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Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876.

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spätestens war der Ritter d'Eon mit einer Mission Woronzews
in Paris, um Conti die Zustimmung der Kaiserin in Betreff
des Armeecommandos und Kurlands mitzutheilen, worauf Conti
auf den polnischen Thron verzichtet zu haben scheint. Anfang
Dezember aber meinte Ludwig XV. wiederum, es sei besser,
die Abdankung August III. zu verschieben, als sie zu be-
treiben 1); er ziehe den Prinzen Xaver dem Kronprinzen vor,
obenan stehe jedoch die Freiheit der Polen. Noch im Januar
1758 erwog er, ob er diesen oder dessen Bruder Karl vor-
ziehen solle, und wiederholte dabei, sein Augenmerk sei immer
die Freiheit der Polen gewesen und allein derjenige, der ihnen
der annehmbarste schiene 2).

Mag es sich nun mit diesen Bestrebungen, deren nähere
Kenntniß uns noch fehlt, wie es wolle, verhalten haben; sicher
ist, daß Graf Broglie sich bereits im August 1757 bei Brühl
bemühte, die Zurückberufung Poniatowski's durchzusetzen. Aber
Bestucheff ließ durch den sächsischen Geschäftsträger Prasse in
Warschau mahnen, den jungen Poniatowski ja zu "menagiren"
und "an dessen Rappel nicht anders zu denken, als wenn es
mit so guter Art geschehen könnte, daß dadurch weder dem
Warschauer Hofe noch ihm, dem Kanzler, Verdruß zugezogen
würde" 3). Die von Zeit zu Zeit eintretenden Krankheits-
anfälle der Kaiserin Elisabeth hielten eben alle Welt in Peters-
burg in Spannung, und nöthigten alle Partheien eine mehr
oder weniger große Rücksicht auf den "jungen" Hof zu nehmen,
der jeden Augenblick an die Regierung kommen konnte. Im
Hinblick hierauf ließ Bestucheff nach einem solchen Krankheits-

einem vertrauten Wege aus Warschau die Nachricht, daß der dortige Hof
auf die Spur einer geheimen Abrede wegen Kurland gekommen sei; Polen
wie Frankreich würden alles aufbieten, um das Geheimniß zu entdecken;
Frankreich werde widerstreben, Stahrenberg wage kein Wort davon in
Paris zu sagen (26. März 1757). Arneth V, 69.
1) Boutaric, Corresp. I, 220--227.
2) Auch in der Instruction für Paulmy (Frühjahr 1760) ist noch
von Gerüchten die Rede, daß August III. zu Gunsten seines Sohnes
Karl abdanken wolle. Flassan VI, 141.
3) Herrmann, Geschichte Rußlands V, 216.

ſpäteſtens war der Ritter d’Eon mit einer Miſſion Woronzews
in Paris, um Conti die Zuſtimmung der Kaiſerin in Betreff
des Armeecommandos und Kurlands mitzutheilen, worauf Conti
auf den polniſchen Thron verzichtet zu haben ſcheint. Anfang
Dezember aber meinte Ludwig XV. wiederum, es ſei beſſer,
die Abdankung Auguſt III. zu verſchieben, als ſie zu be-
treiben 1); er ziehe den Prinzen Xaver dem Kronprinzen vor,
obenan ſtehe jedoch die Freiheit der Polen. Noch im Januar
1758 erwog er, ob er dieſen oder deſſen Bruder Karl vor-
ziehen ſolle, und wiederholte dabei, ſein Augenmerk ſei immer
die Freiheit der Polen geweſen und allein derjenige, der ihnen
der annehmbarſte ſchiene 2).

Mag es ſich nun mit dieſen Beſtrebungen, deren nähere
Kenntniß uns noch fehlt, wie es wolle, verhalten haben; ſicher
iſt, daß Graf Broglie ſich bereits im Auguſt 1757 bei Brühl
bemühte, die Zurückberufung Poniatowski’s durchzuſetzen. Aber
Beſtucheff ließ durch den ſächſiſchen Geſchäftsträger Praſſe in
Warſchau mahnen, den jungen Poniatowski ja zu „menagiren“
und „an deſſen Rappel nicht anders zu denken, als wenn es
mit ſo guter Art geſchehen könnte, daß dadurch weder dem
Warſchauer Hofe noch ihm, dem Kanzler, Verdruß zugezogen
würde“ 3). Die von Zeit zu Zeit eintretenden Krankheits-
anfälle der Kaiſerin Eliſabeth hielten eben alle Welt in Peters-
burg in Spannung, und nöthigten alle Partheien eine mehr
oder weniger große Rückſicht auf den „jungen“ Hof zu nehmen,
der jeden Augenblick an die Regierung kommen konnte. Im
Hinblick hierauf ließ Beſtucheff nach einem ſolchen Krankheits-

einem vertrauten Wege aus Warſchau die Nachricht, daß der dortige Hof
auf die Spur einer geheimen Abrede wegen Kurland gekommen ſei; Polen
wie Frankreich würden alles aufbieten, um das Geheimniß zu entdecken;
Frankreich werde widerſtreben, Stahrenberg wage kein Wort davon in
Paris zu ſagen (26. März 1757). Arneth V, 69.
1) Boutaric, Corresp. I, 220—227.
2) Auch in der Inſtruction für Paulmy (Frühjahr 1760) iſt noch
von Gerüchten die Rede, daß Auguſt III. zu Gunſten ſeines Sohnes
Karl abdanken wolle. Flassan VI, 141.
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[122/0136] ſpäteſtens war der Ritter d’Eon mit einer Miſſion Woronzews in Paris, um Conti die Zuſtimmung der Kaiſerin in Betreff des Armeecommandos und Kurlands mitzutheilen, worauf Conti auf den polniſchen Thron verzichtet zu haben ſcheint. Anfang Dezember aber meinte Ludwig XV. wiederum, es ſei beſſer, die Abdankung Auguſt III. zu verſchieben, als ſie zu be- treiben 1); er ziehe den Prinzen Xaver dem Kronprinzen vor, obenan ſtehe jedoch die Freiheit der Polen. Noch im Januar 1758 erwog er, ob er dieſen oder deſſen Bruder Karl vor- ziehen ſolle, und wiederholte dabei, ſein Augenmerk ſei immer die Freiheit der Polen geweſen und allein derjenige, der ihnen der annehmbarſte ſchiene 2). Mag es ſich nun mit dieſen Beſtrebungen, deren nähere Kenntniß uns noch fehlt, wie es wolle, verhalten haben; ſicher iſt, daß Graf Broglie ſich bereits im Auguſt 1757 bei Brühl bemühte, die Zurückberufung Poniatowski’s durchzuſetzen. Aber Beſtucheff ließ durch den ſächſiſchen Geſchäftsträger Praſſe in Warſchau mahnen, den jungen Poniatowski ja zu „menagiren“ und „an deſſen Rappel nicht anders zu denken, als wenn es mit ſo guter Art geſchehen könnte, daß dadurch weder dem Warſchauer Hofe noch ihm, dem Kanzler, Verdruß zugezogen würde“ 3). Die von Zeit zu Zeit eintretenden Krankheits- anfälle der Kaiſerin Eliſabeth hielten eben alle Welt in Peters- burg in Spannung, und nöthigten alle Partheien eine mehr oder weniger große Rückſicht auf den „jungen“ Hof zu nehmen, der jeden Augenblick an die Regierung kommen konnte. Im Hinblick hierauf ließ Beſtucheff nach einem ſolchen Krankheits- 2) 1) Boutaric, Corresp. I, 220—227. 2) Auch in der Inſtruction für Paulmy (Frühjahr 1760) iſt noch von Gerüchten die Rede, daß Auguſt III. zu Gunſten ſeines Sohnes Karl abdanken wolle. Flassan VI, 141. 3) Herrmann, Geſchichte Rußlands V, 216. 2) einem vertrauten Wege aus Warſchau die Nachricht, daß der dortige Hof auf die Spur einer geheimen Abrede wegen Kurland gekommen ſei; Polen wie Frankreich würden alles aufbieten, um das Geheimniß zu entdecken; Frankreich werde widerſtreben, Stahrenberg wage kein Wort davon in Paris zu ſagen (26. März 1757). Arneth V, 69.

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Zitationshilfe: Roepell, Richard: Polen um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Gotha, 1876, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roepell_polen_1876/136>, abgerufen am 02.05.2024.