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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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sichere politische Combinationen bauten sie, ohne daran zu
denken, daß jede Nation in erster Reihe nur auf die eigne
Kraft und Macht vertrauen darf. Als Schweden und Türken
ruhig sitzen blieben, Frankreich aber sie, wie es stets gethan, so
gut wie völlig im Stich ließ, was half es da, daß die Bürger-
schaft von Danzig sich und den zu ihr geflüchteten Stanislaw
tapfer und ausdauernd eine Zeitlang gegen die Russen ver-
theidigte, daß ein Paar Tausend Edelleute dort, andere in
Lithauen, noch andere in Kronpolen während des Jahres 1734
einen kleinen Partheigängerkrieg führten? Ohne Zusammen-
hang untereinander, nicht selten selbst unter sich im Hader,
ward ein Haufen nach dem anderen von den russischen oder
sächsischen Truppen auseinandergesprengt. Ohne allen Nutzen
für die Sache, für welche sie ihr Gut und Blut opferten,
trugen sie nur zur Verheerung des Landes bei.

Eine Zeitlang hielt Leszczynski, nachdem er unmittelbar
vor der Übergabe Danzigs von dort entflohen war (27. Juni),
die Hoffnung fest. Von Königsberg aus rief er, obwohl selbst
ohne Vertrauen auf den Erfolg, die Nation zum allgemeinen
Aufsitzen auf (24. Dezember 1734, 20. August 1735) 1), in der
Erwartung, daß Ludwig XV. dessen Heere siegreich gegen Öst-
reich fochten, ihn auf dem Throne erhalten würde. Als er
sich aber auch in dieser Erwartung durch den Abschluß der
Friedenspräliminarien in Wien (3. Oktober 1735) getäuscht
sah, unterzeichnete er, von Ludwig XV. selbst dazu gedrängt,
seine Abdankung (26. Januar 1736) und kehrte im März nach
Frankreich zurück.

sei, sondern allein Östreich aspirans ad universale imperium. Das
Einrücken der russischen Heere sei nicht consilio primorum der ehr-
würdigen und rechtschaffenen Vertreter des russischen Namens erfolgt,
weshalb der Marschall der Conföderation den russischen Truppen und
später den Ständen der russischen Länder erklären solle, sie wollten gegen
sie keine hostilitates exercere.
1) "Mögen sie dort" -- schreibt er an seine Tochter, die Königin --
"sich des Gedankens völlig entschlagen, daß hier die heimischen Haufen
(czeladka domowa) irgend etwas ausrichten werden." Szujski IV,
p.
302.

ſichere politiſche Combinationen bauten ſie, ohne daran zu
denken, daß jede Nation in erſter Reihe nur auf die eigne
Kraft und Macht vertrauen darf. Als Schweden und Türken
ruhig ſitzen blieben, Frankreich aber ſie, wie es ſtets gethan, ſo
gut wie völlig im Stich ließ, was half es da, daß die Bürger-
ſchaft von Danzig ſich und den zu ihr geflüchteten Stanislaw
tapfer und ausdauernd eine Zeitlang gegen die Ruſſen ver-
theidigte, daß ein Paar Tauſend Edelleute dort, andere in
Lithauen, noch andere in Kronpolen während des Jahres 1734
einen kleinen Partheigängerkrieg führten? Ohne Zuſammen-
hang untereinander, nicht ſelten ſelbſt unter ſich im Hader,
ward ein Haufen nach dem anderen von den ruſſiſchen oder
ſächſiſchen Truppen auseinandergeſprengt. Ohne allen Nutzen
für die Sache, für welche ſie ihr Gut und Blut opferten,
trugen ſie nur zur Verheerung des Landes bei.

Eine Zeitlang hielt Leszczynski, nachdem er unmittelbar
vor der Übergabe Danzigs von dort entflohen war (27. Juni),
die Hoffnung feſt. Von Königsberg aus rief er, obwohl ſelbſt
ohne Vertrauen auf den Erfolg, die Nation zum allgemeinen
Aufſitzen auf (24. Dezember 1734, 20. Auguſt 1735) 1), in der
Erwartung, daß Ludwig XV. deſſen Heere ſiegreich gegen Öſt-
reich fochten, ihn auf dem Throne erhalten würde. Als er
ſich aber auch in dieſer Erwartung durch den Abſchluß der
Friedenspräliminarien in Wien (3. Oktober 1735) getäuſcht
ſah, unterzeichnete er, von Ludwig XV. ſelbſt dazu gedrängt,
ſeine Abdankung (26. Januar 1736) und kehrte im März nach
Frankreich zurück.

ſei, ſondern allein Öſtreich aspirans ad universale imperium. Das
Einrücken der ruſſiſchen Heere ſei nicht consilio primorum der ehr-
würdigen und rechtſchaffenen Vertreter des ruſſiſchen Namens erfolgt,
weshalb der Marſchall der Conföderation den ruſſiſchen Truppen und
ſpäter den Ständen der ruſſiſchen Länder erklären ſolle, ſie wollten gegen
ſie keine hostilitates exercere.
1) „Mögen ſie dort“ — ſchreibt er an ſeine Tochter, die Königin —
„ſich des Gedankens völlig entſchlagen, daß hier die heimiſchen Haufen
(czeladka domowa) irgend etwas ausrichten werden.“ Szujski IV,
p.
302.
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[43/0057] ſichere politiſche Combinationen bauten ſie, ohne daran zu denken, daß jede Nation in erſter Reihe nur auf die eigne Kraft und Macht vertrauen darf. Als Schweden und Türken ruhig ſitzen blieben, Frankreich aber ſie, wie es ſtets gethan, ſo gut wie völlig im Stich ließ, was half es da, daß die Bürger- ſchaft von Danzig ſich und den zu ihr geflüchteten Stanislaw tapfer und ausdauernd eine Zeitlang gegen die Ruſſen ver- theidigte, daß ein Paar Tauſend Edelleute dort, andere in Lithauen, noch andere in Kronpolen während des Jahres 1734 einen kleinen Partheigängerkrieg führten? Ohne Zuſammen- hang untereinander, nicht ſelten ſelbſt unter ſich im Hader, ward ein Haufen nach dem anderen von den ruſſiſchen oder ſächſiſchen Truppen auseinandergeſprengt. Ohne allen Nutzen für die Sache, für welche ſie ihr Gut und Blut opferten, trugen ſie nur zur Verheerung des Landes bei. Eine Zeitlang hielt Leszczynski, nachdem er unmittelbar vor der Übergabe Danzigs von dort entflohen war (27. Juni), die Hoffnung feſt. Von Königsberg aus rief er, obwohl ſelbſt ohne Vertrauen auf den Erfolg, die Nation zum allgemeinen Aufſitzen auf (24. Dezember 1734, 20. Auguſt 1735) 1), in der Erwartung, daß Ludwig XV. deſſen Heere ſiegreich gegen Öſt- reich fochten, ihn auf dem Throne erhalten würde. Als er ſich aber auch in dieſer Erwartung durch den Abſchluß der Friedenspräliminarien in Wien (3. Oktober 1735) getäuſcht ſah, unterzeichnete er, von Ludwig XV. ſelbſt dazu gedrängt, ſeine Abdankung (26. Januar 1736) und kehrte im März nach Frankreich zurück. 2) 1) „Mögen ſie dort“ — ſchreibt er an ſeine Tochter, die Königin — „ſich des Gedankens völlig entſchlagen, daß hier die heimiſchen Haufen (czeladka domowa) irgend etwas ausrichten werden.“ Szujski IV, p. 302. 2) ſei, ſondern allein Öſtreich aspirans ad universale imperium. Das Einrücken der ruſſiſchen Heere ſei nicht consilio primorum der ehr- würdigen und rechtſchaffenen Vertreter des ruſſiſchen Namens erfolgt, weshalb der Marſchall der Conföderation den ruſſiſchen Truppen und ſpäter den Ständen der ruſſiſchen Länder erklären ſolle, ſie wollten gegen ſie keine hostilitates exercere.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/57>, abgerufen am 27.11.2024.