunde liegende Vorstellung, wenn z. B. auf Tahiti die, welche sich
bei der Trauer selbst verwundeten, dabei „die Seele des Verstorbenen
anriefen, damit sie ihre Anhänglichkeit sehe“ (Ratzel, Völkerkunde 2, 337 f).
— Vgl. Waitz-Gerland, Anthropol. 6, 402.
2) Es ist eine sehr alte, bei vielen Völkern verbreitete Vorstellung,
dass allzu heftige Klage um einen Todten dessen Ruhe störe, so dass er
wiederkehrt. S. Mannhardt, German. Mythen (1858) p. 290 (für Deutsch-
land im besondern vgl. Wuttke, Deutsch. Volksabergl.2, § 728, p. 431;
Rochholz, D. Glaube u. Brauch 1, 207). Aehnlicher griechischer Volks-
glaube wird angedeutet bei Lucian, de luctu 24 (wobei die späte Zeit des
Zeugen nicht gegen das Alter des Glaubens spricht). Zu den allzu lange
klagenden Hinterbliebenen wird gesagt: μέχρι τίνος ὀδυρόμεϑα; ἔασον ἀνα-
παύσασϑαι τοὺς τοῦ μακαρίου δαίμονας. — Bei Plato, Menex. 248 E sagen
die Todten: δεόμεϑα πατέρων καὶ μητέρων εἰδέναι ὅτι οὐ ϑρηνοῦντες οὐδὲ
ὀλοφυρόμενοι ἡμᾶς ἡμῖν μάλιστα χαριοῦνται (also dem Todten wollte man,
nach gewöhnlicher Ansicht auch in Griechenland, mit der heftigen Klage
eine Liebe thun: s. d. vorhergehende Anmerkung), ἀλλὰ — — οὕτως
ἀχάριστοι εἶεν ἂν μάλιστα. Denn, nach „Charondas“, Stob. flor. 44, 40
(p. 183, 15) ἀχαριστία ἐστὶ πρὸς δαίμονας χϑονίους λύπη ὑπὲρ τὸ
μέτρον γιγνομένη.
3) ἐκφέρειν τὸν ἀποϑανόντα τῇ ὑστεραίᾳ ᾗ ἂν προϑῶνται, πρὶν ἥλιον
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[206/0222] gut wie bei so vielen „Naturvölkern“, bei denen sie sich in voller Gewaltsamkeit austobt, nicht schlichter Pietät und einfach menschlicher, zu Lärm und Ungestüm nie sonderlich aufgelegter Trauer entsprang, sondern dem alten Glauben, dass der unsichtbar anwesenden Seele des Geschiedenen die heftigsten Aeusserungen des Schmerzes um seinen Verlust die liebsten seien 1). Die heftige Klage gehört bereits zum Cult der ab- geschiedenen Seele. Die Einschränkung des herkömmlichen Jammergeschreies mag sich ihrerseits — wenigstens soweit sie wirksam wurde — auch nicht allein auf rationelle Erwägungen (die in solchen Angelegenheiten wenig fruchten), sondern eben- falls auf superstitiös-religiöse Gründe gestützt haben 2). Die Ausstellung der Leiche scheint durchweg nur einen Tag gedauert zu haben 3). Am frühen Morgen des dritten 4) 1) Ganz naiv äussert sich die solchen gewaltsamen Klagen, Selbst- verletzungen und anderen heftigen Schmerzensäusserungen an der Leiche zu Grunde liegende Vorstellung, wenn z. B. auf Tahiti die, welche sich bei der Trauer selbst verwundeten, dabei „die Seele des Verstorbenen anriefen, damit sie ihre Anhänglichkeit sehe“ (Ratzel, Völkerkunde 2, 337 f). — Vgl. Waitz-Gerland, Anthropol. 6, 402. 2) Es ist eine sehr alte, bei vielen Völkern verbreitete Vorstellung, dass allzu heftige Klage um einen Todten dessen Ruhe störe, so dass er wiederkehrt. S. Mannhardt, German. Mythen (1858) p. 290 (für Deutsch- land im besondern vgl. Wuttke, Deutsch. Volksabergl.2, § 728, p. 431; Rochholz, D. Glaube u. Brauch 1, 207). Aehnlicher griechischer Volks- glaube wird angedeutet bei Lucian, de luctu 24 (wobei die späte Zeit des Zeugen nicht gegen das Alter des Glaubens spricht). Zu den allzu lange klagenden Hinterbliebenen wird gesagt: μέχρι τίνος ὀδυρόμεϑα; ἔασον ἀνα- παύσασϑαι τοὺς τοῦ μακαρίου δαίμονας. — Bei Plato, Menex. 248 E sagen die Todten: δεόμεϑα πατέρων καὶ μητέρων εἰδέναι ὅτι οὐ ϑρηνοῦντες οὐδὲ ὀλοφυρόμενοι ἡμᾶς ἡμῖν μάλιστα χαριοῦνται (also dem Todten wollte man, nach gewöhnlicher Ansicht auch in Griechenland, mit der heftigen Klage eine Liebe thun: s. d. vorhergehende Anmerkung), ἀλλὰ — — οὕτως ἀχάριστοι εἶεν ἂν μάλιστα. Denn, nach „Charondas“, Stob. flor. 44, 40 (p. 183, 15) ἀχαριστία ἐστὶ πρὸς δαίμονας χϑονίους λύπη ὑπὲρ τὸ μέτρον γιγνομένη. 3) ἐκφέρειν τὸν ἀποϑανόντα τῇ ὑστεραίᾳ ᾗ ἂν προϑῶνται, πρὶν ἥλιον 4) Einschränkung der Trauerfeierlichkeiten in Sparta: Plut. Lyc. 27 (daraus Instit. Lacon. 238 D), in Syrakus durch Gelon: Diodor. 11, 38, 12; vgl. „Charondas“, Stob. Flor. 44, 40 (II p. 183, 13 ff. Mein.).

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Zitationshilfe: Rohde, Erwin: Psyche. Seelencult und Unsterblichkeitsglaube der Griechen. Freiburg u. a., 1894, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rohde_psyche_1894/222>, abgerufen am 23.11.2024.