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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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sofern er sein Ziel erreichte, seine und der Republik politische
Selbstbestimmung auf lange hinaus vernichtete.

Die Nation aber, deren Krone er erstrebte, wollte nach
wie vor nichts von ihm wissen.

Wie auf den Landtagen, so ging es auch auf dem Convo-
cations- und Wahlreichtstag (26. April, 25. August). Ein-
müthiger wie je wählten die Polen -- auf dem Wahlfelde
Wola bei Warschau waren an 100,000 Edelleute, alle zu Pferde
und in Waffen zusammen -- Stanislaw Leszczynski zu ihrem
König (12. September); nur ein einziger Edelmann hatte bei
der Abstimmung den Kurfürsten von Sachsen genannt. Trotz-
dem aber trennten sich die Lubomirski, Sapieha, Wisnowiecki,
Radzivil -- von welchen keiner dem anderen die Krone gönnte -- 1)
und ihr Anhang von der beinahe einmüthigen Nation, gingen
zu August über und riefen selbst die Russen herbei, deren Heer
in diesen Tagen bereits in der Nähe von Warschau stand.
Unter dessen Schutz wählten sie, eine verschwindende Mino-
rität, am 5. Oktober in Praga August III., den Kandidaten
Östreichs und Rußlands.

Bekannt ist der Ausgang. Die Polen hatten trotzdem, daß
Rußland bereits lange vor der Wahl Leszczynski's ihnen offi-
ciell erklärt hatte, es werde diese Wahl für einen casus belli
betrachten, es vollkommen versäumt, sich zur Vertheidigung
ihrer Freiheit zu rüsten. Ohne alle Erkenntniß der Lage, in
der sie sich fanden, hatten sie sich in dies Unternehmen ge-
worfen, darauf vertrauend, daß Schweden und Türken in ihrem
eigenen Interesse, welches die Erhaltung der Unabhängigkeit der
Republik fordere, sie gegen Rußland, Frankreich sie gegen Öst-
reich und Preußen schützen müßten 2). Auf so weite und un-

1) Quot capita, tot. sensus, heißt es von ihnen in einem Schreiben
aus Lithauen. S. Ranke I, S. 386.
2) Wie weit es ihnen an der Erkenntniß der wahren politischen Lage
fehlte, dafür bringt Szujski IV, p. 302, aus dem Manifest der Sendo-
mirer Konföderation ein schlagendes Beispiel. In diesem Manifest heißt
es: sole clarius patet, daß nicht Rußland, dessen Interessen der ganze
Angriff auf Polen von Grund aus widerspräche, der Urheber desselben

ſofern er ſein Ziel erreichte, ſeine und der Republik politiſche
Selbſtbeſtimmung auf lange hinaus vernichtete.

Die Nation aber, deren Krone er erſtrebte, wollte nach
wie vor nichts von ihm wiſſen.

Wie auf den Landtagen, ſo ging es auch auf dem Convo-
cations- und Wahlreichtstag (26. April, 25. Auguſt). Ein-
müthiger wie je wählten die Polen — auf dem Wahlfelde
Wola bei Warſchau waren an 100,000 Edelleute, alle zu Pferde
und in Waffen zuſammen — Stanislaw Leszczynski zu ihrem
König (12. September); nur ein einziger Edelmann hatte bei
der Abſtimmung den Kurfürſten von Sachſen genannt. Trotz-
dem aber trennten ſich die Lubomirski, Sapieha, Wisnowiecki,
Radzivil — von welchen keiner dem anderen die Krone gönnte — 1)
und ihr Anhang von der beinahe einmüthigen Nation, gingen
zu Auguſt über und riefen ſelbſt die Ruſſen herbei, deren Heer
in dieſen Tagen bereits in der Nähe von Warſchau ſtand.
Unter deſſen Schutz wählten ſie, eine verſchwindende Mino-
rität, am 5. Oktober in Praga Auguſt III., den Kandidaten
Öſtreichs und Rußlands.

Bekannt iſt der Ausgang. Die Polen hatten trotzdem, daß
Rußland bereits lange vor der Wahl Leszczynski’s ihnen offi-
ciell erklärt hatte, es werde dieſe Wahl für einen casus belli
betrachten, es vollkommen verſäumt, ſich zur Vertheidigung
ihrer Freiheit zu rüſten. Ohne alle Erkenntniß der Lage, in
der ſie ſich fanden, hatten ſie ſich in dies Unternehmen ge-
worfen, darauf vertrauend, daß Schweden und Türken in ihrem
eigenen Intereſſe, welches die Erhaltung der Unabhängigkeit der
Republik fordere, ſie gegen Rußland, Frankreich ſie gegen Öſt-
reich und Preußen ſchützen müßten 2). Auf ſo weite und un-

1) Quot capita, tot. sensus, heißt es von ihnen in einem Schreiben
aus Lithauen. S. Ranke I, S. 386.
2) Wie weit es ihnen an der Erkenntniß der wahren politiſchen Lage
fehlte, dafür bringt Szujski IV, p. 302, aus dem Manifeſt der Sendo-
mirer Konföderation ein ſchlagendes Beiſpiel. In dieſem Manifeſt heißt
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[42/0056] ſofern er ſein Ziel erreichte, ſeine und der Republik politiſche Selbſtbeſtimmung auf lange hinaus vernichtete. Die Nation aber, deren Krone er erſtrebte, wollte nach wie vor nichts von ihm wiſſen. Wie auf den Landtagen, ſo ging es auch auf dem Convo- cations- und Wahlreichtstag (26. April, 25. Auguſt). Ein- müthiger wie je wählten die Polen — auf dem Wahlfelde Wola bei Warſchau waren an 100,000 Edelleute, alle zu Pferde und in Waffen zuſammen — Stanislaw Leszczynski zu ihrem König (12. September); nur ein einziger Edelmann hatte bei der Abſtimmung den Kurfürſten von Sachſen genannt. Trotz- dem aber trennten ſich die Lubomirski, Sapieha, Wisnowiecki, Radzivil — von welchen keiner dem anderen die Krone gönnte — 1) und ihr Anhang von der beinahe einmüthigen Nation, gingen zu Auguſt über und riefen ſelbſt die Ruſſen herbei, deren Heer in dieſen Tagen bereits in der Nähe von Warſchau ſtand. Unter deſſen Schutz wählten ſie, eine verſchwindende Mino- rität, am 5. Oktober in Praga Auguſt III., den Kandidaten Öſtreichs und Rußlands. Bekannt iſt der Ausgang. Die Polen hatten trotzdem, daß Rußland bereits lange vor der Wahl Leszczynski’s ihnen offi- ciell erklärt hatte, es werde dieſe Wahl für einen casus belli betrachten, es vollkommen verſäumt, ſich zur Vertheidigung ihrer Freiheit zu rüſten. Ohne alle Erkenntniß der Lage, in der ſie ſich fanden, hatten ſie ſich in dies Unternehmen ge- worfen, darauf vertrauend, daß Schweden und Türken in ihrem eigenen Intereſſe, welches die Erhaltung der Unabhängigkeit der Republik fordere, ſie gegen Rußland, Frankreich ſie gegen Öſt- reich und Preußen ſchützen müßten 2). Auf ſo weite und un- 1) Quot capita, tot. sensus, heißt es von ihnen in einem Schreiben aus Lithauen. S. Ranke I, S. 386. 2) Wie weit es ihnen an der Erkenntniß der wahren politiſchen Lage fehlte, dafür bringt Szujski IV, p. 302, aus dem Manifeſt der Sendo- mirer Konföderation ein ſchlagendes Beiſpiel. In dieſem Manifeſt heißt es: sole clarius patet, daß nicht Rußland, deſſen Intereſſen der ganze Angriff auf Polen von Grund aus widerſpräche, der Urheber deſſelben

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/56>, abgerufen am 27.11.2024.