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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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Ihrer Vorgänger verloren hat." 1) Die russischen Truppen
blieben in der That zunächst in Polen stehen.

Inzwischen hatte Keyserling sich bereits an dem Versuch
betheiligt ein Abkommen zwischen den Partheien zu Stande
zu bringen, um zu verhüten, daß sie nicht dennoch bei Ge-
legenheit der Anfang October bevorstehenden Constituirung des
Tribunals von Petrikau gewaltsam aufeinander stießen. Die
Hofparthei, von Mniszek, der beim Könige in Dresden war,
und von Radzivil vornämlich geleitet, rüstete schon lange und
war entschlossen, alles aufzubieten, um die Gegner auch hiebei
völlig zu schlagen 2). Dagegen waren der Primas und der
Großkronfeldherr zu einer Vermittlung geneigt. Am 10. August
war der erstere, Lubienski, bereits zu diesem Zweck in War-
schau angekommen; am 21. August erschien auch Branicki, und
es begannen sofort die Unterhandlungen. Beide Partheien
streubten sich: Poniatowski weigerte sich an den Verhandlungen
Theil zu nehmen. Die Czartoryski erklärten in ihrem Unmuth,
die Reform sei ihnen die Hauptsache gewesen, alles Übrige, was
man zu ihrem Vortheil ausmachen wolle, sei ihnen gleichgültig.
Keyserling mahnte aufs nachdrücklichste, daß Poniatowski er-
scheine 3). Sie spannten anfangs ihre Forderungen sehr hoch.
Der Hof solle das Tribunal von Wilna für ungesetzlich con-
stituirt anerkennen und ihnen freie Hand in Betreff des Petri-
kauer lassen. Auf der andern Seite war man anfangs eben so
hartnäckig, zumal in Lithauen der Adel bereits anfing sich zu
Pferde zu setzen, um das Tribunal in Wilna gegen die Russen
zu vertheidigen, denen Keyserling, um den Zusammenstoß zu
vermeiden, Ordre sandte, nicht bis Wilna vorzugehen. All-
mählig aber kam man doch zu einer Verständigung. Am
29. August unterzeichneten der Primas und der Krongroßfeld-
herr das Protokoll, welches die Bedingungen derselben enthielt,

1) Es ist dies die bereits öfter angeführte Denkschrift in der Bibl.
Ossol. VIII, 14. Schmitt I,
366.
2) Benoit, Depesche vom 20. Juli.
3) Benoit, Berichte vom 10. u. 27. August. Keyserlings Brief
vom 21. d. M. bei Schmitt a. a. O.

Ihrer Vorgänger verloren hat.“ 1) Die ruſſiſchen Truppen
blieben in der That zunächſt in Polen ſtehen.

Inzwiſchen hatte Keyſerling ſich bereits an dem Verſuch
betheiligt ein Abkommen zwiſchen den Partheien zu Stande
zu bringen, um zu verhüten, daß ſie nicht dennoch bei Ge-
legenheit der Anfang October bevorſtehenden Conſtituirung des
Tribunals von Petrikau gewaltſam aufeinander ſtießen. Die
Hofparthei, von Mniszek, der beim Könige in Dresden war,
und von Radzivil vornämlich geleitet, rüſtete ſchon lange und
war entſchloſſen, alles aufzubieten, um die Gegner auch hiebei
völlig zu ſchlagen 2). Dagegen waren der Primas und der
Großkronfeldherr zu einer Vermittlung geneigt. Am 10. Auguſt
war der erſtere, Lubienski, bereits zu dieſem Zweck in War-
ſchau angekommen; am 21. Auguſt erſchien auch Branicki, und
es begannen ſofort die Unterhandlungen. Beide Partheien
ſtreubten ſich: Poniatowski weigerte ſich an den Verhandlungen
Theil zu nehmen. Die Czartoryski erklärten in ihrem Unmuth,
die Reform ſei ihnen die Hauptſache geweſen, alles Übrige, was
man zu ihrem Vortheil ausmachen wolle, ſei ihnen gleichgültig.
Keyſerling mahnte aufs nachdrücklichſte, daß Poniatowski er-
ſcheine 3). Sie ſpannten anfangs ihre Forderungen ſehr hoch.
Der Hof ſolle das Tribunal von Wilna für ungeſetzlich con-
ſtituirt anerkennen und ihnen freie Hand in Betreff des Petri-
kauer laſſen. Auf der andern Seite war man anfangs eben ſo
hartnäckig, zumal in Lithauen der Adel bereits anfing ſich zu
Pferde zu ſetzen, um das Tribunal in Wilna gegen die Ruſſen
zu vertheidigen, denen Keyſerling, um den Zuſammenſtoß zu
vermeiden, Ordre ſandte, nicht bis Wilna vorzugehen. All-
mählig aber kam man doch zu einer Verſtändigung. Am
29. Auguſt unterzeichneten der Primas und der Krongroßfeld-
herr das Protokoll, welches die Bedingungen derſelben enthielt,

1) Es iſt dies die bereits öfter angeführte Denkſchrift in der Bibl.
Ossol. VIII, 14. Schmitt I,
366.
2) Benoit, Depeſche vom 20. Juli.
3) Benoit, Berichte vom 10. u. 27. Auguſt. Keyſerlings Brief
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[196/0210] Ihrer Vorgänger verloren hat.“ 1) Die ruſſiſchen Truppen blieben in der That zunächſt in Polen ſtehen. Inzwiſchen hatte Keyſerling ſich bereits an dem Verſuch betheiligt ein Abkommen zwiſchen den Partheien zu Stande zu bringen, um zu verhüten, daß ſie nicht dennoch bei Ge- legenheit der Anfang October bevorſtehenden Conſtituirung des Tribunals von Petrikau gewaltſam aufeinander ſtießen. Die Hofparthei, von Mniszek, der beim Könige in Dresden war, und von Radzivil vornämlich geleitet, rüſtete ſchon lange und war entſchloſſen, alles aufzubieten, um die Gegner auch hiebei völlig zu ſchlagen 2). Dagegen waren der Primas und der Großkronfeldherr zu einer Vermittlung geneigt. Am 10. Auguſt war der erſtere, Lubienski, bereits zu dieſem Zweck in War- ſchau angekommen; am 21. Auguſt erſchien auch Branicki, und es begannen ſofort die Unterhandlungen. Beide Partheien ſtreubten ſich: Poniatowski weigerte ſich an den Verhandlungen Theil zu nehmen. Die Czartoryski erklärten in ihrem Unmuth, die Reform ſei ihnen die Hauptſache geweſen, alles Übrige, was man zu ihrem Vortheil ausmachen wolle, ſei ihnen gleichgültig. Keyſerling mahnte aufs nachdrücklichſte, daß Poniatowski er- ſcheine 3). Sie ſpannten anfangs ihre Forderungen ſehr hoch. Der Hof ſolle das Tribunal von Wilna für ungeſetzlich con- ſtituirt anerkennen und ihnen freie Hand in Betreff des Petri- kauer laſſen. Auf der andern Seite war man anfangs eben ſo hartnäckig, zumal in Lithauen der Adel bereits anfing ſich zu Pferde zu ſetzen, um das Tribunal in Wilna gegen die Ruſſen zu vertheidigen, denen Keyſerling, um den Zuſammenſtoß zu vermeiden, Ordre ſandte, nicht bis Wilna vorzugehen. All- mählig aber kam man doch zu einer Verſtändigung. Am 29. Auguſt unterzeichneten der Primas und der Krongroßfeld- herr das Protokoll, welches die Bedingungen derſelben enthielt, 1) Es iſt dies die bereits öfter angeführte Denkſchrift in der Bibl. Ossol. VIII, 14. Schmitt I, 366. 2) Benoit, Depeſche vom 20. Juli. 3) Benoit, Berichte vom 10. u. 27. Auguſt. Keyſerlings Brief vom 21. d. M. bei Schmitt a. a. O.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/210>, abgerufen am 23.11.2024.